Ganz abgesehen davon, dass das Unterrichten von Nebenfächern recht ordentlich am Ego manch eines Pädagogen kratzt, der sich eigentlich aufgemacht hatte, die Welt zu verbessern (oder wenigstens zu verändern ... nun, ein klein wenig ... vielleicht ...), ist eigentlich kaum ein Lehrkörper immun gegen die unterwürfige Bewunderung jener Schüler, die geradezu sinnlich an seinen Lippen hängen und in der Lage sind, jeden noch so winzigen Tropfen Speichel begierig aufzulecken. Diese Adepten leben wie im "Paradiese" und genießen die (Selbst)-Gerechtigkeit des Allmächtigen:
"Er war von einer ganz ausnehmenden, grenzenlos naiven Ungerechtigkeit, und seine Gunst war hold und flatterhaft wie das Glück. Stets hatte er ein paar Lieblinge, zwei oder drei, die er "du" und mit Vornamen nannte und die es gut hatten wie im Paradiese. Sie konnten beinahe sagen, was sie wollten, und es war dennoch richtig; und nach der Stunde plauderte Doktor Mantelsack aufs menschlichste mit ihnen. [....] Diesen Glückseligen pflegte er die Fehler in den Extemporalien ganz leicht und zierlich anzustreichen, so daß ihre Arbeiten auch bei großer Mangelhaftigkeit einen reinlichen Aspekt behielten. In anderen Heften fuhr er mit breiter und zorniger Feder umher und überschwemmte sie mit Rot, so daß sie einen abschreckenden und verwahrlosten Eindruck machten. Und da er die Fehler nicht zählte, sondern die Zensuren je nach der menge von roter Tinte erteilte, die er an eine Arbeit verausgabt hatte, so gingen seine Günstlinge mit großem vorteil aus der Sache hervor. Bei diesem Verfahren dachte er sich nicht das geringste, sondern fand es vollständig in Ordnung und ahnte nichts von Parteilichkeit."
[Thomas Mann - Buddenbrooks. Elfter Teil, zweites Kapitel] |