In Schieflage Börsenerholung verpufft, Renditen mau, Steuerprivileg gefährdet. Die Krise der Lebensversicherungen verschärft die Problematik der Altersvorsorgevon Michael Höfling und Ulrich Machold Kai A. weiß nicht viel über das Jahr 2036. Lange Zeit glaubte der 33-Jährige zu wissen, er werde dann einen schönen Batzen Geld von seiner Lebensversicherung erhalten, der ihm einen Ruhestand ohne finanzielle Engpässe ermöglichen würde. Diese Zuversicht schwindet von Mai zu Mai mehr. Immer dann nämlich erfährt A. durch die so genannte Standmitteilung, wie es um die voraussichtliche Ablaufleistung seiner Police bestellt ist. Und mit der geht es seit Jahren rapide bergab. Die Gesamtverzinsung der Kapitallebensversicherungen deutscher Anbieter ist auf wenig mehr als vier Prozent zusammengeschmolzen.
Und das tut weh. Denn es gibt wenig, was den krisengeschüttelten Deutschen noch Geld wert ist - die Lebensversicherung gehört allemal dazu. Rund 88 Millionen Policen haben sie, allein 2003 kamen zehn Millionen mit einem Volumen von 245 Milliarden Euro dazu.
Deren Inhaber fragen sich nun: Wie konnte das passieren? Denn die seit Jahren sinkenden Überschussbeteiligungen wurden meist damit begründet, dass man sich unglücklicherweise am Aktienmarkt verspekuliert habe. 2003 allerdings legten die meisten Börsen eine rekordverdächtige Performance hin. Warum ist davon nun nichts zu merken?
"Viele Versicherungen haben mit ihren Aktienanteilen schief gelegen, was zu hohen Verlusten geführt hat", sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Versicherungs-Rating-Agentur Assekurata. "Die konnten nicht auf einen Schlag an die Versicherten weitergegeben werden. In den Büchern der Anbieter haben sich also stille Lasten angehäuft, die immer noch abgearbeitet werden. Auch deshalb wird es mittelfristig mit den Überschussbeteiligungen kaum nach oben gehen."
Und die Magerzinsen sind nur die letzte einer Reihe von Hiobsbotschaften. Seit Jahren sind die Versicherer auf Grund angeblich überhöhter Gebühren und mangelnder Transparenz unter Beschuss. Mit der Pleite der Mannheimer, die von der Auffanggesellschaft Protektor abgefedert wurde, hat die Branche ebenfalls Kredit verspielt. Dazu kommt, dass sich die Versicherten kaum der desaströsen Entwicklung entziehen können: Ein Ausstieg aus einer laufenden, meist auf 30 Jahre angelegten Police ist nur unter Verlusten möglich. Was bleibt, sind Löcher in der Altersvorsorge. Die Lebensversicherung, der Deutschen liebstes Kind - ein Auslaufmodell?
Mit Einsicht ist es nicht weit her. "Die meisten Kunden wären mit der Information über die tausende Transaktionen, die die Gesellschaften abwickeln, ohnehin überfordert", sagt Gabriele Hoffmann, Leiterin Kommunikation beim Versicherungsverband GdV. Ihre Branche sei im Übrigen die einzige, die sie kenne, von der immer wieder Transparenz verlangt werde: "Wer ein Auto kauft, fragt doch auch nicht, was der Händler dafür zahlt oder wie viel Provision der Verkäufer erhält." Dafür allerdings weiß der Auto-Käufer auch sofort, was er für sein Geld bekommt. Wer eine Lebensversicherung abschließt, kennt nur seinen gesetzlich festgelegten Garantiezins. Der ist von einst vier Prozent für neu abgeschlossene Policen Anfang 2004 auf 2,75 Prozent gefallen. "Selbst höhere Renditen wären noch kein Argument für eine Lebensversicherung", sagt Frank Braun vom Bund der Versicherten. "Die aktuellen Angebote sind ein Produkt, das sich für den Verbraucher fundamental nicht empfiehlt."
Denn selbst die ausgewiesenen Zinsen beziehen sich nur auf den "Sparanteil" der Versicherung - also das Geld, das tatsächlich angelegt wird. Oft sind das aber nur 75 bis 80 Prozent der Prämie. Der Rest geht für Provisionen, Gebühren und die eingebaute Risikolebensversicherung drauf. Allein für die Verwaltung stecken sich laut der Zeitschrift "Finanztest" einzelne Anbieter bis zu elf Prozent der Beiträge in die Tasche, für Abschlusskosten gehen noch einmal bis zu 4,7 Prozent drauf. Bezieht man das in die Rechnung mit ein, liegt der "echte" Garantiezins nur noch bei höchstens 2,2 Prozent.
Dazu kommt, dass die Versicherer nach ihrem glücklosen Ausflug in die Welt der Aktien wieder verstärkt auf Anleihen setzen. Dort aber sind nur noch niedrige Zinsen zu holen, es sei denn, man verlegt sich auf Papiere mit langen Laufzeiten. Steigen dann aber die Zinsen wieder, fallen deren Verkaufskurse an der Börse am meisten - wieder entstehen stille Lasten, die an die Versicherten weitergereicht werden. Angesichts solcher Aussichten denken einzelne Versicherer schon laut darüber nach, den Garantiezins während der Laufzeit an die Zinsentwicklung "anzupassen" - sprich, wohl zu senken. Die Versicherten wüssten dann gar nicht mehr, was ihnen am Ende bleibt.
Und zu allem Überfluss ist der chronisch blanke Finanzminister Eichel fest entschlossen, das Steuerprivileg der Lebensversicherungen zu kippen. "Wenn es so käme, würde diese Form der Altersvorsorge gar keinen Sinn mehr machen", sagt Lutz Schumann, Chefredakteur des Infodienstes Steuer-Schutzbrief. Einziger Trost: Bis Ende des Jahres abgeschlossene Verträge gelten als Altfälle und blieben von den geplanten Änderungen am Alterseinkünftegesetz verschont (siehe Kasten unten). Wie genau die ausfallen, klärt gerade der Vermittlungsausschuss des Bundesrates - die Hoffnungen der Branche ruhen dabei auf den unionsregierten Ländern.
Dabei könnte es um die Rendite deutscher Lebensversicherungen besser bestellt sein. "Der Knackpunkt ist, dass man hier seine Verträge kündigen kann - und rund 50 Prozent der Versicherten das auch tun", sagt Hans-Peter Schwintowski, Versicherungsrechtler an der Berliner Humboldt-Universität. "Für diese Fälle müssen die Gesellschaften Kapital zur Auszahlung bereithalten, mit dem sie keine Rendite erwirtschaften können." In England funktioniert eine Alterssicherung, aus der man nicht aussteigen kann, eindrucksvoll. "Eine monatliche Rate von 100 - die Währung ist gleichgültig - brachte dem Briten nach 30 Jahren eine Ablaufleistung von 260 000", sagt Schwintowski. "Der Deutsche muss sich mit 95 000 begnügen."
Artikel erschienen am 23. Mai 2004 wams |