TSP.v.08.12.2006
Die Unwetterwarnung 2007 stürzt die US-Wirtschaft ab, sagt der Ökonom Nouriel Roubini. Erst haben sie gelacht, jetzt fürchten viele: Er könnte recht haben
Von Harald Schumann, New York
An bösen Spitznamen mangelt es ihm nicht. Er sei der „archetypische Eeyore“, gleiche also dem stets pessimistischen Esel aus dem Märchen von Puh, dem Bären, schrieb ein Experte der US-Notenbank. Einen „Doktor Seltsam der Makroökonomie“ nannte ihn ein Kollege in einem viel gelesenen Online-Forum für Ökonomen. Er vertrete „extreme Ansichten“, urteilte auch das „New York Magazine“. Doch Nouriel Roubini, der so gescholtene Wirtschaftsprofessor der New York University, lächelt nur schelmisch, wenn er die Anfeindungen kommentieren soll. „Das gehört zur Meinungsfreiheit“, sagt er, „manche fühlen sich eben provoziert.“
Das hat Roubini freilich auch billigend in Kauf genommen. Denn der Karriereökonom mit weltweiten Verbindungen verkündet schon seit Jahren, was die große Mehrheit seiner Landsleute und Wissenschaftlerkollegen gar nicht hören will: Amerika habe sich im In- und Ausland zu hoch verschuldet, sagt er. Zudem gebe es am Immobilienmarkt eine Spekulationsblase. Die Preise seien so überhöht wie vordem die Aktienwerte während des New-Economy-Booms. Der Kollaps sei unvermeidlich, der Reichtum vieler Hausbesitzer nur eingebildet. Schlimm genug, dass er damit dem Land den Spiegel vorhält und Regierung wie Bürgern vorwirft, dass sie über ihre Verhältnisse leben. Wirklichen Ärger provoziert aber Roubinis härteste Prognose: Spätestens im Frühjahr 2007 werde die US-Wirtschaft in eine schwere Rezession geraten und die Weltökonomie erschüttern, schrieb er im vergangenen Juli.
Die kühne Vorhersage war nicht willkommen, aber sie bescherte Roubini über Nacht erheblichen Ruhm in den US-Medien. Schließlich widerspricht sie fundamental den Aussagen von Ben Bernanke, Amerikas mächtigstem Ökonomen an der Spitze der Notenbank Federal Reserve. Der Fed-Präsident und mit ihm die Mehrheit von Amerikas Wirtschaftsauguren verheißen den US-Bürgern bis heute lediglich eine „sanfte Landung“ der US-Konjunktur ohne gravierende Einschnitte.
Noch ist der Disput höchst ungleich. Gemessen an Bernankes Bedeutung ist auch Roubini ein kleines Licht. Behält er aber recht – und alle jüngeren Daten von den fallenden Immobilienpreisen bis zum Rückgang der Industrieinvestitionen sprechen dafür – dann steigt er im nächsten Juli, wenn die offiziellen Konjunkturdaten fürs erste Halbjahr vorliegen, wohl in die Spitzenliga von Amerikas Ökonomen auf.
Eine solche Karriere war dem Mann mit dem exotischen Namen und dem südländischem Charme nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Als Sohn persischer Juden wurde er in Istanbul geboren, weil seine Eltern aus dem revolutionären Iran der Mullahs fliehen mussten. Später zog die Familie weiter nach Italien, aber den Sohn hielt es da nicht. Nach dem Wirtschaftsstudium gelang ihm als Doktorand der Sprung an die US-Elite-Uni Harvard. Und dort entdeckte er seine Leidenschaft: Die komplexe Mechanik der globalen Märkte wurde das Thema, das ihn bis heute nicht losgelassen hat.
Was folgte, hätte eine ganz gewöhnliche akademische Karriere werden können, wäre nicht plötzlich im Sommer 1997 jene dramatische Finanzkrise hereingebrochen, die erst Südostasien traf, später auf Russland und Brasilien übergriff und schließlich sogar das Weltfinanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs trieb. „Zunächst wusste niemand, wie es eigentlich dazu kam“, erinnert sich Roubini, „der Informationsfluss zwischen Investoren, Politik und Forschung verlief völlig getrennt.“ Das brachte ihn auf eine zündende Idee: Mit Hilfe seiner Studenten startete er eine Webseite, die alle verfügbaren Texte und Studien zum Thema zusammentrug und für jedermann abrufbar bereithielt.
Der Erfolg war durchschlagend. „Plötzlich hatten wir 10 000 Leser jeden Tag“, sagt Roubini. Der britische „Economist“ kürte die „Asia Crisis Homepage“ zur besten Wirtschafts-Webseite des Jahres, und der damalige Finanzminister Lawrence Summers berief Roubini in seinen Beraterstab. Das Intermezzo in der Politik fand mit dem Regierungswechsel im Jahr 2000 ein Ende, aber das Projekt blieb. „Mach ein Unternehmen daraus, sagten meine Freunde“, erzählt Roubini, und er folgte dem Rat. Er hatte zwar „vom Geschäft keine Ahnung“, gestand er Kollegen. Aber mit der kalifornischen Geschäftsfrau Camilla LeBlanc fand er eine Partnerin, die aus Silicon Valley die Erfahrung mitbrachte, wie mit einer guten Idee und einem guten Namen Geld zu verdienen ist.
Heute, mit 49 Jahren und seit nunmehr zehn Jahren auch amerikanischer Staatsbürger, ist Roubini nicht mehr nur Wissenschaftler, sondern auch Unternehmer. Denn heraus kam die Firma „Roubini Global Economics“ (RGE), die mit ihrem „Monitor“ (www.rgemonitor.com) zu einem der ungewöhnlichsten Unternehmen der New Yorker Internetszene herangewachsen ist. Darum empfängt Roubini seine Besucher neuerdings in einem schlichten Großraumbüro im elften Stock eines Bürohauses in Downtown Manhattan, wo die junge Firma residiert.
Die Wände sind noch kahl und nur mit ein paar Aufgabenlisten beklebt, aber es geht geschäftig zu. Während der Chef seinen Besucher an den letzten freien Tisch im Raum schickt, fertigt er noch schnell einen Interneteintrag. An den übrigen eng gestellten Arbeitsplätzen sind 25 junge Ökonomen damit beschäftigt, Analysen und Studien aus aller Welt über fast jeden Aspekt des globalen Wirtschaftsgeschehens zusammenzutragen.
Das Produkt ist beeindruckend. Nirgendwo sonst finden Forscher, Finanzanalysten oder Journalisten so viele Informationen über die global vernetzte Ökonomie und Politik. Nur wenige Forscher sind so nahe dran an dem Phänomen, was Soziologen und Ökonomen globale Interdependenz nennen. „Alles ist miteinander verbunden, Märkte und Politik beeinflussen sich fortwährend gegenseitig“, erklärt Roubini. Doch es gebe eben fast nie die eine sichere Quelle. „Darum präsentieren wir die unterschiedlichsten Ansichten“, begründet er die große Vielfalt .
Dabei reicht die Bandbreite der Themen von den schwindenden Getreidevorräten und ihrem Einfluss auf die amerikanische Exportbilanz über den Verbleib der billionenschweren Einnahmen der Ölexportländer bis zum Streit über das iranische Atomprogramm und den möglichen Folgen für den Ölpreis.
Die Quellen für die Materialfülle sind Banken, Medien, Forschungseinrichtungen, Ämter und Regierungen. Fast alles davon ist öffentlich zugänglich. Doch die Kunden sparen die Zeit für die Recherche, und das ist vielen einen Haufen Geld wert. Bis zu 20 000 Dollar jährlich bezahlen Investmentbanken oder Fonds-Manager für den Zugang. Universitäten und andere Non-Profit-Organisationen sind mit 5000 Dollar dabei. Trotz der hohen Kosten gewann RGE schon im ersten Jahr mehr als 3000 Kunden aus aller Welt, darunter allein 20 verschiedene Zentralbanken. Der RGE-Monitor sei die „beste Webseite zur Makro-Ökonomie, die ich je gesehen habe“, bekannte etwa der stellvertretende Gouverneur der polnischen Zentralbank, Krysztov Rybinski.
Der Zuspruch bei Notenbankern und Finanzmarktbehörden geht zurück auf die Expertise, die Roubini und sein bester Mann, der Währungsökonom Brad Setser, selbst beisteuern. In ihren Online-Tagebüchern (Blogs) verfolgen sie im Detail das vielleicht größte Risiko der Weltökonomie: das extreme Ungleichgewicht zwischen der US-Wirtschaft und dem Rest der Welt. Weil Amerika seit langem mehr konsumiert, als es selbst an Gütern und Dienstleistungen herstellt, hat das Defizit in der amerikanischen Leistungsbilanz mittlerweile extreme Ausmaße angenommen. Jeden Tag benötigt die US-Ökonomie mehr als zwei Milliarden Dollar Auslandskapital auf Pump, um die Ausgaben für Konsum und Militär zu finanzieren. Weit über die Hälfte davon steuern die Notenbanken Asiens und der Ölexportländer bei. Sie bringen auf diesem Weg die Erlöse ihrer Staaten aus den Exportüberschüssen in amerikanischen Schuldtiteln unter und halten ihre Währungen gegen den Markt auf einem Festkurs zum Dollar. Ganz vorne steht China, dessen Zentralbank inzwischen einen Devisenschatz von einer vollen Billion, also 1000 Milliarden Dollar hält.
Roubini hält das für eine „höchst riskante Ironie der Geschichte“. Die Supermacht USA lasse sich „von ihren Rivalen finanzieren“, das könne nicht gut gehen. Eine Weltmacht und Eignerin der Weltwährung müsse Netto-Gläubiger und nicht der größte Schuldner der Welt sein. So aber seien die USA erpressbar, warnt er und erinnert an die bittere Erfahrung der Briten während des Krieges gegen Ägypten um den Suez-Kanal im Jahr 1956. Damals war es die US-Regierung, die das Vereinigte Königreich zum Rückzug zwang, indem sie den hoch verschuldeten Briten mit einem Absturz des Pfund drohte. „Heute könnte China jederzeit dasselbe mit uns machen“, sagt Roubini. Zwar seien die Chinesen auf den amerikanischen Markt genauso angewiesen wie die USA auf das chinesische Geld, darum halte das System noch. „Aber es ist instabil“, warnt der Makrodenker aus New York. Der Kreislauf aus wachsenden Schulden für immer höhere Defizite bilde mit der Immobilienblase und dem Trend zu Schutzzöllen gegen China „eine giftige Mischung, die zur Explosion an den Finanzmärkten führen kann“, warnt er in einem Blog-Eintrag.
Opponenten wie etwa der langjährige Chef der Rating-Agentur Moody’s, David Levey, sehen in Leuten wie Roubini dagegen nur „Möchtegern-Kassandras“. Tatsächlich seien die USA aber „wirtschaftlich führend bei neuen Technologien“, das sichere die Attraktivität für ausländische Investoren, die Gefahren der Überschuldung würden „übertrieben“.
Mittlerweile steht das Problem allerdings auch auf der Agenda der Weltpolitik ganz oben. Keine Tagung des Internationalen Währungsfonds vergeht ohne eine Debatte über die „globalen Ungleichgewichte“. Doch Roubini hat wenig Vertrauen auf eine einvernehmliche Lösung. Zwar sei allen klar, was nötig wäre. In den USA müssten Regierung und Bürger mit dem Sparen beginnen. Gleichzeitig sollten China und die Ölstaaten ihre Währungen aufwerten lassen und ihre Reserven in reale Investitionen umschichten. „Doch keiner will den ersten Schritt machen“, sagt Roubini. Auch Politik sei nur ein Kurzfristgeschäft bis zum nächsten Wahltermin. „Da regiert die Verdrängung“, sagt er, das habe er im Ministerium selbst erfahren. „Wir brauchen erst eine große Krise, bevor die Politik handeln kann.“ Auslöser dafür könnte schon die kommende Rezession in den USA sein, sagt er und hält für einen Moment inne. Nein, versichert er dann, „ich bin kein Untergangsprophet“, eine weltweite Depression wie in den 30er Jahren werde es nicht geben. „Aber die Folgen werden schmerzhaft, auch für Europa.“
Hier noch der Link: www.rgemonitor.com |