Artikel in gekürzter Form:
BLAUBEUREN. Eine schmale, steile Straße führt den Berg hinauf, vorbei an schmucklosen zweistöckigen Mietshäusern aus den 20er-Jahren. „Entstanden in schwerer Zeit, als Armut und Bedrängnis im Vaterland herrschte“, steht auf einer beigefarbenen Marmorplatte an einem der Gebäude.
Dahinter stehen einige Einfamilienhäuser. Dass sie aus besseren Zeiten stammen, lässt sich nur erahnen. So schlicht und unauffällig kommen sie daher, einige ducken sich hinter hohen Hecken.
„A. Merckle“ steht auf einem leicht verschmutzten Klingelschild an einem der Häuser oben an der Straße. Stünde dieser Name dort nicht, würde niemand darauf kommen, dass hier in Blaubeuren mitten in der schwäbischen Provinz einer der reichsten Deutschen wohnte. Im Ort selbst wusste es freilich jeder.
Adolf Merckle zog sich gerne in diese bürgerliche Normalität zurück. „Wir sind lieber unter den normalen Leuten, nicht unter den Großkopferten“, soll er mal gesagt haben. So wirkt auch sein Haus. Nichts fällt hier aus dem Rahmen. Alles sieht äußerst überschaubar und durchschnittlich aus. Doch der Eindruck täuscht. Der Bau ist verschachtelt und eine zweite Etage tief in den Hang gebaut. Nur wer das Grundstück umrundet, dem offenbart sich, wie groß und verwinkelt das Gebäude ist.
Der Patriarch, der einst seine Mitarbeiter mit dem Satz „Geld ist immer genug da“ zu neuen Ideen anspornte, brauchte dringend Kapital. Von 700 Millionen bis zu einer Milliarde Euro war die Rede, um die Gläubiger seiner wichtigsten Holdinggesellschaft, der VEW Vermögensverwaltung, zu beruhigen.
Die Banken drängen auf einen Verkauf von Ratiopharm. Die Gründung des Pharmaherstellers in den 70er-Jahren war eines von Adolf Merckles Meisterstücken. Damals stand er noch uneingeschränkt in dem Ruf, ein sparsamer Unternehmer und geschickter Investor zu sein, ein Ausbund an Bodenständigkeit eben. Sein Büro soll er seit Jahrzehnten nicht neu möbliert haben, und er soll stets mit einer Sekretärin auskommen, die halbtags arbeitet. Wenn er mit der Bahn fuhr, dann nur mit Zweite-Klasse-Fahrscheinen.
Der einzige Luxus, den er sich gönnte, waren ausgedehnte Bergtouren mit seiner Ehefrau Ruth in die Anden und auf den Himalaya.
Ansonsten gab Merckle stets den sparsamen Schwaben, obwohl er in Dresden geboren ist. Erst nach und nach kam ein anderer Blickwinkel auf das Phänomen Merckle hinzu – je größer sein Unternehmen wird. Gegner und Konkurrenten beschrieben ihn als gerissenen Advokaten, der keinen juristischen Kniff auslässt, leitende Angestellte schon einmal bewusst in eine Falle laufen lässt und sein Imperium wie ein Gutsherr aus dem 19. Jahrhundert steuert. Merckle wäre „raffgierig, nachtragend und missgünstig“ gewesen, zitierte das „Manager-Magazin“ den früheren Chef der Merckle-Firma Ratiopharm, Heinrich Zinken.
Mit der Komplettübernahme von Deutschlands größtem Baustoffkonzern Heidelberg Cement stieg die schwäbische Firmengruppe in eine neue Liga auf und veränderte ihre Struktur radikal. Denn das Engagement überforderte die Reserven der Familie und zwang Merckle vermutlich erstmals in seiner Unternehmer-Karriere, in wirklich massivem Umfang auf Bankkredite zurückzugreifen. Zwischen vier und 4,5 Milliarden Euro dürfte die Mehrheitsübernahme im Jahr 2005 gekostet haben. Davon mussten zwei Drittel fremdfinanziert werden.
Um die Kapitalstruktur von Heidelberg Cement nach dem Hanson-Deal im Lot zu halten, musste Merckle zwei Kapitalerhöhungen von zusammen einer Milliarde Euro zeichnen und ebenfalls über Kredite finanzieren. Das alles wäre wohl kaum zum Problem geworden, hätte nicht die Finanz- und Konjunkturkrise alle Kalkulationen zunichte gemacht.
Als der Heidelcement-Kurs im Oktober unter Merckles Einstandskurs von 60 Euro rutschte, wurden seine Kreditgeber zusehends nervös. Das Fass zum Überlaufen brachten Verluste in dreistelliger Millionenhöhe – unter anderem durch Spekulationen mit VW-Aktien.
Der Zeitpunkt für einen Verkauf von Ratiopharm war ungünstig, doch selbst unter schwierigen Bedingungen dürfte die Pharmagruppe mindestens drei Milliarden Euro bringen. Große Konzerne wie Sanofi-Aventis stehen bereits in den Startlöchern, sollte Merckle verkaufen wollen. Nicht zuletzt stammte von Merckle auch dieser Satz: „Ich trenne mich nur höchst ungern wieder vom einmal Erworbenen.“
Quelle:
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/koepfe/...lide-mensch;2121149 |