Heinrich Lersch
Der Autor, als Kesselschmied selbst aus der Arbeiterschaft stammend, galt als der bedeutendste der sogenannten Arbeiterdichter. Bereits im 1. Weltkrieg entstanden neben vereinzelten Texten der Brüderlichkeit "Es lag schon lang ein Toter vor unserm Drahtverhau" eine Fülle kriegsverherrlichender Gedichte: "Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen". Allein 12 Gedichtbände aus der Zeit von 1914-1918 widmeten sich den Themenkreisen, Krieg, Deutschland, Heimat. Fronterlebnis und kameradschaftlicher Zusammenhalt wurden als die bestimmende Lebenserfahrung auch in die Nachkriegszeit projeziert. Während der Weimarerzeit überlagerte dann der Begriff der Volksgemeinschaft mehr und mehr den der Kameradschaft: "Ich bin nicht allein. Bin Volk. Darum klage ich nicht. Ich gehe nicht unter. Nie geht Volk unter. Volk ist die ewig gebärende Mutter." (Mulot 175). Die ihm zuteilwerdenden Ehrungen, die Berufung in die Deutsche Akademie der Dichtung, den Rheinischen Literaturpreis von 1935 verstand er nicht nur als eine Bestätigung seiner eigenen Werke, sondern sie ließen ihn auch die Gleichschaltungsmaßnahmen als eine Überwindung von Klassengegensätzen, Ausbeutung und Fremdbestimmung sehen. Die völkische Literaturkritik lobte ihn für seine ideologische Schützenhilfe: "Heinrich Lersch riß den Arbeiter hinaus über das trügerische Evangelium von der Klasse und von der Gleichheit der Menschen, er geleitete ihn mit einer leidenschaftlichen Liebe zu Volk und Vaterland auf den Weg, der auf das Schicksal der Nation zuführte." (Langenbucher 179) Dabei verklärte er nicht nur seinen eigenen Werdegang: "Neun Jahre Warten, neun Jahre im Exil. Verachtet als Arbeiter von den Bürgern. Verachtet als Kriegsdichter von den Parteien der Arbeiter. Kurzer Brotkorb, lange Hungerpeitsche! Zehn Jahre lang - Manuskripte, koffervoll....Den roten Parteien war und blieb er 'Metaphysischer Kläffer', 'Kettenschmied', den schwarzen: 'Proletarischer Heide'. Hauptberuf: Vater. Als Dichter vielbeschäftigter Erwerbsloser. Hitler riß dem deutschen Michel mächtig am Schopf, riß ihm die Schlafmütze ab: unter der schwarzen Haube und der roten Perücke kam der blonde Kopf zum Vorschein: die deutsche Revolution. Sei gegrüßt, ewige Mutter der Freiheit." (Oehlke 288). Zugleich führten die ihm entgegengebrachte Wertschätzung: "Dichtergenie" (Mulot 176) und die zugewiesene Rolle: "führt den Arbeiter über die Klassen hinweg zur nationalen Gemeinschaft aller Deutschen" (Lennartz 175) zu einem Ausblenden von Wirklichkeit: "Ein reiner Spiegel alles Seins, steht der Dichter am Amboß, nicht mehr ein darbender Arbeitsmann, sondern Prometheus, ein Schöpfer und Lichtbringer, im Rausche des Zeugens der Unsterblichkeit gewiß,..., gefeit gegen zerfressende Gedanken, voll des Glaubens an die Welt, die Menschen und das Gute, triumphiert ein strahlendes Arbeitsethos in seinen Versen." (Mulot 173) Schließlich stellte sich Lersch mit Texten wie Soldaten der braunen Armee und Marsch zur Kampfbahn völlig in den Dienst des NS-Staates.
Marsch zur Kampfbahn Aus den werkumbauten Höfen, Großstadtstraßen dumpf und schwer, Aus dem Qualm der Feueröfen Tönt ein helles Schreiten her.
In das Groll'n der Eisenbahnen Klingt der helle Marschgesang, Hände recken hoch die Fahnen, Vorwärts, straffer Vorwärtsgang.
Alle Straßen gehen ins Weite, Unsre Sehnsucht eilt voran. Junge Menschen, Seit' an Seite, Bauernjunge, Arbeitsmann.
Unsrer Leiber starke Regung Quillt in frühlingsfrischem Mut, Treibt in flutender Bewegung Kraft und Wille, Geist und Blut.
Die gebändigten Gewalten Siegen im umgrenzten Feld. Kampfgestählte Kraftgestalten Vor euch liegt die neue Welt.
Schon der Titel des Gedichtes bedient sich des militärischen Sprachschatzes. Er zieht sich durch den ganzen Text: "Marschgesang", "Fahnen", "Siegen", "Feld", "Kampf". Er wird zunächst mit dem Arbeitsbereich verknüpft: "Werk", "Qualm", "Feuerofen", "Eisenbahnen", um dann diesen mit der 3. Strophe völlig in den Hintergrund treten zu lassen. Die antithetische Gegenüberstellung von Arbeitswelt / Großstadt, gekennzeichnet als "dumpf", "schwer" und "eng", mit der "neuen Welt" und ihren positiven Werten nimmt dem Leser jede Entscheidung ab. Eine endlose Reihe von Qualitätsmerkmalen lobt die braunen Machthaber als "hell", "hoch", "straff", "vorwärts" gerichtet, "weit voraneilend", "jung", "stark", "frühlingsfrisch", "bewegt", "kampfgestählt", "siegreich", voller "Mut", "Kraft", "Wille", "Geist." Wer wagte angesichts dieser Überfülle noch eine kritische Frage, warum hier marschiert, worum gekämpft wird und gegen wen? Ein gleichmäßiges Metrum suggeriert den Marschtritt, anaphorische Reihungen, Alliterationen, Assonanzenketten sollen ein Gefühl von Gemeinschaft des "Bauernjungen" mit dem "Arbeitsmann" und ihre spätere Erhöhung zum Soldaten, zur "kampfgestählten Kraftgestalt", erzeugen. Gleiches gilt für die Verknüpfung von "Geist" und "Blut". Bewegungsverben "schreiten", "recken", "gehen", "eilen", "quillen", "treiben", "fluten" und dynamische Substantive durchziehen den ganzen Text, wobei das konkrete Ziel dieser "Bewegung" nicht angegeben wird, im historischen Kontext allerdings eindeutig auf den NS-Staat bezogen ist, der sich propagandistisch ja selbst als Bewegung darstellte. Im Aufzählen von Schlüsselbegriffen der Kriegslyrik wie "Fahne", "Kampf", "Blut", im Anlehnen an bekannte Arbeiterlieder wie Wann wir schreiten Seit' an Seite, durch die Übernahme klassischerweise mit der Arbeiterbewegung verbundener Begriffe wie "die neue Welt", einer SPD-Parteizeitschrift von 1876 bis 1917, betreibt Lersch im Kleinen, was ideologisch mit der Arbeiterbewegung und ihrer Kultur im großen Stil praktiziert wurde: Aneignung, Umwidmung, Gleichsetzung. Mit seinem Gedicht "Soldaten der braunen Armee" hat Lersch diese Vorgehensweise noch verstärkt. Begriffe wie Heimatfront, die Arbeit als Schlacht bis zum "Held der Arbeit" werden durch die Gleichsetzung von Soldat und Arbeiter, von Arbeit und Kampf vorausgedacht und vorformuliert. Seine literarischen Handlangerdienste leisteten einen nicht unwichtigen Beitrag beim Versuch der NSDAP, die Arbeiterschaft für sich zu gewinnen. Neben Lersch geraten auch die anderen Arbeiterdichter Karl Bröger, Max Barthel, Hermann Claudius, Christoph Wieprecht, Otto Wohlgemuth ins Fahrwasser der Nationalsozialisten. Die in der Arbeiterklasse vorhandenen revolutionären Tendenzen werden von ihnen aufgegriffen und in ihren Texten in ähnlicher Weise umgeleitet. Durch das Propagieren von Werkkameradschaft und Volksgemeinschaft, das Heroisieren des Arbeitsprozesses sollen die Klassengegensätze überdeckt und im völkischen Staat als gelöst erscheinen.
############## gruß proxi |