Interview „Amerika lebt auf Kosten der Zukunft”
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04. November 2004 In Amerika darf Präsident George Bush also weiterregieren. Allerdings dürfte er seine bisherige Politik kaum fortsetzen können. Diese Quintessenz läßt sich zumindest aus dem folgenden Interview ziehen, welches FAZ.NET mit Professor Barry Eichengreen von der University of California in Berkeley führte.
Eichengreen beschäftigt sich mit wirtschaftspolitischen Fragestellungen und dabei vor allem auch mit den verschiedenen Wirtschafts- und Währungskrisen der Vergangenheit. Er empfiehlt sowohl Amerika als auch Europa, ihre Verschuldungspolitik zu zähmen. Er rechnet mit einem schwachen Dollar, einem schwachen amerikanischen Rentenmarkt und damit, daß China die Bindung des Yuan an den Dollar bald lockern wird. Amerika hat alles richtig gemacht, indem es mit tiefen Zinsen, tiefen Steuern und rasch steigenden Schulden die Wirtschaft nachhaltig ankurbelte, sagen manche Experten. Würden Sie diesen zustimmen? Die amerikanische Wirtschaft entwickelte sich gut, aber auf Kosten der Zukunft. Nach der geplatzten Technologieblase in den 1990n wurde die Konjunktur mit gewaltigen monetären und fiskalischen Impulsen gestützt. Die Folge: Budgetdefizite soweit das Auge blicken kann. Nun muß die Notenbank die Zinsen normalisieren, obwohl die Konjunktur schwächelt. Ich fürchte, die Anleger - vor allem die asiatischen Zentralbanken - könnten das Vertrauen in die Verschuldungspolitik des Landes verlieren und das Doppeldefizit nicht mehr finanzieren. Dann würde der Dollar fallen, die Importpreise steigen lassen und die Zentralbank zu weiteren Zinserhöhungen zwingen. Eine Mischung zwischen lockerer Fiskalpolitik und straffer Geldpolitik wäre das letzte, was das Land braucht, um die von der „New Economy” noch übriggelassenen Investitionsmöglichkeiten zu nutzen. So blicke ich reichlich skeptisch in die Zukunft. Sollte Europa den Stabilitätspakt aufgeben und dieselbe Politik verfolgen? Auch Europa hat Probleme mit der Mischung der wirtschaftspolitischen Impulse. Es würde besser fahren, wenn es eine straffere Fiskalpolitik mit einer lockeren Geldpolitik kombinieren würde. Tiefe Zinsen würden für ein investitionsfreundlicheres Umfeld, die schnellere Aufnahme neuer Technologien und für Produktivitätswachstum sorgen. Eine bessere Politik wird aber sicherlich nicht von der Europäischen Kommission ausgehen, der Stabilitätspakt ist ganz klar tot. Die fiskalische Disziplin muß in den Heimatländern beginnen. Die Impulse dazu werden von den Wählern ausgehen, die verschuldungsversessene Regierungen abstrafen und nicht von den Brüsseler Bürokraten. Die amerikanischen Konsumenten sind stark verschuldet, die Sparquote ist sehr tief, die Leistungsbilanz- und Budgetdefizite sind groß und nehmen zu, manche Preise wie für Häuser, Anleihen und Rohstoffe explodieren - ist das nicht ein ziemlich instabiler Zustand? Es gibt Argumentationsweisen - ich nenne es die Deutsche-Bank-Theorie, da sich das Haus diesbezüglich stark exponiert hat -, nach welchen alles bestens ist. Ich fürchte, einige Marktteilnehmer mit einer Schlüsselrolle, das sind die asiatischen Zentralbanken, werden zunehmend nervös über die Aussichten des Dollars. Sollten sie ihre Nachfrage dämpfen, würde der Dollar fallen und die Importpreise anheizen. In diesem Fall müßte die amerikanische Zentralbank die Zinsen schneller und stärker anheben als der Markt es erwartet. Die Häuserpreise wären dann sehr wahrscheinlich „das erste Opfer”. Was läßt sich dagegen tun? Das wichtigste wäre, daß sowohl die Amerikaner als auch die Europäer sofort gegen die zunehmende Verschuldung angehen. Leider ist das leichter gesagt als getan. Ich bezweifle, ob die Politiker die Bedeutung des Problems erkannt und das Format haben, es tatsächlich auf die Agenda zu setzen. Genau das läßt mich aber skeptisch auf die wirtschaftliche Zukunft blicken. Es gibt die Vermutung, Amerika könnte den Dollar absichtlich abwerten lassen, um auf diese Weise die Probleme zu lösen. Kann das überhaupt funktionieren, da die asiatischen Währungen mehr oder weniger an den Dollar gebunden sind? Ich denke, die asiatischen Zentralbanken werden ihre Währungen eher früher als später aufwerten lassen. Die Schlüssel liegen in China und Japan. China hat in der vergangenen Woche das erste Mal seit neun Jahren den Leitzins angehoben. Das deutet darauf hin, daß das Land an die Grenzen administrativer Maßnahmen gestoßen ist und nun zu marktbasierten Instrumenten übergehen muß, um die überhitzte Wirtschaft abzukühlen. Ähnlich wie der Leitzins gehört dazu der Wechselkurs. Da die chinesischen Kapitalverkehrskontrollen immer unwirksamer werden, müssen sie den Wechselkurs freigeben. Er wird schrittweise flexibilisiert werden. Der Zeitpunkt wird von Japan abhängen und von der Frage, ob dort die Deflation ein Ende gefunden hat. Das weiß noch niemand genau. Sind die Dollarbindung des Yuan und die massiven japanischen Interventionen nicht eine spezielle Form von Protektionismus? Ich würde es nicht so nennen. Denn die Schwächung des Yen war die einzige Möglichkeit Japans, gegen die Deflation anzugehen. China hat das Wachstum über die Exporte angekurbelt. Beide Argumente scheinen allerdings langsam zu verblassen. Geht diese Wechselkurspolitik nicht zulasten Europas, das die Hauptlast des Anpassungsprozesses in Form eines zu starken Euro tragen muß, obwohl es mit seinen eigenen strukturellen Problemen genug zu schultern hat? Die Ökonomen der Deutschen Bank zeigen sich zufrieden mit dem gegenwärtigen Zustand der globalen Wirtschaft und vergessen Europa dabei völlig. Und das ist überhaupt nicht glücklich. Die Klagen Europas sind in meinem Augen ein weiterer Grund dafür, daß sich die Zustände bald ändern könnten. Kann sich China einen flexibleren Wechselkurs überhaupt leisten, ohne zuvor seine Wirtschaft zu restrukturieren? Je stärker das Land seine Wirtschaft umbaut, um so besser. Aber es kann es sich nicht leisten, erst das Bankensystem und die Staatsunternehmen zu sanieren, um erst dann die Yuan-Bindung zu lockern. Glücklicherweise muß es nicht darauf warten, denn die Banken haben kein Auslandsgeschäft und die Staatsbetriebe sind keine großen Exporteure. Es wird zunächst nicht zu einer großen Aufwertung kommen, sondern zu einem begrenzten Währungsband. Und das kann es praktisch sofort einführen. Würde die Aufgabe der festen Yuan-Bindung an den Dollar das globale Wirtschaftswachstum bremsen? Wenn der Yuan nur wenig aufwertet und wenn dieser Prozeß kombiniert wird mit vernünftigerer Fiskalpolitik in Europa und in Amerika, dann wäre diese Kombination gut für die Weltwirtschaft. Wenn aber die Staatsausgaben vor allem auch in Amerika nicht deutlich reduziert werden, dann wird ein weiterer Dollarverfall die Immobilienpreise unter Druck setzen, da Anleger anziehende Preise und steigende Zinsen antizipieren werden. Unser wirtschaftliches Schicksal liegt damit in den Händen Washingtons und nicht Pekings. Welche Schlüsse kann man als Privatanleger daraus ziehen? Wenn sie meine skeptische Meinung teilen, werden sie Dollar und amerikanische Staatsanleihen verkaufen. Das Gespräch führte Christof Leisinger
Text: @cri Bildmaterial: B. Eichengreen
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