Die gegenwärtigen Bewertungen im Chipsektor sind in den meisten Fällen gerechtfertigt. Das liegt nicht zuletzt, daran, daß wir von einem rückläufigen Wachstum für die Branche in diesem und im nächsten Jahr ausgehen. Die Bewertungen sind unserer Meinung nach auch deshalb gerechtfertigt, weil sich die kurzfristigen makroökonomischen Risiken erhöht haben - nimmt man nur die hohen Energiepreise bzw. die Möglichkeit weiter steigender Zinsen.
Benzin hat sich in den vergangenen Monaten drastisch verteuert, und es wird erwartet, daß die Heizkosten in diesem Winter stark ansteigen werden. Außerdem glauben wir, daß die Verbraucher in den vergangenen Jahren deutlich weniger gespart und sich stattdessen immer mehr verschuldet haben - so zum Beispiel durch zinsvariable und „Interest Only”-Hypotheken, die nach unserem Dafürhalten auf höhere Zinsen besonders empfindlich reagieren.
Weihnachtsgeschäft bei Elektronik eher mau erwartet
Aufgrund dieser Faktoren sind wir geneigt zu glauben, daß vor allem die Menschen aus den unteren und mittleren Einkommensschichten zu Weihnachten unter Umständen weniger Elektronikartikel nachfragen werden. Zwar besteht nach wie vor die Erwartung eines weihnachtsbedingten Nachfragesprungs, doch wird dieser unserer Meinung nach nicht so robust ausfallen wie in den Vorjahren.
Den von dem Researchunternehmen Semiconductor Industry Association (SIA) gesammelten Branchendaten zufolge zog der weltweite Umsatz mit Chips 2003 um solide 18 Prozent und 2004 um kräftige 28 Prozent an. Nach unserer Schätzung lag der weltweite Halbleiterumsatz 2004 bei insgesamt 216,4 Milliarden Dollar, verglichen mit 204,4 Milliarden Dollar während des Zyklushöhepunkts im Jahr 2000.
Auf kurze Sicht rechnen wir jedoch damit, daß dieses Wachstum nachläßt. So gehen wir für 2005 und 2006 von einem Umsatzanstieg von fünf bzw. zwei Prozent aus. Zwar sind wir der Ansicht, daß die Branche im gegenwärtigen Zyklus dank eines disziplinierten Ansatzes beim Supply Chain Management und einer erhöhten Endmarkt-Diversifikation ein von einem Umsatzrückgang geprägtes Jahr vermeiden wird. Allerdings rechnen wir nicht vor 2007 mit einer erneuten Wachstumsbeschleunigung.
Bilanzvorschriften führen zu geringeren Gewinnen
Eine vor kurzem vorgenommene Änderung der Bilanzierungsvorschriften, wonach Aktienoptionen nunmehr als Aufwand verbucht werden müssen, dürfte unseres Erachtens bei vielen, von uns beobachteten Chipherstellern zu einem Rückgang des ausgewiesenen Gewinns führen. Auch wenn wir in den meisten Fällen nicht mit einer unmittelbaren Änderung der Vergütungspolitik als Folge der neuen Vorschrift rechnen, so erwarten wir doch, daß sich diese Unternehmen in den kommenden Jahren weniger stark auf das Modell der aktienbasierten Vergütung verlassen werden.
Nach unseren Schätzungen dürften sich die meisten Chipwerte in den kommenden zwölf Monaten parallel zum S&P-1500 entwickeln. In dieser Zeit haben Chiphersteller im Bereich High-End-Analog, Powermanagement und anderer Chipkategorien, die einer großen Bandbreite von Endmärkten dienlich sind, unseres Erachtens die besten Aussichten.
Zu den Unternehmen, die wir mit „strong buy” einstufen, gehören Marvell Technology und International Rectifier. Der Fabless-Chiphersteller Marvell mit Sitz auf den Bermudas versorgt die Datenkommunikations- und Datenspeichermärkte mit Geräten für die Breitbandkommunikation. Unserer Prognose zufolge wird das Unternehmen für das im Januar zu Ende gehende Geschäftsjahr 2006 ein Umsatzwachstum von 33 Prozent und für 2007 ein Plus von 32 Prozent ausweisen, nach 49 Prozent im Jahr 2005.
Wir glauben, daß Marvell aufgrund seiner Technologieexpertise und seines starken Managements - Indiz dafür sind 31 Quartale in Folge mit Umsatzwachstum in einer extrem zyklischen Branche - in seinen Märkten weiter Anteile hinzugewinnen wird. Auf kurze Sicht dürfte das Unternehmen, so unsere Einschätzung, von der Verwendung seiner Produkte in neuen digitalen Verbrauchergeräten profitieren.
Risiko Preisdruck
Auf mittlere bis lange Sicht erwarten wir ein Ansteigen der Endmarktnachfrage, bedingt durch einen Nachfrageschub in Richtung mobile Datenübertragung und Breitbanddatenübertragung sowie den wachsenden Bedarf an besseren Datenspeicherungsmöglichkeiten. Insbesondere rechnen wir mit einer erhöhten Nachfrage nach Laptop-Computern und Digitalkameras sowie einem zunehmenden Heimeinsatz von Breitbandgeräten, was sich in einer entsprechenden Nachfrage nach den Speicher- und Datenübertragsprodukten von Marvell - sowohl im High-End- als auch im Low-End-Bereich - niederschlagen dürfte.
Darüber hinaus erachten wir die Aktie auf Basis unserer Kurs-Gewinn- und Kurs-Umsatz-Analysen als attraktiv bewertet, und sie verfügt unseres Erachtens über ein überdurchschnittliches Kursgewinnpotential (unser Kursziel auf Zwölfmonatssicht lautet in diesem Fall 57 Dollar). Angesichts des überdurchschnittlichen Wachstums, das wir für Marvell in den kommenden Jahren erwarten, verdient das Unternehmen unserer Ansicht nach einen Bewertungsaufschlag gegenüber seinen Wettbewerbern.
Zu den Risiken in Bezug auf unsere Empfehlung und unser Kursziel gehören neben einem unerwarteten Rückgang des Umsatzes mit einem Großkunden und einem aggressiven Preisdruck eine unerwartet schwache Nachfrage nach Verbraucher- und Unternehmensanwendungen, die mit den Chips von Marvell ausgestattet sind.
International Rectifier: Übertrieben konservativ
International Rectifier (IRF) wurde 1947 gegründet und ist Hersteller von Stromhalbleitern, die Steckdosen- bzw. Batteriestrom in eine brauchbarere Form aufbereiten. Wir räumen dem Unternehmen gute Wachstumsaussichten ein, da für den Gesamtmarkt für Powermanagement-Chips in den kommenden zehn Jahren ein jährliches Wachstum von 20 Prozent prognostiziert wird.
Unserer Meinung nach wird IRF von den anhaltend hohen Energiepreisen und der jüngsten Verabschiedung des Energiegesetzes mit am meisten profitieren. Darüber hinaus erwarten wir für das zweite Halbjahr 2005 weiteres robustes Umsatzwachstum im Computer- und Kommunikationsgeschäft. Für das im Juni endende Geschäftsjahr 2006 rechnen wir außerdem - dank der erhöhten Fokussierung auf wachstumsstärkere Eigenprodukte - mit einer verbesserten Bruttomarge des Unternehmens.
Die kurzfristigen Prognosen des Managements und die Konsensschätzungen der Wall Street stufen wir als übertrieben konservativ ein; vielmehr rechnen wir in den zukünftigen Quartalen mit über den Konsensprognosen liegenden Zahlen, die den Kurs der Aktie beflügeln werden.
IRF notierte vor kurzem auf Basis des von uns erwarteten Zwölfmonatsgewinns je Aktie mit einem KGV von 17. Im Vergleich zum Wettbewerb und dem historischen Durchschnitts-KGV des Unternehmens stellt dies einen großen Abschlag dar. Das von uns auf Sicht von zwölf Monaten veranschlagte Kursziel von 63 Dollar lässt derweil auf ein größeres Gewinnpotential schließen.
Sorgfältige Prüfung erforderlich
Gefahren in Bezug auf unsere Einschätzung und unser Kursziel für IRF sehen wir unter anderem in der zyklischen Natur der Halbleiterbranche, dem Wettbewerbspreisdruck im Rohstoffgeschäft (Umsatzanteil ca. 15 Prozent) und der überdurchschnittlichen Kursvolatilität.
Auch sollten Anleger nicht vergessen, daß die Chipbranche in der Vergangenheit extremen Boom-Bust-Zyklen unterworfen war. Im Zeitraum von 1975 bis 2000 betrug das jährliche Umsatzwachstum laut SIA im Mittel 16,1 Prozent. Wir glauben, daß mit zunehmender Reife der Branche ihr zyklischer Charakter einerseits erhalten bleibt; andererseits rechnen wir aber mit einem Rückgang des langfristigen Umsatzwachstums auf ungefähr zehn Prozent.
Dennoch könnten Anleger durchaus mit einer guten Rendite belohnt werden, wie wir meinen, sofern sie eine sorgfältige Auswahl treffen und sich an Chiphersteller mit einer besonderen Marktnische halten.
Quelle: faznet.de |