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Stille Hilfe für die NPD
Wieder rätselt die Regierung, warum unbekannte Abgeordnete die Rechtsradikalen unterstützen.
Georg Milbradt ist ratlos.
Foto: ddp
Als die Stimme des Ministerpräsidenten immer schärfer wurde, horchten die Besucher auf der Tribüne des Dresdner Landtags auf. Das war nicht der leidenschaftslose, sachliche Redner, als den sie Georg Milbradt kennen.
Er klang emotional, sogar wütend. Ohne nach ganz rechts zu blicken, nahm Milbradt sich den Fraktionsvorsitzenden der rechtsextremen NPD-Fraktion, Holger Apfel, vor.
"Ich schäme mich dafür!"
Er erinnerte daran, dass das Bild, wie Apfel nach dem Wahlerfolg in Sachsen den rechten Arm zum Gruß erhob, um die Welt gegangen sei. In Berlin werde schon vom „sächsischen Gruß“ gesprochen, klagte er und rief aus: „Ich schäme mich dafür!“
Dann ließ der Christdemokrat in seiner Regierungserklärung eine Analyse der Strategien der Rechtsextremisten folgen, wie sie in dieser Schärfe noch niemand von ihm gehört hatte.
Er verlas Sätze von Joseph Goebbels, in denen der NS-Propaganda-Chef lange vor der Machtergreifung erklärt hatte, wie die Nationalsozialisten die Parlamente nutzen wollten: „Wir kommen als Feinde. Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“
Und dann attackierte Milbradt die Rechten: „Sie wollen dieser Wolf sein!“ Das jedoch „werden wir nicht zulassen“, versicherte Milbradt und skizzierte seine Vision für ein weltoffenes Sachsen, für das die Parole „Grenzen dicht“ die „denkbar dümmste Handlungsoption“ wäre.
Klares Zeichen, stumme Hilflosigkeit
Im Saal applaudierten auch Parlamentarier der anderen demokratischen Parteien. Ein so klares Zeichen hatte dieser Ministerpräsident noch nie gesetzt.
Vier Stunden später sprach niemand mehr davon: Bei der Wahl der neuen Ausländerbeauftragten bekam der NPD-Kandidat Mirko Schmidt zwei Stimmen mehr, als die NPD-Fraktion Sitze hat.
Auf Milbradts Demonstration der Stärke vom Donnerstagmorgen folgte stumme Hilflosigkeit – der sächsische Ministerpräsident tauchte ab. Die Spitzen der rechtsextremen NPD zeigten derweil offen ihre Heiterkeit.
» Wer nicht offen aufbegehrt, den kann man kaum disziplinieren. «
Gewählt wurde zwar die Christdemokratin Friederike de Haas. Aber auch ihr Ergebnis konnte Milbradt nicht erfreuen: 75 Stimmen hätte die frühere Gleichstellungsministerin, so die Kalkulation, erhalten müssen.
Alle 55 Abgeordneten der CDU hatten in zum Teil langen Einzelgesprächen vor der Wahl erklärt, dass sie ihre Parteifreundin unterstützen würden.
Auch die 13 Sozialdemokraten wollten de Haas wählen; dazu die oppositionelle FDP, deren sieben Mandatsträger aus „staatspolitischer Verantwortung“ die Regierungskandidatin stützen wollten.
Doch statt der 75 Stimmen erhielt sie nur 70. Wieder fehlten fünf Stimmen, wie schon bei Milbradts Wahl zum Ministerpräsidenten. Wieder setzte die hilflose Suche nach den Unbekannten ein.
Noch vor vier Wochen hatten Christdemokraten und Teile der SPD die PDS bezichtigt, die doch – man erinnere sich an Weimar – ein Interesse an einer instabilen Demokratie habe.
Doch das erwies sich diesmal als absurd: Die PDS-Stimmen waren diesmal offenkundig alle an eine PDS-Kandidatin gegangen.
Geheime Wahl gibt Anlass zu Beschuldigungen
Weil es sich um eine geheime Wahl handelte, konnte Milbradt immerhin weiter reklamieren, dass die Abtrünnigen inklusive der heimlichen Neonazis bestimmt nicht aus der Koalition stammten.
Doch diese Version müsste bedeuten, dass die FDP die Urheberin war. Daran scheint Milbradt selbst so wenig zu glauben wie an extrem rechtsauslegende Sozialdemokraten. In der SPD freut man sich immer noch so sehr, erstmals mitregieren zu dürfen, dass solches Kamikazeverhalten den Genossen kaum jemand zutraut.
Alle Verweise auf andere helfen Milbradt nicht aus der blamablen Situation. Nur drei Monate seit der Landtagswahl im September haben gereicht, um Sachsen – jahrelang Sinnbild für politische Stabilität im Osten – als Hort des politischen Chaos erscheinen zu lassen.
Intern hat Milbradt am gestrigen Freitagmorgen vor der CDU-Fraktion noch einmal mit scharfen Worten zur Geschlossenheit gemahnt. Aber ihm fehlt das Instrumentarium, um Irrläufer auf Linie zu bringen – schon weil ihre Motive unklar sind: Wer nicht offen aufbegehrt, den kann man kaum disziplinieren.
Zwar wird spekuliert, ob ein anderer Fraktionschef als der oft belächelte Fritz Hähle mehr Bindungskraft entwickeln könnte. Aber echte Alternativen kennt niemand.
Schmerzhafte Denkzettel
In der Union wird vermutet, dass es den Abtrünnigen um schmerzhafte Denkzettel für Milbradt gehe. Mit verklärtem Blick würden manche an die Ära Biedenkopf erinnern, in der der Landesvater mehr Glanz verbreitet habe.
Unsicher sind einige Christdemokraten, ob nicht Hinterbänkler aus ihrer Fraktion stille Sympathie für die Rechtsextremisten hegen: Es gibt unter den 55 direkt gewählten CDU-Abgeordneten einige, die sich weder öffentlich noch in der Fraktion zu Wort melden.
Darunter seien manche, so berichten prominente Christdemokraten, die man selbst kaum kenne und einschätzen könne.
Ist Milbradt nun ein Premier auf Abruf? Noch stabilisiert ihn ausgerechnet jener Umstand, der ihn so hilflos macht: Es gibt keine offene innerparteiliche Opposition.
Potenzielle Konkurrenten wie Kultusminister Steffen Flath stehen zu ihm. So wird der Regierungschef weiter mit einer Mehrheit regieren, die er nicht hat.
Fürs Tagesgeschäft trösten sich praktische Geister in der CDU damit, dass ja nur selten geheime Abstimmungen anstehen. Skeptiker aber suchen den Kalender nach Terminen für die nächsten Nagelproben ab.
(SZ vom 11.12.2004)
Absoluter Neuling