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Energie aus Sonne und Wind wird in Ammoniak gespeichert Von Stefan Schmitt 30. März 2021, 16 56 Uhr Editiert am 3. April 2021, 9 26 Uhr
Premiere wird der stinkende Energieträger wohl auf hoher See feiern.
Dieser Stoff hat schon einmal ein Weltproblem gelöst, auch wenn man über ihn gemeinhin die Nase rümpft. Ammoniak ist dem chemischen Laien vom Mist- und Güllegeruch bekannt. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Fritz Haber und Carl Bosch ein Verfahren entwickelt, um das Gas aus Elementen der Umgebungsluft zu gewinnen. Sein Stickstoffanteil machte Ammoniak zur Basis des Kunstdüngers und damit jener gewaltigen landwirtschaftlichen Produktivität, ohne die heute Milliarden Menschen nicht satt würden. Um das Klima zu schützen, interessieren sich Ingenieure jetzt für seinen anderen Bestandteil, den Wasserstoff.
Das Prinzip Während Wasserstoff sehr flüchtig ist, lässt sich Ammoniak leichter lagern und verflüssigen. Seine Strukturformel (NH3) zeigt: Jedes Stickstoffatom bindet drei Wasserstoffatome an sich, die man bei Bedarf wieder herauslösen kann. Wird Energie aus regenerativen Quellen bei der Erzeugung des Ammoniaks eingesetzt, so sind seine drei H-Atome grüner Wasserstoff – von dem die Schwerindustrie Unmengen benötigt, um klimaneutral zu werden. Und oft wäre es nicht einmal nötig, das Ammoniak wieder in seine Bestandteile zu zerlegen. Denn es kann auch, etwa in Kraftwerken, einfach als Brennstoff verfeuert werden.
Die Technik Bezeichnenderweise setzte das dünn besiedelte Australien besonders früh auf Ammoniak als "erneuerbaren Brennstoff aus Sonne, Wasser und Luft" (Science). Dort sind die Potenziale für Sonnen- und Windenergie riesig, potenzielle Abnehmer wie die wasserstoffbegeisterten Japaner aber weit entfernt. Da bietet sich verflüssigtes Ammoniak als Exportgut an. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat in ihrem Szenario einer nachhaltigen Entwicklung längst große Mengen Ammoniak eingeplant. Ein erster Schritt dahin ist es, die fürs Haber-Bosch-Verfahren nötigen hohen Drücke und Temperaturen mit Ökoenergie zu erzeugen. In den Labors suchen Ingenieure aber nach Reaktionsbeschleunigern (Katalysatoren), um grünes Ammoniak auf elegantere Weise zu gewinnen.
Der Haken Ein genereller Vorbehalt gegenüber allen Techniken, die von Ökostrom abhängen, gilt auch hier: Es gibt (noch) viel zu wenig davon. Ein zweiter kommt beim Ammoniak hinzu. Auf konventionellem Wege hergestellt, ist er selbst eine Klimabürde. Nach Berechnungen der Royal Society entfallen rund zwei Prozent des globalen CO2-Ausstoßes auf seine Erzeugung, diese Emissionen muss man erst einmal drücken. Drittens gibt es noch die Zweifel an der Wasserstoffwirtschaft: Wo ist sie sinnvoll? Wie lange dauert der Aufbau der Infrastruktur?
Stand der Dinge Premiere wird der stinkende Energieträger wohl auf hoher See feiern. "Ammoniak hat viele Vorteile, unter anderen jenen, dass man es in Verbrennungsmotoren einsetzen kann", betont die Reedervereinigung International Chamber of Shipping in einer Studie vom November. Schon 2024 könnte der Hersteller MAN, Weltmarktführer bei Schiffsdieseln, den ersten speziellen Ammoniak-Schiffsmotor auf den Markt bringen. Ein Jahr später soll ausgerechnet im Öl-Königreich Saudi-Arabien ein Ökokraftwerk zur Erzeugung grünen Ammoniaks entstehen. An Land haben jüngst Russland und Japan eine Kooperation vereinbart, um sibirisches Ammoniak als Brennstoff in japanischen Kraftwerken zu nutzen. Reift jetzt eine saubere Technik für die NH3-Erzeugung, so könnte dieser Stoff zum zweiten Mal helfen, ein Weltproblem zu lösen.
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