BÖRSENPROGNOSE
"Dax fällt auf 2600 Punkte"
Nach einer passablen Quartalssaison droht den Börsen ein frostiger Herbst. Volker Borghoff, Leiter der Aktienstrategie von HSBC Trinkaus & Burkhardt, rechnet mit einem deutlichen Kursrutsch.
SPIEGEL ONLINE: Im Juni wurden Sie mit Ihrer Prognose, der Dax werde nach einer kurzen Erholung bis Ende dieses Jahres wieder auf 2600 Punkte fallen, von manchen belächelt. Nun wackelt der Dax und einige Bären wagen sich wieder hervor. Zeit, Ihre Prognose zu bekräftigen? Volker Borghoff, Leiter der Aktienstrategie von HSBC Trinkaus & Burkhardt, hält die liquiditätsgetriebene Rallye am Aktienmarkt für beendet Borghoff: Ich würde meine Einschätzung ändern, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern. Das ist aber nicht der Fall. Ich meine weiterhin, dass wir in der zweiten Jahreshälfte viele enttäuschende Unternehmensergebnisse bekommen und schon kurzfristig wieder in den Bärenmarkt zurückkehren werden.
SPIEGEL ONLINE: Ein Kursverfall bis auf 2600 Punkte bis Jahresende wäre vom aktuellen Niveau ein Abschlag von rund 20 Prozent. Das erscheint viel angesichts der Tatsache, dass Saddam Hussein gestürzt sowie der Ölpreis gefallen ist und viele Anleger vom Renten- in den Aktienmarkt wechseln.
Borghoff: Wir hatten von April bis Juli eine liquiditätsgetriebene Hausse. Anleger haben ihr Geld in Aktien umgeschichtet, weil nach Kriegsende die Risikobereitschaft der Investoren wieder gestiegen ist.
Inzwischen sind wir aber wieder auf einem sehr hohen Bewertungsniveau angelangt, da die Gewinnerwartungen des Marktes deutlich zu hoch sind und der Markt damit in Wirklichkeit erheblich teurer ist, als er allgemein aussieht. Viele Analysten werden ihre Schätzungen für das dritte Quartal nach unten korrigieren müssen. Und man wird sehen, dass der Optimismus für eine rasche Erholung der Konjunktur im zweiten Halbjahr zu groß war.
"In der Deflation werden Anleihen attraktiv"
SPIEGEL ONLINE: Auch wenn die Konjunktur stottert - am Geldmarkt und bei Rentenpapieren erscheinen die Zinsen so niedrig, dass viele Anleger schon aus Mangel an Alternativen auf Aktien setzen. Oder scheinen Ihnen Aktien im Vergleich zu Rentenpapieren derzeit nicht günstig?
Borghoff: Die zehnjährige Bundesanleihe bietet derzeit eine Rendite von vier Prozent. Da wir aber in Deutschland eine Deflation, also dauerhaft fallende Preise für wahrscheinlich halten, liegt der Realzins bei aktuellem Zinsniveau bei über vier Prozent. Damit werden Renten im Vergleich zu Aktien attraktiver. Aktien erscheinen uns vor diesem Hintergrund - steigende Realzinsen, enttäuschende Unternehmensgewinne - keineswegs als günstig. Für den aktiven Investor sind lang laufende Anleihen im zweiten Halbjahr die bessere Alternative.
SPIEGEL ONLINE: Mit niedrigen Leitzinsen steuern die Notenbanken aber einer Deflation entgegen. Sie versuchen, mit niedrigen Zinsen die Konjunktur auf Trab zu bringen. Warum sollte dies nicht endlich funktionieren?
Borghoff: Wir stecken doch schon lange in der Liquiditätsfalle. Niedrige Zinsen schieben das Wachstum nicht mehr an, weil sie nicht mehr zu höheren Investitionen der Unternehmen führen. Viele Unternehmen sind immer noch damit beschäftigt, ihre Schulden abzubauen und Kosten zu senken. Zudem leiden wir immer noch unter den Überkapazitäten der Boomjahre. Dies wird auch dazu führen, dass trotz positiver Frühindikatoren die Konjunktur im zweiten Halbjahr nicht so stark anziehen wird wie erhofft.
"Europa wird schlechter laufen als die USA"
SPIEGEL ONLINE: In den USA wird immerhin ein Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent erwartet. Warum sollten davon nicht auch die europäischen Börsen profitieren?
Borghoff: Für die US-Börsen ist das Rückschlagrisiko in der Tat geringer, da US-Unternehmen auch weiterhin von der dynamischeren Wirtschaft, dem flexibleren Markt und vom schwachen Dollar profitieren werden. Daher ist das Rückschlagpotenzial für den Dax im zweiten Halbjahr deutlich höher als etwa für den Dow. Der Dow Jones könnte in den nächsten drei Monaten rund 15 Prozent, der Dax aber bis zu 30 Prozent verlieren. Europa, insbesondere Deutschland, leidet unter schwachem Wachstum, den Nachteilen einer starken Währung und unter strukturellen Problemen, die auch durch die jüngsten Reformversuche nicht beseitigt werden. Und all diese Probleme werden sich in der Gewinnentwicklung der Unternehmen zeigen. Daher werden die europäischen Börsen sich mittelfristig schwächer entwickeln als die US-Börsen.
SPIEGEL ONLINE: Was raten Sie Investoren?
Borghoff: Wir haben in unserem gemischten Portfolio die Aktienquote von 50 auf 35 Prozent zurückgefahren, den Rentenanteil dagegen auf 60 Prozent aufgestockt und halten fünf Prozent Cash. Der aktive Investor, der freie Mittel hat, sollte diese nach unserer Einschätzung eher in lang laufende Anleihen als in Aktien investieren. Damit dürfte er im zweiten Halbjahr besser fahren, denn im Herbst rechnen wir mit einer deutlichen Korrektur nach unten.
Das Interview führte Kai Lange
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