Der Weg zum neuen Arbeitslosengeld II gleicht einem Hürdenlauf. Betroffene müssen 14 Seiten Formulare ausfüllen und zudem über Wohnverhältnisse und Vermögenslage detailliert Auskunft geben.
Nürnberg (dpa) Vor der Auszahlung des neuen Arbeitslosengeldes II, um dessen Details gestern bis zuletzt im Vermittlungsausschuss gerungen wurde, hat der Gesetzgeber den Papierkrieg gesetzt. Künftige Empfänger der neuen Leistung, mit der zum 1. Januar 2005 Arbeitslosen- und Sozialhilfe verschmolzen werden sollen, müssen bis zu 14 Seiten Formulare ausfüllen. Für Haushalte mit mehr als fünf Personen kämen noch weitere Seiten hinzu, erläutert die Bundesagentur für Arbeit (BA). Mit der Versendung der Fragebögen will die BA Mitte Juli beginnen, kündigte Sprecher Ulrich Waschki an.
Der Fragenkatalog zwingt die Betroffenen quasi zu einem Offenbarungseid. Kaum ein Detail bleibt unausgeleuchtet. So müssen Antragsteller präzise Angaben über ihre Wohnverhältnisse und die gezahlte Miete liefern, ihre Einkommensverhältnisse offen legen, vor allem aber schonungslos Auskunft über ihre Vermögenslage geben. Neben Sparguthaben, Wertpapieren und dem Auto interessieren sich die Arbeitsagenturen auch für Lebensversicherungen, Schmuck und andere Wertgegegenstände, die verkauft werden können.
Strittig ist unter Fachleuten vor allem die Pflicht des Arbeitslosengeld-II-Empfängers, seine Lebensversicherungen zu Geld zu machen. Dazu seien auch jetzt schon Bezieher von Arbeitslosenhilfe verpflichtet, gibt BA-Sprecher Waschki zu bedenken. „Wir haben es hier nicht mit einer Versicherungsleistung wie beim Arbeitslosengeld zu tun. Beim Arbeitslosengeld II finanziert der Steuerzahler den Lebensunterhalt. Bevor dieser in Anspruch genommen wird, erwartet der Gesetzgeber, dass
ein Betroffener erst sein eigenes Vermögen aufbraucht.“
Allerdings gebe es nach dem Alter gestaffelte Freibeträge. Pro Lebensjahr blieben 200 Euro des Vermögens ungetastet. Für Alleinstehende liege die Obergrenze aber bei einem Vermögen von 13 000 Euro, für Verheiratete bei 26 000 Euro. Zudem blieben all jene Altersversorgungen bis zu den genannten Höchstgrenzen unangetastet, die für den Versicherten erst mit Rentenbeginn verfügbar sind.
Probleme beim Ausfüllen des „sehr komplizierten Fragebogens“ erwartet selbst der BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise: „Wir rechnen damit, dass wir in vielen Fällen Stunden brauchen, um die wirtschaftlichen Verhältnisse zu klären“, sagte er unlängst. Abpuffern will die BA den Verdruss Betroffener mit Informationsveranstaltungen in den Arbeitsagenturen. Daneben bieten 500 eigens geschulte Mitarbeiter in einem Call-Center telefonisch Hilfe an.
Der geballte Zorn der knapp 3,1 Millionen Betroffenen dürfte die BA erst nach der Versendung der Bescheide treffen. Denn rund 500 000 Arbeitslosenhilfeempfänger werden nach groben Überschlagsrechnungen beim Arbeitslosengeld II wahrscheinlich leer ausgehen. Anders als bisher werden bei der neuen Leistung die Einkommen des Ehepartners verschärft berücksichtigt; erstmals fließen auch die Einkünfte anderer Haushaltsmitglieder in die Berechnung ein.
Andere Jobsucher, die länger als ein Jahr arbeitslos sind und nach den Hartz-Reformen damit ihren Anspruch auf am früheren Einkommen orientiertes Arbeitslosengeld verlieren, werden finanziell noch tiefer stürzen. Lag die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe laut BA bisher bei 526 Euro, beträgt das Arbeitslosengeld II im Westen künftig nur noch 345 Euro, im Osten 331 Euro. Das Sozialamt kommt für Miet- und Heizkosten auf.
Angesichts des komplizierten Regelwerks rechnen Experten mit einer Einspruchs- und Klagewelle. Obwohl eine Verordnung das vierte Paket der Hartz-Reform präzisiert, überlässt das Gesetz viele Entscheidungen dem Ermessen der örtlichen Arbeitsagenturen. So lässt die Neufassung des Sozialgesetzbuches II offen, was etwa unter angemessenem Wohnraum oder einem angemessenen Pkw zu verstehen ist. Denn nur der bleibt bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II unberücksichtigt. Auch die Frage, wer nun im einzelnen zum Haushalt des Antragstellers gehört, berge viel Zündstoff. „Vielleicht gibt es ja demnächst Kühlschrank-Kontrollen“, frotzelt ein Insider.
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