Der Riese wankt. Der US-Hausfinanzierer Fannie Mae gerät nach dem Rauswurf seines Chefs Franklin Raines in Bedrängnis. Ohne Führung muss das drittgrößte US-Finanzinstitut mit einer Bilanzsumme von 1009 Mrd. Dollar sich gegen scharfe Kritik an seinen Bilanzmethoden und gegen strafrechtliche Ermittlungen wehren.
NEW YORK. Mit der Entlassung Raines’ und seines Finanzvorstands Timothy Howard erreichte der Skandal vergangene Woche einen Höhepunkt. Die US-Finanzaufsicht SEC und die Regulierungsbehörde Ofheo werfen Fannie Mae vor, jahrelang falsch bilanziert zu haben. Fannie Mae muss nun seine Zahlenwerke für die Jahre 2001 bis 2004 neu berechnen. Dabei droht ein Fehlbetrag von insgesamt neun Mrd. Dollar in der Bilanz, teilte das Unternehmen im vergangenen Monat mit. Das entspricht mehr als dem Gesamtgewinn des vergangenen Jahres von 7,9 Mrd. Dollar.
Kritiker wie der Finanzberater Bert Ely erwarten weitere Konsequenzen bei Fannie Mae. „Das ist erst der Anfang, weitere Entlassungen könnten folgen“, sagte Ely der Zeitung „Financial Times“. Neben der SEC und Ofheo prüfen Ermittler des US-Justizministeriums, ob die Bilanzfehler strafrechtliche Folgen haben.
Das massive Vorgehen der Behörden überraschte das einst bewunderte Unternehmen und seinen mächtigen Ex-Chef Raines. Gemeinsam mit der kleineren Schwester Freddie Mac hält oder garantiert Fannie Mae private US-Baukredite im Wert von 7,7 Bill. Dollar. Das entspricht 47 Prozent des Gesamtmarkts. Raines leitete in den 90er-Jahren als Budgetchef von US-Präsident Bill Clinton die Haushaltsplanung. Vor der Präsidentschaftswahl im November noch galt Raines als Kandidat für das Amt des Finanzministers, falls der demokratische Kandidat John Kerry gesiegt hätte. Doch die Wiederwahl von George W. Bush machte die Pläne zunichte.
Fannie Mae muss nun zunächst sein explosives Wachstum zügeln, sein Kreditportefeuille reduzieren und womöglich frisches Kapital einsammeln, um das drohende Milliardenloch in der Bilanz zu stopfen. Mittelfristig müssen Fannie Maes neuer Chairman (Aufsichtsratschef) Stephen Ashley und der neue Vorstandschef Daniel Mudd ein neues Geschäftsmodell finden. Denn die Angriffe von Behörden, Politikern wie US-Finanzminister John Snow und selbst US-Notenbankchef Alan Greenspan gefährden die Erfolgsformel von Fannie Mae und Freddie Mac. Beide profitierten bisher von ihrer einzigartigen Struktur, die öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Elemente vermischt. So entstanden beide Finanzierer ursprünglich auf Erlass des US-Gesetzgebers, um das private Wohneigentum zu fördern. Dazu kaufen Fannie und Freddie private Baudarlehen von Banken, die sie behalten oder gebündelt in Hypotheken-Anleihen am Finanzmarkt platzieren. So trugen Fannie und Freddie zur Liquidität und Standardisierung am US-Markt für private Baukredite bei. Ob sie auch die Kosten des Eigenheimkaufs drücken, darüber streiten Wissenschaftler. Obwohl Fannie und Freddie längst voll privatisiert sind, gehen Investoren davon aus, dass die US-Regierung ihnen im Notfall beisteht. Dafür spricht, dass beide Firmen weiter in staatlichem Auftrag arbeiten und ihre riesigen Kreditportefeuilles dank einer Ausnahmeregelung mit weniger Eigenkapital unterlegen müssen als private Konkurrenten.
Durch die „implizite Staatsgarantie“ tragen Anleihen von Fannie und Freddie das beste Bonitätsurteil „AAA“, und sie können sich günstiger am Kapitalmarkt finanzieren. Dieser Vorteil ermöglichte das explosive Wachstum beider Institute seit den 90er-Jahren, was inzwischen zu einem Quasi-Duopol von Fannie und Freddie am Zweitmarkt für private Wohnungskredite geführt hat. Doch US-Finanzminister John Snow hat sich bereits mehrfach gegen den Eindruck einer „impliziten Staatsgarantie“ für Fannie und Freddie gewehrt. Offenbar wirkt die Kritik: Laut der US-Notenbank haben nicht-amerikanische Investoren im Oktober ihre Käufe von Fannie- und Freddie-Anleihen auf 83 Mrd. Dollar reduziert – der niedrigste Stand seit Anfang 2001. Dagegen blieb die Nachfrage nach anderen US-Anleihen stabil.
Asiatische Notenbanken sind wichtige Käufer von Fannie- und Freddie- Bonds, aber auch von US-Staatsanleihen. Fondsmanager Neal Epstein vom New Yorker Vermögensverwalter Avatar Associates vermutet hier eine Ursache für die wachsende Kritik an Fannie und Freddie. „Die US-Regierung braucht ausländische Käufer für ihre Staatsanleihen, um das Haushaltsdefizit zu finanzieren. Anleihen von Fannie und Freddie treten dabei als lästige Konkurrenz auf“, sagt Epstein. |