Von Ronald Tietjen Aderlass in Luftfahrt beginnt erst Was jetzt passiert, wäre sowieso passiert. Nur nicht mit dieser gnadenlosen Geschwindigkeit. Die Terroranschläge in den USA haben die Welt durchgeschüttelt. Auch und gerade die vielen kleinen und großen Luftfahrtgesellschaften. Die flaue Konjunktur legte schon vorher die Schwächen vieler Airlines offen, die Anschläge selbst werden global notwendige Allianzen, Fusionen und nicht zuletzt Unternehmenspleiten forcieren. Eine Branche im Umbruch. Ronald Tietjen
Die Hausse für die Airlines ist vorbei. Bis zu neun Prozent jährliches Wachstum seit 1995 hatte viele Konzernführer zu leichtsinnigen Expansionsstrategien verführt. Immer größer, immer exklusiver, immer protziger. Die Weltflugherrschaft wollte erobert werden. Doch als die Konjunktur in den Sinkflug ging, zerstoben alle Firstclass-Träume. Schon vor dem Anschlag war der globale Nettogewinn der Airlines gegenüber Mitte der 90er Jahre um rund 70 Prozent gesunken. Doch das registrierten nur die wengisten. In Europa fiel der Nettogewinn laut Angaben der Association of European Airlines von über 2,3 Milliarden Dollar 1997 auf nur noch 100 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Dennoch konnten große Gesellschaften wie Lufthansa und andere noch mit Rekordgewinnen protzen. Ein letztes Halali.
US-Airlines sind besonders getroffen
Der Terror und der Antiterror wird diesen Prozess beschleunigen. Wen wird es treffen und wie? Unstrittig wird der Umbruch in den USA besonders hart werden. Pleiten inbegriffen. Möglich, dass die fünftgrößte amerikanische Fluggesellschaft Continental Airlines der kleinen Midway Airline folgt, die nur Stunden nach dem Anschlag Konkurs anmeldete. Vorsorglich zeichnet Continental-Chef Gordon Bethune schon ein düsteres Bild, spricht von einer "beispiellosen finanziellen Krise" und sieht den "Untergang der nationalen Luftfahrt". Soweit wird es wohl nicht kommen, was aber nicht heißt, dass Continental überlebt. Denn die waren schon vor dem Anschlag in hausgemachter Not. Unterstellte man Bethune Böses, dann müsste man annehmen, er nutze das Verbrechen um von eigener Führungsschwäche abzulenken.
Gewaltiger Aderlass droht
Tatsache ist, dass die aktuelle Krise ein gewaltiger Aderlass für die Fluggesellschaften der USA darstellt. Täglich verlieren sie rund 300 Millionen Dollar durch gestrichene Flugpläne und gesunkene Passagierzahlen, nicht eingerechnet Zusatzkosten für höhere Sicherheitsleistungen und steigende Versicherungsprämien. Milliardenprozesse, die American Airlines und United Airlines drohen, drücken zusätzlich auf die Branche. Insider rechnen darum in den nächsten Monaten mit einem weiteren Ausleseprozess, viele kleine Fluggesellschaften werden vom Markt verschwinden, Fusionen aus der Not heraus sind wahrscheinlich. Auch interkontinentale Zusammenschlüsse. Schon wird spekuliert, dass eines der US-Sorgenkinder Delta Airlines ganz nahe an die Air France rücken könnte.
Die Auslese beginnt
Dabei ist Europa schon lange kein Kontinent der weißen Ritter mehr. Schon vor den Terroranschlägen kämpften hier Fluggesellschaften um die nackte Existenz, jetzt sind sie ein Fall für den Insolvenzverwalter. Viele, die bisher von ihren Regierungen künstlich am Leben erhalten wurden, befördert die Krise nach der Krise ins Koma. Darunter so klangvolle Namen wie die stolze griechische Olympic Airways, die ungarische Matev, die Turkish Airlines oder die belgische Sabena. Ihnen allen droht der letzte Take-off. Doch der Kollaps bedroht längst auch prominentere Opfer. KLM und Alitalia sind allein kaum noch geschäftsfähig. Swissair drücken 15 Milliarden Franken Schulden. Auch sie werden ohne einen starken Kompagnon an ihrer Seite in schwere Turbulenzen geraten.
Nur drei starke Gesellschaften in Europa
Starke Partner zu finden ist aber derzeit so einfach, wie Butternudeln in eine Betonwand zu rammen. Letztlich finden sich in Europa noch die Deutsche Lufthansa, die Air France und British Airways, die die Bezeichnung Stärke verdienen. Nur diese drei Fluggesellschaften haben aufgrund ihrer Finanzkraft eine Perspektive, wenn auch eine sehr langfristige. Und sie könnten sogar irgendwann von der Krise profitieren. Denn der Schrottplatz der maroden Airlines weltweit lädt ja geradezu zum Ausschlachten ein. Zwar sieht die Lufthansa derzeit noch kein Land, will sich daher auch nicht konkret zu Auswirkungen der Branchenschwäche äußern. Doch macht Konzernchef Jürgen Weber schon deutlich, dass am Transportmittel Flugzeug auf Dauer kein Weg vorbeiführt. Zehn Millionen Mark Umsatzverlust pro Tag sind für die Kraniche schmerzhaft, aber eben auch nicht existenzgefährdent. Das ist doch schon was in diesen gefährlichen Tagen. Stand:18.09.2001
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