Das Gebot der Stunde aber lautet: Du sollst nicht zweifeln. Zweifel an den Zweiflern ist der derzeit einzige Zweifel, der von der Mehrheit der Überzeugten akzeptiert wird. Es ist zum Verzweifeln.
Eine der größten Errungenschaften menschlichen Denkens ist die Skepsis. Ein Wort aus dem Griechischen – natürlich. Bei den alten Griechen ist der ein Skeptiker, der eine Sache von allen Seiten betrachtet und prüft. Denn die Skepsis ist die Mutter aller Erkenntnis. Denken heißt in Frage stellen. Erst das Hinterfragen – die Skepsis – beendete die Tyrannei des Glaubens. Es gibt keinen Wissenschaftler, keinen Philosophen, der nicht Skeptiker wäre.
Heute verdrängen Emotionen das rationale Denken. Deshalb ist das einstige Vorbild, der Skeptiker, in Verruf geraten: als Impfskeptiker, als Klimaskeptiker. Der einst positiv besetzte Begriff ist zur Beschuldigung, ja zum Schimpfwort geworden. Skepsis gilt als Vergehen gegen das vermeintlich Wahre und Gute. Es fällt auf, dass Skeptiker und Leugner stets in einem Atemzug genannt werden. Der Skeptiker ist in den Augen der Überzeugten bereits ein Leugner. Das ist zwar falsch, doch dahinter steckt Absicht. Der Leugner leugnet das Virus und die Erwärmung der Atmosphäre. Der Skeptiker leugnet sie nicht. .... „Wir haben alles richtig gemacht“ (Söder zu den Coronamaßnahmen im Frühjahr 21) ist eine irrsinnige Anmaßung. Gut, es ist nicht jeder zum Denken geboren. Mancher nur zum Führen. Die meisten Wähler wollen keine skeptischen Politiker. Im Gegenteil, sie wollen von ihnen von ihren eigenen Zweifeln befreit werden. Keine Debatten. Wissen, wo es lang geht. Klare Kante. Als stark gilt der Unbeirrbare, nicht der Skeptiker.
Nach einer Umfrage der Oxford-University glauben 53 Prozent der jungen Bürger der EU und Großbritanniens, dass autoritäre Staaten mit der Klimakrise besser zurecht kommen. Das ist beängstigend. ... Die von Skepsis befreite offene Gesellschaft ist aber nicht mehr offen, weder intellektuell noch technologisch. Verbrennerverbot – nichts sonst, Impfpflicht – nichts sonst. Der von Angst Besessene und sich nach Erlösung Sehnende kann Komplexität und Ambivalenz nicht ertragen. Leider wird die Welt immer unübersichtlicher. Gerade deshalb sollten Demokratien nicht von Leuten geführt werden, die Skepsis bekämpfen. Wo die Skepsis endet, beginnt die Tyrannei.
Von Wolfgang Herles
Stimme voll zu! Nur in einer freien Gesellschaft darf hinterfragt werden. Nur dort blühen auch Wissenschaft und Kultur.
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