Energie: Das Ölpreis-Dilemma der Grünen
02.05.2008 | 18:33 | Franz Schellhorn (Die Presse)
Sich für den Abschied von Erdöl auszusprechen ist allemal populär und chic. Dazu muss man nur eines wissen: Mit niedrigen Preisen wird der Ausstieg keinesfalls zu machen sein.
Wirklich leicht hatten sie es ja nie. Am Anfang wurden sie als weltfremde Geografielehrer verspottet, die ihren „Häuptling Seattle“ auswendig aufsagen konnten und mit den Erkenntnissen des weisen Indianers im Gepäck durch die Gegend radelten, um die konsumsüchtige Welt von der Zerstörung der „Mutter Erde“ abzubringen.
Wer sich nun ideologisch am anderen Ufer angesiedelt hat und die wirtschaftspolitischen Positionen der Grünen für antikapitalistische Hysterie einer zu spät gekommenen 68er-Generation hält, wird ihnen eines nicht absprechen können: Erfolg. Wenn heute tausende Menschen Müll trennen, gegen den Bau von Groß-Kraftwerken auftreten, Produkte von Umweltsündern boykottieren und sich für die sündteure Subventionierung immerwährend unrentabler Solaranlagen einsetzen, dann hat das vor allem mit dem Engagement der Grünen zu tun.
Schmerzhafte Lehren
Und heute? Heute haben sich die Positionen der Grünen, nun ja, ein wenig „aufgeweicht“. So halten die einstigen Proponenten hoher Öl- und Spritpreise teures Benzin plötzlich für eine schlimme Sache. Für hohe Grünen-Funktionäre ist eine höhere Mineralölsteuer dieser Tage nicht mehr „zielführend“. Die Parole dazu hat Grünen-Frontfrau Eva Glawischnig ja schon im Sommer 2006 in einem Interview mit dieser Zeitung ausgegeben: „Hohe Benzinpreise täten nur weh. Ich habe keine Lust, die Leute in eine Geldfalle zu locken.“
Da hat wohl jemanden ein wenig der Mut verlassen. Das ist ja auch irgendwie menschlich. Bei Ölpreisen von zehn Dollar je Barrel (159 Liter) lässt es sich schließlich trefflich über die erzieherische Wirkung hoher Benzinpreise philosophieren. Was bei 110 Dollar je Barrel schon nicht mehr so einfach ist. Und jetzt, da die Treibstoffpreise schön langsam in jene Sphären vorstoßen, von denen die Grünen eigentlich immer geträumt haben, wollen sie von teurem Benzin und Diesel nichts mehr wissen.
So etwas nennt man dann absurd: Die Grünen reagieren auf den Höhenflug der Spritpreise nämlich weit panischer als die Autofahrer. Angesichts der gegenüber dem Vorjahr um rund 30 Prozent höheren Preise wird zwar ordentlich auf die gewinnsüchtigen Ölkonzerne geschimpft, die Nachfrage nach Benzin und Diesel ist aber ungebrochen hoch.
Zwei-Euro-Benzin? Nein, danke
Während in der Öko-Partei niemand mehr nach zwei Euro teurem Sprit zu rufen wagt, ist die Schmerzgrenze bei den Verbrauchern offensichtlich noch nicht erreicht – andernfalls würden sie ihr Fahrverhalten ändern. Der Preis ist schließlich jenes Signal, das in der Marktwirtschaft weltweit gehört und auch verstanden wird.
Nicht, dass diese Zeitung höhere Energiepreise für die Lösung aller Probleme hielte: Wer sich aber für den Abschied von Erdöl & Co. ausspricht, muss wissen, dass das mit niedrigen Preisen nicht zu machen sein wird. Nur wenn die Treibstoffpreise ein so hohes Niveau erreichen, dass die Verbraucher bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, wird die Industrie die Suche nach Alternativen vorantreiben und längst ausgereifte Drei-Liter-Motoren auch absetzen können.
Wenn die Grünen nun meinen, den Ausstieg von Erdöl bis zum Jahr 2020 (!) propagieren zu müssen und gleichzeitig so tun, als könnten sie den Verbrauchern die Schmerzen hoher Energiepreise ersparen, ist das zentrale Problem der für viele so sympathischen Oppositionspartei wohl recht gut erklärt. Es wird auch fehlende Glaubwürdigkeit genannt.
Der Ausstieg von Öl und Gas kommt die Verbraucher nämlich auf jeden Fall teuer – zumal Windkraft & Co. auch mit kräftiger Subventionierung alles andere als günstig sind (von der nicht ausreichenden Verfügbarkeit ganz zu schweigen). Fürchten sich die Grünen auf einmal vor den Folgen ihrer eigenen Postulate, ist das in etwa so, als begännen sich liberale Ökonomen plötzlich um die Ertragskraft jener Betriebe zu sorgen, die sich im Zuge des harschen Wettbewerbs mit verfallenden Preisen konfrontiert sehen.
Aber klar: Wer zur Mittelstandspartei aufsteigen will, eckt nicht mehr so gerne an wie eine kleine Splittergruppe, die mit Provokationen punktet. Und wer einmal die geballte Faust des Boulevards zu spüren bekommt, wird schon mal schwach. Selbst, wenn es um die eigenen Prinzipien geht. Schließlich dürfen viele Grüne in der jüngeren Vergangenheit auch erkannt haben, dass hohe Ölpreise nicht nur Benzin und Diesel verteuern, sondern auch Lebensmittel – über den kostspieligeren Transport, vor allem aber über die nach oben schießenden Preise für das Erdölprodukt namens Kunstdünger.
Der Hunger als Spielverderber
Angesichts explodierender Lebensmittelpreise und der Rückkehr des Hungers an seiner Uraltforderung nach möglichst hohen Öl- und Treibstoffpreisen festzuhalten, erfordert naturgemäß eine ganze Menge Mut. Und den kann man sich leider nicht kaufen – nicht einmal im Supermarkt.
Weshalb die Grünen eben auf bequemere Themen ausweichen. Wie die Forderung nach einer generellen Pkw-Maut, einer Grundsicherung für alle, einem Recht auf Arbeitsverweigerung (kein Witz) oder die Einführung der 35-Stunden-Woche „in einem ersten Schritt“. Doch selbst die Umsetzung dieser Wünsche wird nicht ohne Schmerzen über die Bühne gehen. Aber wie gesagt: Leicht hatten sie es ja noch nie, die Grünen. InlineBild franz.schellhorn@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2008) ----------- "Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie ein rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt. |