Wie Kunden ihre Einkäufe bezahlen, verändert sich gerade grundlegend. Finanzkonzerne wie Visa experimentieren mit Ringen, Uhren und Venenscannern.
Wenn Nicolas Huss über die Zukunft des Bezahlens spricht, zieht er einen kleinen schwarzen Ring aus seiner Tasche und steckt ihn sich an den Finger. Dann redet der Europa-Chef des Kreditkartenanbieters Visa über den gerade schwer angesagten englischen Designer Henry Holland und darüber, wie die Gäste auf einer von dessen Modenschauen sich mit so einem kleinen Ring am Finger die neuesten Stücke aus der Kollektion kaufen konnten. Einfach den Ring an das Preisschild am Kleidungsstück halten, und schon war der jeweilige Preis bezahlt. Im Laden würde es schon reichen, wenn ein Kunde das Kleidungsstück mit seiner Hand in die Tasche steckt – das Bezahlen ist dann in den Einkaufsvorgang integriert.
Wie Kunden in Zukunft ihre Einkäufe bezahlen, ist eine der wichtigsten Fragen, die die Finanzindustrie derzeit beschäftigt. Im Moment fällt die Entscheidung zumindest an der Ladenkasse meist noch zwischen Bargeld oder Plastikkarte. Doch schon im Internet sind die Bezahlmöglichkeiten mit Paypal, Sofort-Überweisung und Co. um einiges vielfältiger. Und durch die rasante Verbreitung des Internets in alle Lebensbereiche, über Smartphones und überall verfügbares W-Lan, schwappen auch in die Geschäfte in den Innenstädten immer neue Ideen.
Für die großen Kreditkartenanbieter wie Visa und Mastercard stellt sich daher die Frage: Was kommt nach der Plastikkarte? Was ist technisch möglich und was will der Kunde? Womit kommen neue Konkurrenten wie Apple und Google auf den Markt?
„Was wir gerade sehen, ist mehr als eine Evolution, die gesamte Industrie verschiebt sich“, sagt Huss im Gespräch mit der F.A.Z. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Nahfunkkommunikation, die über sogenannte NFC-Chips möglich ist. Sie sitzt heute schon in vielen Kreditkarten und ermöglicht zum Beispiel das Bezahlen an der Supermarktkasse, ohne dass der Kunde seine Karte ins Gerät schieben muss.
Bei Beträgen bis 25 Euro muss er in der Regel nicht einmal seine Pin-Nummer eingeben; einfach Karte vorhalten, fertig. Auch in dem schwarzen Ring an Huss’ Finger sitzt ein NFC-Chip, über den die nötigen Daten für die Bezahlung ausgetauscht werden. Und auch die modernen Smartphones, mit denen Kunden ihre Einkäufe an der Kasse begleichen, arbeiten mit den kleinen Chips. In London ist das kontaktlose Bezahlen bereits selbstverständlich
Die schnelle Ausbreitung des kontaktlosen Bezahlens ist in Huss’ Augen ein wichtiger Schritt für weitere Neuerungen. Die Zahl der Transaktionen, die europäische Visa-Kunden auf diese Weise begleichen, wächst so rasant, dass das Unternehmen gar nicht erst das ganze Geschäftsjahr abwartet. Wenn der September vorüber ist, werden die Kunden laut Huss in den 12 Monaten vorher 4 Milliarden Einkäufe kontaktlos bezahlt haben. Noch von Mai 2015 bis Mai 2016 waren es nur 3 Milliarden Transaktionen gewesen, vor vier Jahren im gleichen Zeitraum nur 200 Millionen.
„Überall in London ist es längst selbstverständlich, den Kaffee einfach kontaktlos an der Kasse zu zahlen. Die Kunden fragen nicht mal mehr“, berichtet der Franzose Huss aus seiner Wahlheimat. Auch an der U-Bahn und an vielen anderen Orten, wo sich sonst für einen kurzen Zahlprozess oft lange Schlangen bilden, haben sich viele Kunden rasch an das reine Auflegen ihrer Karte oder ihres Handys zum Zahlen gewöhnt. Auch in deutschen Portemonnaies finden sich immer mehr Visa-Karten, die zum kontaktlosen Bezahlen geeignet sind. Zum Jahresanfang meldete Visa 4,1 Millionen Kontaktlos-Karten in Deutschland, die an 100000 Kassen eingesetzt werden konnten.
Doch für Huss ist das Auflegen der Karte nur ein Schritt in die nächste Richtung. „Kontaktloszahlen ebnet den Weg zum mobilen Bezahlen, sei es mit Apple Pay, Google Pay oder einem anderen Anbieter. Und egal, ob ich künftig mit meinem Handy, meinem Ring oder meinem Armband bezahlen, nutze ich die gleiche Technik, nämlich NFC.“ Auch bei einer anderen Kooperation, die Visa gerade mit dem Schweizer Uhrenhersteller Swatch eingegangen ist, spielt die Nahfeldkommunikation die entscheidende Rolle. Hier können die Kunden ihre Uhr, die mit dem NFC-Chip ausgestattet ist, zum Bezahlen an der Kasse benutzen. Finanzinstitute legen ihre Hoffnungen auch in biometrische Methoden
In einigen Kantinen in England müssen die Kunden derzeit einfach ihren Zeigefinger in ein kleines Gerät legen, um ihr Essen zu bezahlen. Das liest dann die Venenmuster in dem Finger aus und soll den Kunden zweifelsfrei erkennen. Von seinem Konto wird dann der Betrag abgebucht. Auch in solche biometrischen Identifizierungsmethoden, zu denen auch Fingerabdrücke oder der Iris-Scan zählen, legen die Finanzinstitute große Hoffnungen. Denn sie könnten das Zahlen gleichzeitig sicher und bequem machen.
Eine weitere Zahlmethode gewinnt schon heute immer mehr an Bedeutung, die noch vor wenigen Jahren niemand auf dem Schirm hatte: nämlich das Bezahlen von Waren innerhalb von Smartphone-Programmen oder auch Videospielen. Vor allem jüngere Leute kaufen wie selbstverständlich Zusatzausrüstung, wenn sie in Computerspielen wie dem Sommerhit Pokémon Go schneller vorankommen wollen. Auch in Reiseportalen oder Internetvideotheken wird rasch auf den Kaufen-Button gedrückt. „Noch vor kurzem hat niemand Apps genutzt, und niemand hat sich getraut, seine Karteninformationen im Internet einzugeben“, sagt Huss. „Heute sind In-App-Zahlungen ganz normal.“
Hinterlegt sind für solche Zahlungen meist Kreditkartendaten, was für deren Anbieter auch wieder eine ganz neue Welt eröffnet. Die Branche muss zusehen, dass sie mit den großen Umwälzungen Schritt halten kann oder besser noch Vorreiter dabei ist. Visa und Mastercard stecken daher viel Geld in die eigene Forschung und öffnen sich zunehmend auch den neuen Fintech-Unternehmen. „Der Wettbewerb zwingt uns dazu, mehr auf den Kunden zu achten und für ihn Innovationen zu entwickeln“, sagt Huss. In Berlin, Tel Aviv und London betreibt Visa Europe inzwischen Innovationslabore. „Wir hatten ein sehr abgeschlossenes System, das wir langsam für externe Entwickler öffnen“, sagt Huss.
Dabei hält er auch Kooperationen unter früheren Konkurrenten für immer wichtiger. Vor allem bei den Banken sei es nicht sinnvoll, wenn jeder seine eigenen Lösungen von null aufbaue. Stattdessen sollten sie stärker gemeinsam an neuen Ideen arbeiten oder auf Innovationen von Dritten zurückgreifen. Huss geht von Durchsetzung verschiedener Zahlmethoden aus
Um selbst schneller in der ganzen Welt Neuerungen umzusetzen, hat sich sein eigenes Unternehmen gerade grundlegend umstrukturiert. Die Visa Inc. mit Sitz in San Francisco hat die in London ansässige Visa Europe wieder übernommen. Der Europa-Ableger des Kreditkartenanbieters war zuletzt von mehreren Finanzkonzernen getragen worden, die ihre Anteile nun für insgesamt 16,5 Milliarden Euro verkauften. In den Halbjahreszahlen vieler europäischer Banken wie der Commerzbank, der niederländischen ING und der französischen Großbanken Société Generale und Crédit Agricole brachten die Verkaufserlöse erfreuliche Sondereffekte von teilweise mehreren hundert Millionen Euro.
Doch wie werden wir nun bezahlen in fünf, zehn oder zwanzig Jahren? Alle mit dem Handy, mit der Uhr oder kleinen Ringen am Finger? Huss geht davon aus, dass sich nicht eine einzelne Zahlmethode durchsetzen wird, sondern dass gerade die Auswahl von unterschiedlichen Zahlweisen für unterschiedliche Geschäfte den Reiz für den Kunden ausmachen wird. „Es geht nicht um die Frage, wann ist Europa komplett bargeldlos. Es wird auch nicht nur einen Gewinner in den Zahlungsmethoden geben. Der Vorteil für den Kunden besteht in der großen Auswahl je nach Situation.“ Noch vor wenigen Jahren sei den Kunden vorgeschrieben worden, ob sie mit Karte oder Bargeld bezahlen dürften. „Heute hat der Kunde die Kontrolle über seine Zahlungsarten übernommen.“
http://www.faz.net/aktuell/finanzen/...tPagedArticle=true#pageIndex_2 |