ftd.de, So, 25.3.2001, 10:00 Geldanlage: Psychologie und Zinssenkungen Von Heinz-Josef Simons und Hans G. Linder
Zwar pumpen die Notenbanken Geld in die Märkte. Doch Anleger warten weiter auf die Wende an den Börsen.
Gegensätzlicher hätten die Reaktionen kaum ausfallen können: Kurz nacheinander senkten die Notenbanken Japans und der USA ihre Zinsen. Aber während am Tokioter Aktienmarkt die Anleger vor lauter Freude dem Nikkei 225 am Börsentag "danach" zu den höchsten Kursgewinnen seit dreieinhalb Jahren verhalfen, liefen die Börsenhändler in New York und Europa mit Leichenbittermienen herum - und prompt rauschten die Aktienkurse erneut in die Tiefe.
Diese entgegengesetzte Entwicklung hängt damit zusammen, dass US-Notenbankboss Greenspan die hoch gesteckten Hoffnungen enttäuschte, Japans oberster Währungshüter Hayami dagegen die relativ geringen Erwartungen mehr als erfüllte.
Tapfere Aktienbullen
Doch trotz der hohen Kursverluste an den amerikanischen und europäischen Märkten geben sich überzeugte Aktienbullen keineswegs geschlagen: Christine Callies, Chefstrategin von Merrill Lynch in New York, sprach davon, dass die Bären zwar eine Schlacht gewonnen hätten, aber den Krieg würden doch die Bullen für sich entscheiden. Sie beruft sich dabei auf die Vergangenheit. Denn auf drei US-Zinssenkungen kurz nacheinander folgten in den vergangenen Jahrzehnten stets steigende Kurse - früher oder später.
Optimisten wie Frau Callies sind allerdings rar geworden. Viele Profis können nicht verstehen, warum die Börsen auf eine von den meisten Experten als im Prinzip richtig angesehene US-Zinsermäßigung um "nur" 0,5 Prozentpunkte - statt erhoffter 0,75 Punkte - so negativ reagieren können. Und sie halten sich mit Käufen zurück, weil sie es als schlechtes Zeichen ansehen, wenn Märkte Entwicklungen, die eigentlich positiv sind, so ungünstig auslegen.
Überraschung
Klaus Töpper, Fondsmanager bei der Deka Kapitalanlage, bringt seine und die Meinung vieler Investmentprofis auf den Punkt: "Die heftige negative Reaktion der US-Börse auf die Leitzinssenkung am Dienstag hat überrascht." Denn jene 50 Basispunkte hätten die Märkte eigentlich erwartet. "Seit 1982 hat es keine Senkung gleich um 75 Basispunkte mehr gegeben", zeigt sich Töpper recht erstaunt über die Enttäuschung der Marktteilnehmer. Doch Unverständnis und noch so überzeugende Erklärungsversuche helfen derzeit, so scheint es zumindest, wenig bis gar nicht. "Die Märkte sind überaus nervös", fasst Thomas Meyer zu Drewer, Leiter Fondsmanagement der HypoVereinsbank-Tochter Activest, die aktuelle Lage zusammen. Derzeit sei "praktisch auf nichts mehr Verlass".
Einen weiteren schweren Schlag gegen die Optimisten lieferte nach der US-Zinsentscheidung jedoch Deutschland. Der Ifo-Geschäftsklimaindex, der als bestes Konjunkturbarometer für Deutsch- und Euroland gilt, gab im Februar weitaus stärker nach als erwartet. Ein deutliches Signal, dass nach Amerika und Asien auch Europa zunehmend in den konjunkturellen Abwärtssog gerät. Mit einem Unterschied: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat als einzige große Währungsbehörde die Zinsen noch nicht gesenkt. Sie spricht weiterhin vom Konjunktur-Sonnenschein, wo doch die Stürme schon den Kontinent erreichen.
Ob EZB-Präsident Wim Duisenberg und sein Team recht zügig die Zinsen lockern werden, scheint fraglich. Für viele Marktbeobachter ist die Zaghaftigkeit der EZB unverständlich. Ralf Schreyer, Rentenfonds-Manager und Vize-Präsident bei der Fondsgesellschaft DWS: "Im Gegensatz zur US-amerikanischen Notenbank glaubt die EZB, dass die Zinspolitik keine stimulierende Wirkung auf die Konjunktur hat. Aber auch in Europa ist die Wirtschaft weitaus zinssensitiver als die Frankfurter Zentralbanker glauben", fasst Schreyer seine Kritik an der zögerlichen EZB-Haltung zusammen.
Trübe Stimmung
Was aber kann die trübe Börsenstimmung in nächster Zeit überhaupt aufhellen? Ein mutiger Zinsschritt der EZB in der Sitzung am kommenden Donnerstag wäre sicherlich ein Lichtblick. Auch die neue Politik der japanischen Notenbank dürfte sich günstig auswirken - wenngleich nicht sofort. Als erstes Land betreibt Nippon jetzt ausdrücklich eine Inflationspolitik, um die lang anhaltende Deflation zu bekämpfen. Das schwemmt viel Liquidität an die Märkte, von der nicht nur Japan einiges abbekommen dürfte, sondern auch die anderen Börsenplätze. Und die neue Geldpolitik hilft mit, das Gespenst einer japanischen Bankenkrise zu verscheuchen, das seit Wochen die internationalen Finanzmärkte erschreckt.
Ansonsten richten sich einige vage Hoffnungen auf den "Ende-März-Effekt". Die meisten Großanleger wie Pensions- und Investmentfonds müssen zum Quartalsende Rechenschaft ablegen. Um vor ihren Kunden einigermaßen gut dazustehen, erhöhen sie in Baissezeiten vor dem Stichtag flugs die Bar- und Anleihenbestände und reduzieren entsprechend den Aktienanteil. Damit wollen sie dokumentieren, dass sie die Marktentwicklungen richtig eingeschätzt und rechtzeitig mit Aktienverkäufen reagiert haben. Dieser Abgabedruck lässt erfahrungsgemäß zu Beginn eines neuen Vierteljahrs nach.
Besonders bedeutsam ist der Effekt in Japan, wo das Geschäftsjahr am 31. März endet. Viele Unternehmen verkaufen in den Monaten zuvor noch Aktien, um ihre Bilanzen aufzupäppeln und die Überkreuzbeteiligungen mit anderen Gesellschaften zu verringern. Diesmal ist der Druck besonders groß, weil ab dem 1. April 2001 neue Bilanzierungsregeln gelten.
Ratlose Börsianer
Auch Fondsmanager sind mittlerweile ob der Vorgänge an den Aktienmärkten zunehmend ratloser. "Der Markt ist kurzfristig nicht mehr zu prognostizieren", lautet eine Einschätzung, die die Meinung vieler zusammenfasst. Die Börsen seien überaus nervös und fast ausschließlich von der Psychologie beeinflusst. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Pessimismus auch unter den ansonsten notorisch optimistischen Profis wächst.
"Auch wenn die Marktteilnehmer über die 50 Basispunkte Zinssenkung enttäuscht sind - ich sehe das positiv", meint Andre Köttner, Fondsmanager der Union Investment. Greenspan habe so sein Pulver trocken gehalten, um die Zügel in den nächsten Monaten weiter lockern zu können. Und: "Auch bei einer Senkung von 0,75 Prozentpunkten hätten die Märkte wohl nicht anders reagiert", gibt Köttner zu bedenken.
Wohl wahr. Der Rat der Profis an die in den vergangenen Monaten arg gebeutelten Kleinanleger: "Risiko breit streuen" (Activest-Experte Meyer zu Drewer); "langfristiger Anlagehorizont von mindestens fünf Jahren" (Union-Manager Köttner). Das klingt nach Pfeifen im Walde und tröstet all jene Kleinsparer wenig, die Anfang vergangenen Jahres mit Begeisterung in die damals siedende Börsensee gehechtet sind.
Die Entscheidung über Wohl oder Weh an den Aktienmärkten wird in den USA fallen. Die Indikatoren müssen eine Konjunkturerholung signalisieren und die Unternehmen zaghaft wieder positive Zahlen melden. Aber das kann dauern. Trotz der Psycho-Börse zeigt sich Klaus Töpper von der Deka letztlich doch optimistisch: "Die Zinssenkungen werden früher oder später wirken. Und Alan Greenspan wird so lange weitermachen, bis die Konjunktur wieder nach oben dreht."
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