Batterie- statt Brennstoffzellen-Züge für den Norden 16. Mai 2019 von Hydrogeit EinfahrtDie Einfahrt des Coradia iLint könnte sich verzögern.
Die bisherige Erfolgsgeschichte der Brennstoffzellenzüge bekommt gerade einen herben Dämpfer: Wie die Kieler Nachrichten kürzlich meldeten, könnten ab 2022 zwar Elektrozüge durch Schleswig-Holstein rollen, voraussichtlich aber welche mit Akkumulatoren als Energiespeicher und nicht mit Wasserstoff. Entschieden sei dies allerdings noch nicht, da der Triebwagenhersteller Alstom derzeit noch gegen das Ausschreibungsverfahren klagt.
Alstom hatte zuletzt für viel Aufsehen sowohl in der Schienen- als auch in der Energiewelt gesorgt, indem das französische Unternehmen in vergleichsweise kurzer Zeit einen voll funktionsfähigen Brennstoffzellenzug in den Praxiseinsatz gebracht hatte. Der Coradia iLint, der mit Hilfe verschiedener Technologiepartner entwickelt und in Salzgitter gebaut wurde (s. HZwei-Heft Jan. 2018), war Anfang 2019 auf eine Tournee quer durch Deutschland geschickt worden.
Zuvor hatte bis Ende 2018 eine Ausschreibung in Schleswig-Holstein stattgefunden, nach der das norddeutsche Bundesland 50 neue Bahnen für 200 Mio. Euro zu kaufen beabsichtigt, die ab Dezember 2022 gehen sollen. Bei diesem Ausschreibungsverfahren ging es ausdrücklich um emissionsarme Antriebstechnologien, die als Alternative zu Diesel- oder Oberleitungsloks eingesetzt werden können.
Hintergrund ist, dass in Schleswig-Holstein nur rund 30 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert sind. Sowohl der dauerhafte Betrieb von Dieselloks als auch die Installation von Oberleitungen sind jedoch kostenintensiv. Gemäß einer norwegischen Studie von 2016 ist der Bau von Oberleitungen drei bis vier Mal teurer als der Einsatz von Brennstoffzellenzügen, weshalb aktuell Batterie-, Diesel-Hybrid- und auch BZ-Antriebe im Fokus der Betrachtung stehen.
Anfang dieses Jahres gaben das Land und die Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein GmbH allerdings bekannt, dass nur der bisherige Anbieter, die DB Regio Schleswig-Holstein, ein Angebot für rein batterieelektrische Züge abgegeben hat. Alstom legte demnach kein letztverbindliches Angebot vor, sondern reichte stattdessen wegen Benachteiligung eine Klage beim Oberverwaltungsgericht ein, die sich gegen die Vorgaben des Ausschreibungsverfahrens richtete. Der Vorwurf ist, dass der Preis für den Kraftstoff Wasserstoff auf dreißig Jahre lang garantiert und die H2-Infrastruktur selbst aufgebaut werden sollte, ohne dass diese Zusatzleistung angemessen berücksichtigt worden wäre.
Dr. Bernd Buchholz, Landesminister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, zeigte sich im März 2019 während der new energy days in Husum erstaunt darüber, dass bei dieser Ausschreibung keine anderen Angebote – insbesondere von Alstom – eingegangen seien. Gleichzeitig verlieh er aber seinem Bedauern darüber Ausdruck und merke an, ihm sei im Vorfeld versichert worden, dass die Brennstoffzellentechnik serienreif und konkurrenzfähig wäre. Sein Politkollege, der Energiewende-Minister Jan Philipp Albrecht, konnte und wollte zu dem noch in Verhandlung befindlichen Gerichtsverfahren nichts sagen, zeigte sich aber daran „interessiert“, dass es hier doch noch zu einer Ausschreibung mit mehreren Technologien komme.
Ingo Dewald, Geschäftsführer der Norddeutschen Eisenbahngesellschaft Niebüll GmbH, kritisierte in diesem Zusammenhang, dass laut Ausschreibung alle 50 Wagen nur mit einer Technologie ausgestattet werden sollen. Seiner Meinung nach wäre es volkswirtschaftlich und technologisch sinnvoller, je nach Strecke und Anwendungsfall unterschiedliche Antriebstechniken auszuwählen. Auch von Seiten der GP Joule GmbH hieß es, das Ausschreibungsverfahren könne nicht wirklich als technologieoffen bezeichnet werden, wenn sich nur ein Anbieter beworben habe.
Die Brennstoffzellenbranche hofft seitdem auf eine Rücknahme der ursprünglichen Ausschreibung oder aber ein positives Gerichtsurteil, damit sich in einem zweiten Verfahren alle drei in Frage kommenden Antriebstechnologien gleichberechtigt bewerben können. In erster Instanz musste Alstom jedoch eine Niederlage hinnehmen, weshalb es jetzt vor das Oberlandesgericht Schleswig gezogen ist. Mit der Verkündung des Urteils wird im Juni 2019 gerechnet.
Rückschlag für norddeutsche Wind-Wasserstoff-Vision
Angefangen hatte die zwischenzeitliche Erfolgsgeschichte des Brennstoffzellenzuges Coradia iLints mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zwischen Alstom Transport und Hydrogenics im Mai 2015 (s. HZwei-Heft Juli 2015 und Juli 2017). Wie geplant folgte 2018 einer Alltagstest auf der Strecke Buxtehude – Bremervörde – Bremerhaven – Cuxhaven (s. HZwei-Heft Okt. 2016). Dies hatte dazu geführt, dass zahlreiche Vorbestellungen aus dem In- und Ausland bei Alstom und auch deutlich mehr Förderanträge für BZ-Anwendungen auf der Schiene bei der NOW als erwartet eingingen.
Erst vor wenigen Tagen hatten sich die fünf Ministerpräsidenten der norddeutschen Bundesländer dafür ausgesprochen, die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie intensiver fördern zu wollen, weil sich der Norden als energiereiche Region hiervon einen wirtschaftlichen Aufschwung erhofft. Insbesondere Niedersachsen, wo die Brennstoffzellenzüge gebaut werden sollen, dürfte daher von dieser Entwicklung ebenso wenig begeistert sein wie Schleswig-Holstein. Das gerade erst im Aufbau befindliche Image einer Wind-Wasserstoff-Vorzeige-Region könnte ruiniert werden, bevor es sich richtig etabliert hat. |