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Auch bei der SPD war es einmal guter Brauch, nur die Delegierten der Parteitage über die Kandidaten für den Vorsitz abstimmen zu lassen. Aber nach drei fatalen Jahren, in denen sie alle Wahlen verloren, sieben Vorsitzende verheizten und unter ihren prominenten Politikern nur noch die Stimmungskanone Olaf Scholz bereit war, die Führung zu übernehmen, setzten die Sozialdemokraten eine Urabstimmung an. Wer immer sich irgendwann als Parteimitglied registrieren lassen hatte, durfte das neue Führungsduo wählen. Der Parteitag würde das Ergebnis absegnen.
Man hätte ahnen können, dass dieses populistische Verfahren ebenso scheitern würde wie alle bisherigen basisdemokratischen Experimente. Mit einem so niederschmetternden Ergebnis hatten dennoch wenige gerechnet. Sechs Monate und 23 Regionalkonferenzen lang war heiß diskutiert worden, und am Ende beteiligte sich nur die Hälfte der Parteimitglieder an der Wahl. Davon stimmten 53 Prozent für die politisch unbeleckte Hinterbänklerin Saskia Esken und den pensionierten Regionalpolitiker Norbert Walter-Borjans (NoWaBo). Die beiden meinen, der echte Sozialismus sei noch nie realisiert worden. Mit der Unterstützung eines Viertels der Mitglieder bestimmen sie den Kurs der SPD und das Schicksal der großen Koalition. Der Berg hat gekreißt und zwei Mäuslein geboren, aber diese haben jetzt die Macht.
Kevin Kühnerts Parteilinke und die Bobo-Pomo-Caffè-Latte-Fraktion stimmten geschlossen für das neue Führungsduo. Leute, die zurück zu Karl Marx und August Bebel wollen, und solche, die spät aufstehen und viel Zeit haben; Studenten, NGO-Aktivisten, Influencer und andere, die irgendetwas mit Medien tun, die Sippe rund um Jan Böhmermann, Herbert Grönemeyer und die Moralapostel von ARD und ZDF, sofern sie nicht schon zu den Grünen gewechselt sind. Die Genossen Frühaufsteher, die Arbeiter und die Angestellten, sowie die Rentner, die sich an bessere Zeiten unter Schmidt und Schröder erinnern, stimmten gar nicht ab oder unterstützten Olaf Scholz und Klara Geywitz. In einer nach der Urabstimmung erhobenen Umfrage (INSA) landete die SPD mit 13,5 Prozent an vierter Stelle hinter der Union (26,5), den Grünen (21,5) und der AfD (15). Der barocke Überbau, der die frühere Volkspartei überwölbt, ihr riesiger Apparat, steht in keinem Verhältnis mehr zu ihrer tatsächlichen Stärke. Um sich, wie man neudeutsch sagt, „ehrlich zu machen“, wären Neuwahlen fällig. Einer vorzeitigen Auflösung des Bundestags aber stehen die materiellen Interessen der sozialdemokratischen Parlamentarier entgegen. Und natürlich die lähmende Furcht vor dem nächsten, dem finalen Debakel. Das Zeitalter der Sozialdemokratie ist zu Ende. Es gibt gerade noch zwei Parteien in Europa, die sich behaupten können. In Portugal, wo der Mindestlohn nur 700 Euro beträgt und die Sozialisten wirtschaftspolitisch konservativ („neoliberal“) regieren; und in Dänemark, wo die Sozialdemokraten in der Immigrationspolitik die rechten Populisten eingeholt haben. Überall sonst geht es scharf links bergab. Am 12. Dezember wird in Großbritannien gewählt. Labour-Führer Corbyn setzt auf Systemkritik und versprüht Antisemitismus, um die Muslime zu gewinnen, aber die Prognosen verheißen ihm nichts Gutes. Zu ihren besten Zeiten waren die Sozialdemokraten nie antikapitalistisch. Es war ihnen klar, dass Wachstum die Priorität hat, weil nur umverteilt werden kann, was erzeugt wurde. Gerhard Schröder, der „Genosse der Bosse“, hat mehr für die Entschlackung der Marktwirtschaft getan als Merkel in 14 Jahren Kanzlerschaft. Heute lässt sich der Wohlfahrtsstaat, mit dem sich die Sozialdemokraten identifizieren, kaum noch finanzieren, geschweige denn weiter ausbauen, und alle anderen linken Themen bewirtschaften die Grünen. Die sozialdemokratischen Parteien gehen unter, weil sie immer weniger gebraucht werden. |