Vielfalt statt ISO-Norm
Sehr geehrter Anleger,
das Vorhandensein von ungefilterter Information ist Voraussetzung und Basis einer jeden freiheitlichen Ordnung. Wobei rein technisch gesehen die Information eine Abfolge von Symbolen ist deren Bedeutung der Empfänger verschlüsselt und das Wesentliche an der Information die Eigenschaft ist, Veränderungen im empfangenden System hervorzurufen. Da es bislang keine einheitliche Theorie der " Information " gibt, sondern lediglich unterschiedliche Modelle, steht eine eindeutige Definition des Begriffs " Information" noch nicht zur Verfügung. In John Bogarts Einführung in den praktischen Journalismus wird Information wie folgt definiert: „ News is what's different.“ Die Meinung , die auf der Information aufsetzt, ist die in einem Menschen bestehende subjektive Ansicht bzw. Einstellung zu Zuständen, Ereignissen oder anderen Personen (auch Werturteil). Die Meinungsfreiheit , auch Redefreiheit, ist das gewährleistete subjektive Recht auf freie Rede sowie freie Äußerung und (öffentliche) Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie allen weiteren verfügbaren Übertragungsmitteln. Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht und wird in der Verfassung von freiheitlichen Staaten als ein gegen die Staatsgewalt gerichtetes Grundrecht garantiert. um zu verhindern, dass die öffentliche Meinungsbildung und die damit verbundene Auseinandersetzung mit Regierung und Gesetzgebung beeinträchtigt oder gar verboten wird. In engem Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit sichert die Informationsfreiheit den Zugang zu wichtigen Informationen, ohne die eine kritische Meinungsbildung gar nicht möglich wäre; das Verbot der Zensur verhindert die Meinungs- und Informationskontrolle durch staatliche Stellen . Im Unterschied zu einer Diktatur sind der Staatsgewalt in einer Demokratie die Mittel der vorbeugenden Informationskontrolle durch Zensur ausdrücklich verboten. Um es kurz auf den Nenner zu bringen: Wer das Wort, die Information und die Meinung beherrscht, beherrscht die Menschen. Aus diesem Grunde ist höchste Achtsamkeit geboten, wenn führende Vertreter eines Staates auch nur im Entferntesten den Anschein erwecken oder auch nur in die Nähe dessen kommen, wo der Eindruck erweckt wird, dass diese Informationsfreiheit eingeschränkt werden soll. Unser Bundespräsident hat gestern mit einer Rede anlässlich der Einweihung der neuen Zentralredaktion der dpa sich zu einer äußerst unglücklichen Wortwahl hinreißen lassen. So forderte er eine ISO-Norm für Journalismus. Wobei Normung laut Wikipedia „die planmäßigen Vorgänge und Tätigkeiten zum Schaffen und Inkraft setzen von Regelungen bezeichnet, mit denen materielle und immaterielle Gegenstände vereinheitlicht werden. Normung kommt vor allem zur Anwendung, wenn gleichartige oder ähnliche Gegenstände in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen an verschiedenen Orten von verschiedenen Personenkreisen gebraucht werden. Normung hat zum Ziel, innerhalb des Interessentenkreises national wie international durch Vereinheitlichungen und Standardisierungen technische Anwendungshemmnisse zu vermeiden und den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu fördern. Weitere Folgen einer Normung sind Rationalisierung, Kompatibilität, Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit bei der Verwendung von Produkten und Dienstleistungen.“ Mit dieser Norm will unser Bundespräsident „ Berichtenswertes vom restlichen Informationsmüll trennen .“ (Originalzitat!) Ferner soll es „ mehr Drama, Personalisierung, Emotionalisierung und häufig zur Schau gestellte Distanzierung von der Welt der Politik “ entgegenwirken. Dies ist nötig weil auch seriöse Meldungen im Netz inzwischen ohne Bezahlung verfügbar sind, weil illegal kopiert wird. Informationen müssen gewichtet, in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht und vor allem - überprüft werden.“ „ Denn gerade in Zeiten der Nachrichtenflut brauchen wir Profis, die das Wichtige vom Unwichtigen trennen und das Richtige vom Falschen. Wer überprüft, verliert Zeit, aber die Häufung von Fehlern und Dementis untergräbt Vertrauen und macht den Profijournalismus dem Laienjournalismus dann doch zu ähnlich “ „Wir brauchen Orientierung im immer dichteren Gestrüpp von Meldungen, Mutmaßungen und Meinungen. Wir brauchen Journalisten, die Verantwortungsbewusstsein zeigen, denen wir vertrauen können, die verlässlich und glaubwürdig sind. Wir brauchen Kontroversen, Konflikte und Kritik. Aber keine Verletzungen, Verspottung, Verachtung.“ Und weiter „Diese Verantwortung ist heute, gerade mit Blick auf die Komplexität von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und mit dem Druck, unter dem viele Entscheider heute stehen, größer als jemals zuvor. Deswegen brauchen wir Medien, die neue Formen der Qualitätssicherung - quasi eine ISO-Norm - entwickeln, um auch für sich die Zukunft zu sichern und wir brauchen eine intensive Debatte darüber, wie man es schafft unter dem Druck, dem Sie ausgesetzt sind, den nach wie vor gültigen Qualitätskriterien Rechnung zu tragen.“ Und er endet die Rede mit dem Appell an die dpa Journalisten: „ Bleiben Sie solidarisch “. Solidarität bezeichnet übrigens eine, zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit – und Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus. Wissen Sie, was ich die ganze Zeit gedacht habe, als ich mir den Redetext, den Sie unter www.bundespraesident.de nachlesen können, wieder und wieder durchlas. Das unser Bundespräsident da etwas durcheinander gebracht hat. Denn wenn Herr Wulff von Verletzungen, Verspottung und Verachtung spricht, so erinnert mich das doch sehr an seine Zunft. Die jüngste Haushaltsdebatte, für die ich mir ein paar Stunden Zeit nahm, ist exemplarisch dafür. Und so wäre es mehr als angebracht, wenn Herr Wulff die Forderungen und Appelle – in selbstkritischer Manier - zunächst an seine Kollegen richten würde. Wobei selbst ich eine ISO-Norm für Politik nicht fordern würde. Andererseits wäre ein Führerschein bzw. ein Fähigkeitsnachweis für Politiker um die Qualität der Entscheidungen zu verbessern, durchaus nachdenkenswert. Denn viel zu oft ist nicht die Kompetenz und Wählernähe entscheidend, sondern der Listenplatz, der allzu häufig über Wohlverhalten und Heulen mit den Wölfen erkauft wird. Auch glaube ich immer weniger, dass angesichts der drängenden und komplexen Zukunftsfragen die Norm „ Fraktionszwang “, die sich u.a. darin äußert, dass immer nur die Reden und Ideen eigener Parteigänger beklatscht werden und alle anderen ausgelacht, dazwischengeredet, gebuht und aufgestanden und gegangen wird, dem hohen Anspruch der Zukunft unseres Volkes gerecht wird. Ist es die Norm, die Herr Wulff von uns Journalisten erwarten, dass Abweichler nicht nur um ihren Listenplatz fürchten müssen, sondern kalt in die Ecke gestellt und aufs Schlimmste diskriminiert werden? Ist es die Norm, die Sie erwarten, dass man im vorauseilenden Gehorsam und wegen gewisser Tabus in Deutschland gewisse Themen am besten gar nicht anspricht, wenn man nicht fertig gemacht werden will, auch wenn man im Recht ist? Und damit unhaltbare Zustände weiter unter der Oberfläche gären? Nein, das letzte was wir in diesem Lande brauchen, ist eine ISO-Norm für Journalismus. Das wäre der Anfang vom Ende. Gerade die Vielfältigkeit ist es und dazu zählt für mich gerade auch der zu Unrecht von Herrn Dr. Wulff diskriminierte „ Laienjournalismus“ , die wir brauchen. Offenbar kommt Herr Dr. Wulff und die Politik derzeit mit der dem Internet zu verdankenden Verbreitung der Meinungsfülle nicht zu Recht. Jetzt können eben nicht mehr bzw. immer weniger ein paar Journalisten in Hinterzimmern geimpft und „ auf Linie “ gebracht werden. Und Deals in Form von „ Information gegen Politpräsenz “ im noch so kleinen Regionalblatt, wie es übrigens täglich der Fall ist, gemacht werden. Nach dem altbekannten Motto eine Hand wäscht die andere. Und so sehr wir Solidarität und Gemeinwohl benötigten, im Journalismus und bei der Meinungsbildung ist zumindest die Solidarität mit der Politik völlig fehl am Platz. Gerade unsere Vergangenheit lehrt, dass es das Wort ist, das zu Taten führt. Worte können nicht nur verletzen, sondern auch töten. Man spricht nicht umsonst von Schreibtischtätern. Auch lehrt die Vergangenheit und die Lehre aus zahlreichen Unrechtstaaten auf dieser Welt, dass es das Wort und die Information ist, die als erstes unter Kontrolle gebracht wird, um ein Land zu unterdrücken und zu beherrschen. Insofern ist die Forderung nach einer Normierung eine unnötige und meine Erachtens verantwortungslose Forderung. Dass Sie, Herr Bundespräsident, wiederum ohne Not sich als Staatsoberhaupt dafür hergeben, verwundert mich. Insofern erhalten Sie von mir ein Ablehnung mit einem entschiedenen Nein. Weil ich diesbezüglich Verfassungspatriot bin und es mit der Verfassungsgerichts- Rechtsprechung halte. Das hat nämlich noch vor gar nicht allzu langer Zeit folgendes im Fall des Zeit-Herausgebers Naumann (Bezeichnung: „ durchgeknallter Staatanwalt “) festgestellt: In diesem zu berücksichtigenden Kontext erlangt die Vermutung für die freie Rede umso schwereres Gewicht, als die geübte Kritik die Ausübung staatlicher Gewalt zum Inhalt hatte; die Meinungsfreiheit ist aber gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert ihre Bedeutung (vgl. BVerfGE 93 , 266 ). Teil der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Freiheit, seine Meinung in selbstbestimmter Form zum Ausdruck zu bringen (vgl. BVerfGE 54 , 129 ; 60 , 234 ) , ist auch, dass der Äußernde von ihm als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für die zu kritisierende Art der Machtausübung angreifen kann, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente seiner Äußerung aus diesem Kontext herausgelöst betrachtet werden und als solche die Grundlage für eine einschneidende gerichtliche Sanktion bilden. Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Form ist in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungsfreiheit in diesen Fällen wie bei Schmähungen stets und ungeachtet der weiteren Umstände zurücktreten zu lassen. Vielmehr ist es erforderlich, in die gebotene Abwägung einzustellen, ob der Betreffende als private Person oder sein öffentliches Wirken mit seinen weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung ausgehen „ In der öffentlichen Auseinandersetzung, insbesondere im politischen Meinungskampf, muss daher auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (vgl. BVerfGE 54 , 129 , 137 f.; 60 , 234 , 241 ; 66 , 116 , 139 ; 82 , 272 , 281 f.). Ich habe in einer ähnlichen Sache vor dem Landgericht München verloren. Und wollte mir nicht zuletzt aus finanziellen Gründen nicht den Weg bis zum Verfassungsgericht antun. Dass diese Bundesverfassungsgerichtrechtsprechung auch noch vom letzten Richter im hintersten Winkel dieser Republik respektiert wird und danach Recht gesprochen wird, dafür sollte sich ein Bundespräsident meiner Meinung nach vorrangig einsetzen. Denn dies ist heute leider ein Privileg von großen Verlagen. Die vielen kleineren Schreiber, die tagtäglich wegen der Nutzung ihres verfassungsgemäßen Rechte verurteilt werden oder sich in Selbstzensur üben, kommen meist gar nicht an die Öffentlichkeit. Wobei wohlgemerkt auch der Herausgeber der DIE ZEIT wurde zunächst verurteilt. Das spricht Bände. Statt einen Bundespräsidenten, der ISO-Normen fordert, würde ich mir also einen wünschen, der die informelle Selbstbestimmung das Grundrecht der Information und Meinungsfreiheit in den Vordergrund rückt. Und nicht eine an dieser Stelle völlig fehl angebrachte Solidarität des Journalismus mit wem auch immer. Und so schätze ich gerade die durch das Internet mit dem „ Laienjournalismus “ ermöglichte Meinungsfreiheit in ihrer bunten Vielfalt, selbst wenn sie mitunter verletzend ist und weh tut. Weil ich keine Norm, die da heißt „ political Correctness “ wünsche. Davon haben wir genug, wie die letzte politische Debatte gezeigt hat. Nicht Selektion von Information, Vorverurteilung und Diskriminierung oder Normierungen bringen uns weiter. Sondern Vielfalt und Andersartigkeit. Auch und gerade weil sie für die Herrschenden unbequem ist.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und stets hohe Renditen.
Ihr Norbert Lohrke |