SPIEGEL
"Beleidigung für alle Menschen in Ostdeutschland"
Die Ministerpräsidenten in den neuen Bundesländern sind empört. 1500 westdeutsche Beamte sollen für ein Jahr im Osten bei der Umstellung auf das Arbeitslosengeld II helfen. Während das Geld für die Jobsuchenden fehlt, kassieren die Wessis 5000 Euro Prämie für den Einsatz im "wilden Osten".
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Erfurt - Rund 1500 Mitarbeiter der Telekom-Auffanggesellschaft Vivento aus Westdeutschland sollen als Hartz-IV-Helfer im Osten abgestellt werden. Dafür erhalten sie nach einem Bericht der "Thüringer Allgemeinen" neben 100 Prozent Telekom-Tariflohn einmalig 5000 Euro, zudem jeden Monat 500 Euro Verpflegungsgeld - mehr als das Arbeitslosengeld im Osten - sowie eine monatliche Pauschale für vier Heimfahrten.
Im Bundeswirtschaftsministerium gab man sich zunächst unwissend. Die derzeit bei Vivento eingesetzten Beamten bezögen nur etwa 80 Prozent ihrer Besoldung, sagte Sprecherin Andrea Weinert in Berlin. Das sei eine sinnvolle und sparsame Maßnahme. Von der Zahlung einer "Buschzulage" wisse sie nichts. Dagegen erklärte Angelika Müller, eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit, die Beamten erhielten 100 Prozent Gehalt, wovon die Bundesagentur für Arbeit und Vivento jeweils die Hälfte zahlten. Hinzu kämen die Kosten für Reise und Verpflegung. Diese seien im Bundesreisekostengesetz einheitlich geregelt. Über eine einmalige Zahlung von 5000 Euro könne sie nichts sagen; eine solche Prämie liege im Ermessen der Telekom-Firma Vivento. Aus der Behörde hieß es, eine Zulage für den Einsatz im Osten sei eher ungewöhnlich. BA-Beamte, die sich in den Osten abordnen lassen würden, würden außer ihren regulären Bezügen keine Zulage erhalten.
Bei der Deutschen Telekom in Bonn gab es zu guter Letzt immerhin eine Erklärung der Angelegenheit: Eine entsprechende Prämie sei als Anreiz dafür gezahlt worden, dass sich Beamte aus dem Westen freiwillig für einen Einsatz in den neuen Bundesländern gemeldet hätten. Neben den etwa 800 Telekom-Beamten im Osten seien dort zusätzlich auch etwa 230 befristete Stellen geschaffen worden, die von den Arbeitsagenturen besetzt würden.
Bei den 5000 Euro handele es sich um eine "Schnellentscheiderprämie", hieß es. Diese sei für wenige Wochen Ende Mai ausgeschrieben worden, damit sich Telekom-Beamte freiwillig für eine Versetzung in den Osten meldeten. Dies sei notwendig gewesen, da die Telekom dort keine Beamtenverhältnisse mehr eingegangen sei, die BA andererseits aber darauf bestanden habe, dass für das Vorhaben nur Beamte eingesetzt würden. Die BA begründete dies damit, dass das Verfahren der Amtshilfe mit Angestellten nicht möglich gewesen wäre.
"Unnötig, unerträglich und geschmacklos"
Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) kritisiert den geplanten Einsatz. Dies sei "unnötig, unerträglich und geschmacklos", sagte Althaus heute in Erfurt. Man könne nicht einerseits Menschen solche starken Einschnitte zumuten, wie sie mit dem ab Anfang 2005 geltenden Arbeitslosengeld II verbunden seien und zugleich mit hohen Sondervergünstigungen Leute in die neuen Länder schicken. Es gebe im Osten genügend qualifizierte Mitarbeiter in der Öffentlichen Verwaltung sowie Arbeitslose, die diese Aufgaben übernehmen könnten.
Auch Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt zeigt sich empört. Er spricht von einer "Beleidigung für alle Menschen in Ostdeutschland". "Dass die Bundesregierung ehemalige Telekom-Beamte als Berater für Hartz IV aus dem Westen nach Ostdeutschland holt, ist mehr als schlechter Stil. Es zeigt, wie wenig die Bundesregierung die Situation im Osten verstanden hat", so Milbradt.
Die Präsidentin des Thüringer Landtags, Dagmar Schipanski, bezeichnete den Einsatz von Beamten aus dem Westen als ein falsches Signal. Hier hätte man ein deutliches Zeichen setzen müssen, um wenigstens vorübergehend Arbeitsplätze in den neuen Ländern zu schaffen, sagte Schipanski.
Der DGB-Vorsitzende für Mittelthüringen, Steffen Lemme, sagte der "Thüringer Allgemeinen", es werde der Eindruck erweckt, die neuen Länder hätten auch nach 15 Jahren immer noch den Import von entsprechenden Fachkräften nötig. Zudem seien wegen der unterschiedlichen Löhne Spannungen in den Agenturen programmiert. Frank Weigand von der Kommunikationsgewerkschaft DPV in Bonn sagte der Zeitung zufolge, auch im Raum Erfurt und Gera gebe es viele gut ausgebildete Telekom-Mitarbeiter. Mindestens 400 junge Leute seien nach ihrer Ausbildung nicht übernommen worden.
Der Vorsitzende des Allgemeinen Arbeitgeberverbandes Thüringen, Hartmut Koch, sagte, es sei in hohem Maße instinktlos, gerade in die Gebiete mit Rekordarbeitslosigkeit auch noch Arbeitskräfte aus dem Westen zu holen. "Wir kämpfen um jede Arbeitsstelle für Thüringen und feiern jede Neuansiedlung, wenn sie nur einige Arbeitskräfte wieder in Lohn und Brot bringt."
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