6.08.2007 - 17:40 Uhr FTD: "Es gibt gute Gründe für eine Panik"
Die Finanzmärkte sind in Aufruhr. Die US-Notenbank Fed pumpte erneut 17 Mrd. $ in den Markt, lehnte aber eine Notfallzinssenkung ab. Experten befürchten inzwischen Auswirkungen auf die weltweiten Wachstumsaussichten. Werbung Die Märkte in Hong Kong, Japan und Südkorea mussten am Donnerstag heftige Abschläge hinnehmen. Auch bei Devisen gab es Verwerfungen: Der neuseeländische Dollar verbuchte den größten Tagesverlust seit dem Aktienmarktcrash von 1987. Selbst der chinesische Yuan, der sonst unter starkem Aufwertungsdruck steht, wurde verkauft. Große Bondemissionen mussten abgesagt werden. So vertagte die brasilianische Regierung am Donnerstag die Emission einer zweijährigen Staatsanleihe. Die US-Notenbank Fed versorgte die Banken mit einer Liquiditätsspritze in Höhe von 17 Mrd. $. "Wir stehen bereit, unsere Operationen auszuweiten", teilte die Fed in einer Stellungnahme mit.
Experten diskutierten bereits Krisenszenarien. "Das ist ein Blutbad. Jeder scheint in Panik auszubrechen. Und es gibt gute Gründe für eine Panik", sagte Patrick Chang, Fondsmanager beim Vermögensverwalter CIMB-Principal Asset Management in Kuala Lumpur. Die Schweizer Großbank Credit Suisse kam zu einer ähnlichen Einschätzung: "Das könnte der Tag sein, an dem sich entscheidet, ob es zu einer gesunden Korrektur kommen wird, oder etwas richtig Böses droht, was auch negative wirtschaftlichen Folgen haben dürfte", schrieben die Zinsstrategen der Credit Suisse. "Es geht schon lange nicht mehr um Subprime-Verluste. Wenn die Schwankungen zunehmen, steigt auch der Value at Risk (VaR). Das wiederum zwingt die Banken dazu, ihre Risikoposition zurückzufahren", hieß es weiter. Der VaR ist ein weit verbreitetes Risikomaß und das mathematische Produkt aus Risikolimite und erwartetem Risiko.
Paulson befürchtet Wachstumseinbußen
Erste prominente Stimmen befürchten, dass sich die Wachstumsaussichten weltweit einzutrüben beginnen. Nach Ansicht von US-Finanzminister Henry Paulson werden die Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten das Wachstum der USA belasten. Gleichwohl seien das Finanzsystem und die Wirtschaft der Vereinigten Staaten stark genug, um die Verluste zu verkraften, sagte Paulson dem "Wall Street Journal". Auch die globale Wirtschaft sei in einem sehr gutem Zustand. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten entsprächen einer Neubewertung von Risiken, die nicht überraschend gekommen sei, sagte Paulson. Die Neubewertung sei "unvermeidlich" gewesen. Wenngleich es wahrscheinlich sei, dass die Marktturbulenzen noch einige Zeit andauerten, sollte nichts unternommen werden, um Marktteilnehmer vor Verlusten zu schützen oder diese gegen Risiken abzusichern.
Vertreter der US-Notenbank Fed lehnten angesichts der Turbulenzen eine baldige Zinssenkung ab. Für die Federal Reserve gebe es keinen Grund, eine Zinssenkung vor ihrer nächsten Sitzung am 18. September in Betracht zu ziehen, sagte der Chef der Federal Reserve von St. Louis, William Poole, am Mittwochabend. Die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten hätten die US-Wirtschaft nicht untergraben. "Zu diesem Zeitpunkt kann man noch nicht sagen, ob die Turbulenzen am Markt den Kurs der Wirtschaft fundamental geändert haben", sagte der Notenbanker. "Offensichtlich sind Auswirkungen festzustellen. Aber wir müssen uns auf wirkliche Belege stützen."
Commercial-Papers könnten Banken in Gefahr bringen
Auslöser für die Verwerfungen ist die Subprime-Krise in den USA. Die Aussichten für den Häusermarkt verdüstern sich zusehends. Die am Donnerstag veröffentlichten US-Immoblienzahlen fielen schwach aus. Die Baubeginne im Juli fielen um 6,1 Prozent, die Baugenehmigungen um 2,8 Prozent. Für den Rückgang der Baugenehmigungen dürften vornehmlich die Hypothekenkrise und die damit verbundenen verschlechterten Kreditvergabebedingungen sein. "Zusammen mit dem gestern veröffentlichten NAHB-Wohnungsmarktindex, der auf 22 gefallen ist und damit ebenfalls auf die fragile Situation am US-amerikanischen Häusermarkt hinweist, sind die Zahlen wenig beruhigend", sagte Ulrich Wortberg, Analyst der Helaba.
Die Subprime-Verwerfungen ziehen immer weitere Kreise. Inzwischen sind auch Übernahmefinanzierungen und der Geldmarkt betroffen. Banken und Investoren halten aus Furcht vor Ausfällen Liquidität zurück, was die Refinanzierung erschwert. Derzeit im Fokus stehen Asset Backed Commercial Papers (ABCP). Das sind kurzfristige Wertpapiere, die mit einem Pool an Forderungen oder Konsumentenkrediten besichert sind und laufend erneuert werden müssen. Mit einem Volumen von 1200 Mrd. $ ist der ABCP-Markt laut der Investmentbank Lehman Brothers das größte Einzelsegment des sehr wichtigen 2200 Mrd. $ großen Marktes für kurzfristige Wertpapiere. Diese Maschinerie gerät ins Stocken, was dazu führt, dass die Banken einspringen müssen. In Deutschland traf das auf die Mittelstandsbank IKB zu, die dann selbst gerettet werden musste.
Die schlechten Nachrichten häufen sich: Die US-Hypothekenanbieter American Home Mortgage und New Century Financial sind bereits insolvent. Ein nächster Kandidat könnte nach Ansicht von Marktexperten der kalifornische Anbieter Countrywide Financial sein, die Aktie erlitt am Mittwoch den größten Tagesverlust seit dem Crash-Jahr 1987. Am Donnerstag teilte das kalifornische Unternehmen mit, Liquiditätslinien von 11,5 Mrd. $ von 40 Banken in Anspruch zu nehmen. Die Ratingagentur Fitch stufte die Bonität von Countrywide herab.
Auch Australien und Kanada betroffen
Ein Kreditfonds der Beteiligungsgesellschaft KKR musste unter Verlusten Baukredite in Höhe von 5,1 Mrd. $ veräußern. In Australien sind Hedge-Fonds-Gesellschaften wie Basis Capital, deren Fonds mehr als 80 Prozent ihres Werts eingebüßt haben, und Hypothekenanbieter wie Rams Home Loans Group betroffen. Rams gelang es nicht, eine Refinanzierung von 6,17 Mrd. australischen Dollar (5 Mrd. $) zu stemmen. "Das Risiko besteht, dass die Käufer von kurzfristigen Geldmarktpapieren, die ohnehin schon nervös sind, sich weigern, nun auch andere Vehikel zu finanzieren. Das würde noch mehr Probleme verursachen und das Bankensystem belasten", schriebt die US-Investmentbank Citi in einer Studie.
Ein Brennpunkt war Kanada. 17 Emittenten von ABCP-Papieren mussten dort um Liquiditätslinien ersuchen. ABN Amro, die Deutsche Bank und acht andere Banken erklärten sich am Donnerstag dazu bereit, ABCP-Papiere zu kaufen, um eine Liquiditätsklemme zu verhindern.
Die Nervosität ließ sich an Kreditderivaten ablesen. Der Index Itraxx Asia Ex-Japan, der 50 Unternehmen aus Ländern wie Thailand und China umfasst, legte am Donnerstag um fünf auf 97 Basispunkte zu. Das bedeutet, dass ein Investor 97.000 $ zahlen musste, um ein Ausfallrisiko von 10 Mio. $ abzusichern. Auch in Japan und Europa legte das Ausfallrisiko zu. Der Itraxx Crossover stieg um 18 auf 378 Basispunkte. Der Kreditderivateindex zeigt, was es kostet, sich gegen das Ausfallrisiko von 50 europäischen Firmen mit schlechter Bonität abzusichern. Er gilt als Indikator für den Risikoappetit der Anleger.
Bei Devisen liquidierten die Investoren Carry-Trades. Bei solchen Transaktionen verschulden sich Anleger in Niedrigzinswährungen wie dem Yen und legen ihr Kapital höher rentierlich im Ausland an. Jetzt drehte sich der Trend um, der Yen legte deutlich zu. Zum neuseeländischen Dollar feiert er aller Voraussicht nach den größten Wochengewinn seit beinahe neun Jahren. In den vergangenen fünf Tagen hat er um mehr als zwölf Prozent zum Kiwi gewonnen. Gegenüber dem Dollar legte er um 3,5 Prozent, gegenüber dem Euro um 5,6 Prozent zu.
Zum Kiwi-Dollar legte der Yen um 6,6 Prozent zu, zum australischen Dollar um 6,2 Prozent. "Schlechte Nachrichten vom Kreditmarkt prügeln den Markt. Investoren, die mit Fremdkapital arbeiten, könnten in Schwierigkeiten geraten. Denn wenn die Liquidität in vielen Vermögensklassen austrocknet, könnte es zu Margin Calls kommen", schrieben die Devisenexperten von Barclays Capital in einem Researchbericht. An den Terminmärkten müssen Sicherheiten, so genannte Margins hinterlegt werden. Ändern sich die Kurse, müssen die Anleger Geld nachschießen.
Die Schwankungen waren extrem. Die implizite Volatilität auf Monatsbasis, die sich an Optionen abliest, stieg beim US-Dollar-Yen-Wechselkurs auf 18 Prozent. Mark Steele, Analyst bei der Bank of Montreal, sieht darin einen Vorboten für weitere Aktienmarktkorrekturen. "Die Geschichte lehrt uns, dass bei einer Volatilität von 30 Prozent auch dier Tiefpunkt an der Börse erreicht sein dürfte Die Schwelle von 20 Prozent ist in Reichweite." Steele vergleicht die Situation mit dem Oktober 1998, als die Volatilität in den Yen-Wechselkurspaaren auf 36 Prozent stieg und der S&P 500 auf das Tief von 959 Punkten fiel.
Auch der Rohstoffmarkt war betroffen. Besonders Industriemetalle litten unter den Börsenturbulenzen. Sowohl Kupfer, als auch Aluminium und Zink mussten am Donnerstag in frühem Handel Abschläge hinnehmen. Neben der Wachstumsskepsis sorgte besonders das Geldmanagementunternehmen Sentinel für Unruhe. Das Unternehmen verwaltet 1,6 Mrd. $ und zählt viele Rohstoffhändler und Clearing-Broker an Terminbörsen zu ihren Kunden. Die Nachricht, dass Sentinel Gelder einfror, verstärkte die Nervosität. Denn sollte Sentinel keine Liquidität bereit stellen, könnten Anleger gezwungen sein, ihre Positionen zu liquidieren. Die größte Energiebörse der Welt New York Mercantile Exchange (Nymex) sah sich gezwungen, eine Mitteilung zu versenden. "Sentinel ist kein Clearing-Mitglied an der Nymex, und die Börse selbst hält kein Kapital bei Sentinel. Alle Clearing-Mitglieder erfüllen ihre Pflichten", teilte die Nymex mit.
Staatsanleihen sind sicherer Hafen
In großem Stil fliehen die Anleger in sichere Anlagen wie Staatsanleihen. Die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen fiel um 10 Basispunkte auf 4,19 Prozent. Das ist der tiefste Stand seit 22 Monaten. In Deutschland stürzte die Rendite zweijähriger Bonds sogar um 22 Basispunkte auf 3,9 Prozent. "Liquidität bleibt Trumpf. Konjunkturdaten werden kaum gegen die Stimmung ankommen", schreiben die Zinsstrategen der Commerzbank in einem Researchbericht. "Die Flucht in Qualität dominiert momentan das Geschehen über alle Vermögensklassen hinweg, wohingegen die Fundamentaldaten weitgehend ignoriert werden", schreiben die Experten der WestLB in einem Researchbericht.
Entgegen den Aussagen von Fed-Gouverneur Poole rechneten die Marktteilnehmer mit einer baldigen Zinssenkungen der Fed. Eine Senkung des Leitzinses am 18. September ist bereits vollständig eingepreist. "Das kurze Ende der Zinskurve nimmt bis Mitte 2008 eine Lockerung der Zinszügel um über 50 Basispunkte vorweg" schrieben die WestLB-Analysten.
Autor/Autoren: Tobias Bayer (Frankfurt)
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