Muddy Waters war ein begnadeter US-Musiker, Vorbild einer ganzen Blues-Generation. Für Udo Müller, Chef des Werbekonzerns Ströer, steckt in dem Namen keinerlei Musik, für ihn ist er der wahr gewordene Albtraum. Seit April, als der gleichnamige US-Hedgefonds Muddy Waters einen negativen Bericht über Ströer veröffentlichte, der mit einem massiven Verkauf von Ströer-Aktien einherging, ist in dem Kölner Werbekonzern nichts mehr, wie es vorher war. Die Aktion von Muddy Waters hatte andere Anleger zum Verkauf animiert, der Kurs sackte um 20 Prozent ab, bis heute hater sich nicht wieder erholt. Unter diesen negativen Vorzeichen präsentiert Müller an diesem Donnerstag seine Geschäftszahlen.
Er hat das Unternehmen vor 26 Jahren mit dem inzwischen verstorbenen Heiner Ströer gegründet. Nach dem Mauerfall legten die beiden den Grundstein für Deutschlands größten Außenwerbekonzern, der heute 824 Millionen Euro umsetzt. Dass ein Hedgefonds ohne weiteres sein Unternehmen aus den Angeln heben kann, macht den 54-Jährigen fassungslos.
Doch Müller ist kein Typ, der lange in Schockstarre verharrt. Einen Tag nach dem Angriff konterte er mit einer langen Stellungnahme. Dass Muddy Waters einen ehemaligen CIA-Agenten in die Telefonkonferenz eingeschleust hatte, der Müllers monotonen Vortragsstil analysieren sollte, darüber hat der Unternehmer am Ende nur noch gelacht. Ein klassisches Eigentor, so sieht es vermutlich der ehemalige Handballspieler. Wer CIA-Agenten engagiert, bekommt in Deutschland selten Pluspunkte.
Eine Woche später reiste Müller nach London und warb bei Analysten um Vertrauen für sein neues Geschäftsmodell. Seit 2012 wandelt sich Ströer von einem reinrassigen Außenwerbespezialisten zu einem großen Player im Digitalmarkt. Der Unternehmer hat eine klare Vorstellung von der Werbezukunft, wenn die Digitalisierung endgültig den klassischen Markt durchgefegt hat. Müller rattert Zahlen herunter, schnell, ohne jede Unsicherheit. Müller plaudert nicht, Müller rechnet. Vielleicht ist es das kaufmännische Talent, das den Firmengründer Ströer einst für den jungen Müller einnahm. Ströers eigener Sohn, Dirk Ströer, ist sieben Jahre jünger als Müller. Die beiden Männer sind fast wie Brüder. Als Heiner Ströer starb, übernahm der Sohn die Firmenanteile. Während Müller sich ums Geschäft kümmerte, ging Ströer in den Aufsichtsrat. Ein Gremium, das Müller mit einem Vorsitzenden wie Christoph Vilanek, Chef der Freenet AG, hochkarätig besetzt hat. Auch Müllers Ehefrau - er ist seit acht Jahren verheiratet und hat drei Kinder - ist neuerdings Mitglied des Aufsichtsrats. Eine Vorsichtsmaßnahme, mit der Müller für die Zukunft Vorsorgen will.
In der ersten Zeit nach der Attacke von Muddy Waters habe Müller sehr emotional reagiert, so berichten es Vertraute. Inzwischen habe er sich gefangen. Am liebsten will Müller überhaupt nicht mehr über das Thema sprechen. Eine Replik könnte den Gegner nur weiter an-stacheln. Branchenkenner sind der Ansicht, dass Hedgefonds oft nicht nur einmal, sondern mehrfach hintereinander ihre Attacken starten.
Um den Kurs zu stützen, hat die Firma laut über einen Aktienrückkauf nachgedacht. Doch Müller gibt Geld im Grunde lieber für strategisch sinnvolle Zukaufe aus, nicht für Kurspflege. Das machen andere für ihn: Tina Ströer, die Ehefrau von Dirk Ströer, hat bereits Aktien im Wert von mehr als einer halben Million Euro erworben.
Von Dirk Ströer stammt die Leidenschaft für digitale Projekte. 2012, als der Aktienkurs dahindümpelte, erzählte er Müller davon, dass eine Firma namens Adscale verkauft werden würde. "Was macht die?", wollte Müller wissen. Sie sei ein Marktplatz für digitale Werbung, erwiderte Digitalfan Ströer. Müller guckte ratlos. Er besuchte die Gründer des Startups, saß auf Plastikstühlen in deren Küche. Das ist ja wie früher, freute er sich. Sein Ausflug zu Adscale, den er nur aus "Erwachsenenbildungsgründen" gemacht hatte, endete in seinem ersten Digitalzukauf, dem noch viele weitere folgten - an die 50 sollen es sein. Die Krönung: der Kauf des Portals T-Online von der Deutschen Telekom. Wie einst an der Seite von Heiner Ströer baut Müller nun ein neues kleines Reich. Ein Digitalreich. |