Liquide: Der Dotcomtod-Roman

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17.06.03 08:55

95441 Postings, 8528 Tage Happy EndLiquide: Der Dotcomtod-Roman

Alle sind mit dabei: Die miesen Berater. Die geldgeilen VCs. Die
dummen Anleger. Die hinterfotzigen Juristen. Die billigen
Schnorrer. Inkomptente Politiker. Koksende PR.
Marketing on Speed. Betrogene Mitarbeiter.
Die ausgebeuteten Praktikanten. Die
bestechlichen Medienvertreter.
Der Kampf ums Überleben.
Das elende Verecken.
Die Party auf dem
Friedhof.




Dotcomtod - Pleiten, Pech und Pannen, gerne und oft mit Freude gelesen, genauer: mit Schadenfreude, bis dann plötzlich die eigene Firma dort auftaucht. Mancher "Boo" oder gar "Final" dort ist ein kleiner Roman. Nun gibt es auch einen großen.

Ein Vorbericht über die demnächst stattfindende Messe ist zu verfassen. Nur eine Firma lädt zu einer für die Berichterstattung nützlichen Vor-Pressekonferenz, alle anderen halten sich bedeckt. Doch der Kollege aus dem anderen Ressort schreit: "Du, da muss ich hin, ganz klar: Die haben eine hübsche Pressesprecherin - und gutes Essen." Ach, Du zynischer Schnorrer. Aber bevor man sich Feinde macht.... "Ist okay, ich muss den Beitrag schreiben, aber geh meinetwegen".

Drei Stunden später kommt der Kollege wieder zur Tür herein. Hängt ziemlich schräg in den Seilen. Aha, offensichtlich war der Wein auch gut. "Und - was gab's?" - Er drückt mir die Speisekarte in die Hand - "Nein, ich meinte, was die Firma präsentierte - ich brauche die Pressemappe für meinen Bericht!" - "Pressemappe? Bäh, also so was fass ich doch nicht an, was denkst Du nur von mir!?!".

Das hätte aus dem neuen Roman von  Don Alphonso Porcamadonna sein können, dem bekanntesten Sentinel auf Dotcomtod. War es aber nicht, war nur aus dem ganz gewöhnlichen Redaktionsalltag, den "Don" jedoch ebenso gut kennt wie der Autor. In real sicher ein integrer properer Kollege, zieht er sich auf Dotcomtod und in seinem neuen Roman  Liquide freiwillig die schlammgrüne Tarnkappe des buffetplündernden Zynikers über, der als lästernder Zuschauer das Treiben der bereits abstürzenden New Economy im Krisenjahr 2001 beobachtet. Oder ist er eher David, der Kriegsberichterstatter, der mit den richtigen Drogen ausgerüstet als Einziger aus jedem Schlachtfeld zumindest körperlich heil herauskommt? Oder doch der nette Herr im dunklen Zweireiher, der da hinten gerade Ihre Powerpoint-Präsentation verfolgt und es beinah besser als Sie selbst beherrscht, bei all dem aufgeblasenen Marketing-Sprech noch ernst zu bleiben? Die Wahrheit ist irgendwo da draußen. "Liquide" ist dagegen Fiktion.

Goldgräber und Halsabschneider

Goldgräber gab es immer, die rücksichtslos und brutal ausbeuten. Mit dem Internet ging es nur schneller und der Traum einer kommunikativeren, kreativeren und menschlicheren Arbeitswelt wurde von gierigen Halsabschneidern schnell in ihr Gegenteil verkehrt, die nicht mehr die Welt verändern wollten, sondern nur noch möglichst schnell an die Börse - ihrer Mitmenschen.

Dotcom-Arbeitsbedingungen gab es schon vor der New Economy, beispielsweise im Journalismus, wo die durchschnittliche Lebenserwartung gerade 55 Jahre beträgt - weniger als bei Chemiearbeitern. Dort wird man schon verdächtigt, auf seine alten Tage eine ruhige Kugel schieben zu wollen, wenn man sich bei einem Blatt bewirbt, wo die meisten Redakteure bereits nach 12 Stunden heimgehen. Daher ist es für Journalisten leicht zu verstehen, wie die New-Economy-Tretmühlen funktionieren und einer wie Don folglich prädestiniert dafür, den Web-Ausbeutern die Maske vom Gesicht zu reißen.

Keins der Klischees fehlt - von den Modedrogen über die PR-Blondine vom Dienst bis zum Audi TT. Es wird schnell gelebt, schnell gefahren und schnell gestorben. Wenn ein Unternehmen nicht mehr flüssig ist - liquide -, dann wird es für den Investor schnell überflüssig und folglich wieder flüssig gemacht, also liquidiert. Dazu hat im Roman ein Schicki-Micki-Großinvestor eine zufällig entstandene Chaotentruppe ausgewählt, als er merkt, dass das alles zusammenhaltende Venture-Capital-Netzwerk eher ein Netz ist, mit dem man ihm das Geld aus der Tasche zieht. Die Liquidatoren sollen es wieder zurück holen. Die Drahtzieher des organisierten Geldtransportes lassen sich das natürlich nicht lange bieten und auch die Aufdeckungsreporterin Uta kommt nicht besser weg als die anderen Journalisten in Dons Roman.

Nicht jedem, der kurze knackige Gags schreiben kann, gelingen auch erträgliche Spielfilme, wie man an den diesbezüglichen Fehlschlägen von Didi Hallervorden und Otto Waalkes sehen kann. Bei Don Alphonso war das Hoffen auf einen Buch-Fehlschlag bei seinen Online-Opfern deshalb hoch. Er hat sie jedoch enttäuscht. Nicht so den Leser: Auch wenn das Buch - Gott sei Dank - ein kleines bisschen übertreibt, langweilt es mit über 400 Seiten absolut nicht, sondern liest sich wie ein spannender Wirtschaftskrimi. Weil es einer ist.

Don Alphonso: Liquide. 416 Seiten. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag. 19,90 Euro


Die Handlung


Sommer 2001. Der Hightech-Standort München, die „Munich Area“, ist in der Krise. Börsenlieblinge, gehypte Startups und Risikokapitalgeber verbrennen in einem einzigartigen Downturn. Mitten drin statt nur dabei ist Alex, über das Bavarian Venture Capital Network (BVCN) einer der grossen Investoren der Szene. Sein Geld steckt in idiotischen E-Business-Ideen und wird von arroganten Gründern verjubelt. Aber er vertraut dem BVCN.
Lang. Zu lang. Dann passiert es.

Hinter dem BVCN steht die Anwaltskanzlei Tuchner. Tuchner gibt beim Consultant David Rotberg ein internes Gutachten in Auftrag, das den wahren Zustand des BVCN enthüllt. Als Alex durch ein Versehen das Gutachten erhält, will er sein Geld zurück. David schlägt ihm vor, sein Geld ohne Rücksichten wiederzubeschaffen.

Er sucht sich für dieses Himmelfahrtskommando zwei Helfer, die nichts zu verlieren haben: Claudia, eine kleinbürgerliche, karrieregeile Marketing-Schwätzerin, und Peter, einen inkompetenten, arbeitslosen, verklemmten Juristen, dem die Freundin abgehauen ist. Im Umfeld der Munich Area fallen die fachlichen, menschlichen und ethischen Defekte des Teams aber nicht weiter auf.

Ihre Gegner, die Gründer der Startups, geben sich zwar nach aussen hin erfolgreich, aber das Trio findet einen Weg, das Geld aus ihnen herauszuholen. Claudia, Peter und David schiessen die High Potentials der Munich Area reihenweise ab und offenbaren damit, was hinter den schönen Worthülsen der Bizz-Zines, der VC-Prospekte und der schicken E-Vents ist: Nichts. Da kann sich das Team schon mal wüste Eskapaden mit Sex, Drogen und Luxus leisten.

Ihr erfolgreicher Raubzug im knöcheltiefen Blut der New Economy missfällt Tuchner, der vornerum mitspielen muss. Hintenrum versucht er aber, die Arbeit des Teams zu sabotieren. Dabei helfen ihm nicht nur gedungene Handlanger, sondern auch bunte Medien und schwarze Politik, die weiterhin an Tuchners Verheissungen vom Goldenen Zeitalter der Munich Area glauben wollen.

Inzwischen macht sich die junge Journalistin Uta an das Team ran. Sie will die Jagd auf Startups als grosse Story verkaufen, gerät aber mit in den Sog der Ereignisse. Es entbrennt ein gnadenloser Kampf jeder gegen jeden. Die finale Katastrophe ist nur eine Frage der Zeit ...


Die Helden


Claudia

Das Marketing. Arbeitet beim Bavarian Venture Capital Network. Jung, schön, erfolgreich. Sie hasst es.

Sie trat sie die Fahrertür zu. Ihre dünnen Ferre-Sandaletten boten kaum Schutz. Der Schmerz drang in ihren Kopf und durchbrach die dünne Wand aus Koks, die ihre Psyche vor der Personality ihres Lovers geschützt hatte. Claudia biss die Zähne zusammen. Im Autoradio sang Sophie Ellis-Baxter "If this ain´t love".
Sie war 26. Sie war immer elegant angezogen, hatte eine gute Ausbildung, einen schicken Wagen, einen tollen Job mit 10.000 DM Anfangsgehalt, einen mächtigen Mann als Lover, und grüne Augen, ein Grün, das manche für einen Ausdruck von Intelligenz halten. Sie hasste es.

Und dann bricht alles zusammen. Mit ihrem Lover ist auch die Protektion weg. Wie gut, dass man fürs Liquidieren von Startups noch jemand mit BWL-Studium braucht – und ausserdem steht der Auftraggeber auf diesen Typ Frau...

Peter

Die Rechtsabteilung. 4 Punkte im 2. Staatsexamen, Freundin weg, chancenlos. Oft frustriert. Hasst die New Economy.

Unter dem Menupunkt Team fand er ein Bild der Founder von Steel2net. Drei Burschen in schwarzen Anzügen, die vor einem Berg Stahlträger posierten; jeder mit einem Werkzeug in den wahrscheinlich fein manikürten Händen, und einem überheblichen Grinsen auf dem Gesicht. Die Lebensläufe waren geradlinig und voller Erfolge. Gute Familien. Teure Privatschulen. Elite-Unis. Auslandsaufenthalte. Beste Abschlüsse. Erfahrungen auf allen relevanten Gebieten. Geborene Gewinner. "Unser Ziel fest vor Augen: Börsengang 2002" stand drunter.
Diese Typen hatten sich nie einen Gedanken über die Abgründe des Daseins gemacht. Sie hatten nie erleben müssen, wie es ist, wegen dem falschen Auto einen Korb zu bekommen. Sie wussten nichts von der Demütigung einer Absage, denn sie waren diejenigen, die absagten. Sie hatten behauptet, Geld machen zu können, und hatten ein paar Millionen bekommen. Einfach so. Sie könnten das nächste Mal "Scheissnet" machen und würden sie wieder für ihr Grinsen und ihr Gerede Millionen bekommen. Nur weil sie wussten, wie man sich den Marktbedürfnissen anpasst und seine Core Assets optimal kommuniziert, wie Gundi das so sagte, seit sie mit dem Controller zusammen war. Diese Dauergrinser auf dem Photo wussten überhaupt nicht, was Selbstzweifel und Existenzangst war.
Bis jetzt.

Bald werden sie es wissen. Und Peter braucht sich keine Sorgen zu machen, dass er wegen seinem Wagen eine Absage bekommt...

David

Der Usability-Spezialist. Zurück aus der Krisenregion des Nahen Ostens, wieder in der Krisenregion München, seine eigenen Krisen im Kopf. Nah dran an der Szene. Manchmal etwas zu nah dran an den Opfern der Liquidatoren.

"Du hast Lieferanten beschwätzt, dass sie sittenwidrige Knebelverträge mit ihren Schreibern abschliessen. Wer mit Dir zusammenarbeitet, muss seine Journalisten total entrechten. Du kannst mit den Artikel machen, was Du willst. Ein paar sind vor Gericht gegangen, und Du lässt sie von den Verlegern feuern. Wie fühlst Du Dich, wenn Du das machst?"
"Das gehört dazu. Und wie fühlst du dich?"
"Es hat mir um die Susan von vor zwei Jahren leid getan. Du hast heute einen Etappensieg für Deine Firma errungen, aber wie soll das denn weitergehen? Es gibt keine Kunden mehr für Deinen Content. Alles liegt im Sterben. Niemand zahlt für Geschreibsel im Internet. Und Du weisst das doch selbst."
"Wir haben jetzt die beste Technik, und irgendjemand wird immer überleben. Ich werde dazugehören. Ich habe eine Zukunft. Aber was hast Du? Du arbeitest für Alex. Das wäre doch vor zwei Jahren doch noch Dein absoluter Alptraum gewesen. Ausgerechnet dieser Schmuddelunternehmer. Und David macht für ihn den Strassenkehrer in der New Economy. Hätte ich nicht von dir erwartet. Was ist nur aus Dir geworden, dass Du sowas nötig hast, David? Was sagt eigentlich Deine, wie hiess Frau Moralapostel noch gleich? Richtig, was sagt die Bettina dazu? Oder macht die inzwischen auch in New Economy?"
Sie schwiegen sich noch eine Weile an. Es ging ihr besser als im gesamten letzten Jahr. Es war überstanden. Sie wusste, dass sie in ihrer ablehnenden Körperhaltung sehr schön und unnahbar war. David sah nicht mehr so gut aus wie früher. Unter seiner glatten Oberfläche arbeitete etwas Brutales, eine innere bittere Verspannung, die ihren Weg nicht nach draussen fand und trotzdem fast greifbar war.
"OK, Susan. Der Job ist keine Ruhmestat, und ich bin auch nicht stolz drauf. Der Job ist eine vorrübergehende Angelegenheit. Ich kann jederzeit raus. Nach dem Gaza ist der Job fast eine Erholung. Aber ich werde wieder am Strand bei Jaffa sitzen und den Alptraum hier vergessen. Für Dich wird er weitergehen. Überleg es Dir. Die Leute werden Kasus schnell vergessen. Und ich kann Dir helfen."
"Ruf mich mit dem Vorschlag in zwei Jahren nochmal an. Mach´s gut, David."

Er hat sich unter Kontrolle. Auch, wenn es ihm manchmal schwer fällt. Es gibt etwas, das ihn im Innersten zusammenhält. Es geht schon. Fast immer. Nur manchmal tickt er aus ...


Die Schurken


Tuchner

Der Anwalt und das Mastermind der Szene. Der Beste, den man für Geld kriegen kann. Oder für Venture Capital oder politischen Einfluss.
"Ab einem gewissen Zeitpunkt sind alle auf den Zug aufgesprungen. Vielleicht erinnern sie sich noch an den Begriff "Jobmaschine Internet". Wir wollten die Munich Area voranbringen. Es war riskant, und manche Leute, besonders die Politiker und die Medien, haben die Risiken aus den Augen verloren." Tuchner stand auf, ging zur grossen Glasfront seines Büros und sah auf die Alpenkulisse, die sich im Süden von München abzeichnete. "Von 100.000 Geschäftsideen bekommen gerade mal 1000 Risikokapital. Von diesen 1000 werden 100 ein finanzieller Erfolg. 20 davon gehen an die Börse. Zwei werden Marktführer. Ich habe das allen gesagt. Natürlich glaube ich daran, dass die Unternehmen des BVCN zu den Besseren gehören, aber das Risiko muss jeder Investor kennen. Wenn ein Fahrradhändler pleite macht, interessiert das niemanden. Aber wehe, ein Startup geht unter, dann jammern alle von E-Investor bis N24. Und niemand sagt die Wahrheit: Es gibt keine Dotcom-Krise, es gibt nur eine Hype-Krise. Ihr Team hat sich gebildet, um an der Hype-Krise zu verdienen. Das ist legitim."

Pech, dass ihm die Liquidatoren gerade das eigene Netzwerk sprengen. Gar nicht gut. Das wird richtig teuer. Es sei denn, man hat einen innovativen Plan und die richtigen Leute...

Klaus Kastner

Der Chef des Bavarian Venture Capital Network. Hochgeachtet, beliebt, erfolgreich. Und aggressiv, wenn es gegen seine Unternehmen geht.

"Herr Rotberg, Ihr Gerede erfüllt den Tatbestand der üblen Nachrede. Niemand verkennt, dass manche Sektoren Probleme haben, aber wir sind ein exzellent aufgestelltes Netzwerk und nicht nur ein B2C-Internet-E-commerce-Pleitenladen, wie Sie das schildern. Wie verbinden Old und New Economy zu einem konvergenten System. Wie Sie zum Beispiel dazu kommen, ein erfolgreiches Produkt wie die Plattform Steel2net als Pleitekandidaten zu bezeichnen..."
"Steel2net ist ein Pleitekandidat."
"Und ich sage Ihnen, Ihnen fehlen alle Einblicke; sie müssen Ihnen sogar fehlen. Wissen Sie, dass auf unserer Stahlbau-Plattform über 100 mittelständische Betriebe in Bayern Waren und Dienstleistungen austauschen? Dass über 160 ausländische Kooperationspartner Material und Werkstoffe anbieten? Wissen Sie, dass wir prozentual an jedem Geschäft beteiligt sind, und ahnen Sie überhaupt, was es da an fantastischen Synergiemöglichkeiten gibt?
Der Internet-Staatssekretär persönlich bescheinigt dem Projekt beste Aussichtern, wir sind in 2002 reif für die Börse, und Sie beschreiben die auf einer Plattform versammelte Branche als, ich darf zitieren "Ausgeburt eines kranken Hirns, das noch nicht begriffen hat, wo der Bartel den Most und da Minista die Parteienfinanzierung holt". Wir revolutionieren einen wichtigen Wirtschaftssektor, und Sie behaupten, Zitat, "Steel2net ist an den Gegebenheiten des Marktes vorbeigeplant; der typische Fall von Grössenwahn einiger New-Economy-Fritzen, die glauben, eine Internetseite könnte den Stahlbauern den monatlichen Schafkopf und das Besäufnis mit den Staatsparteibonzen ersetzen." Nun, der Grössenwahnsinnige und der Hauptinvestor sind hier, wollen Sie bitte erklären?"

David Rotberg erklärt. Und Klaus Kastner wird sein Todfeind. Wer Erfolg haben will, braucht keine Skrupel ...

Die Handlanger

Man muss sich ja die Hände nicht schmutzig machen. In der Munich Area gibt es genug Leute, die alles mögliche machen.

"Was willst Du jetzt tun? Laptops klauen? Raubkopien von Windows ziehen? Nochmal Pornosites surfen?"
"Ich muss auf jeden Fall nochmal nachschauen, welcher Laptop damals beim Anwalt dabei war. Wenn auf dem Rechner Teile der internen Buchführung war, dann Gute Nacht, und zwar für uns beide."
"Der Chef kann uns deshalb nicht feuern. Er hängt da mit drin."
"Haben wir dafür einen Beweis?"
"Wir waren dabei. Wir können es bezeugen."
"He, der ist Mister Supersaubermann, und wenn es rauskommt, sind wir nur ein Projektleiter und ein Finanzchef mit schmutziger Weste."
"Aber es würde den Kurs von Blu4 in den Keller treiben, und damit dem Chef wieder ein paar Dutzend Millionen kosten, und was wird dann aus seinem neuen Lamborghini? Sobald es um sein Geld geht, wird er vernünftig. Das hat schon immer funktioniert."

Und wenn es nicht funktioniert, heuert man woanders an...


Die Gejagten


Die Unternehmer

Entrepreneure. Medienstars. Helden an der digitalen Front zur Zukunft. Virtuosen im Umgang mit den Medien. Cash is happiness.

Mo., 12:54 Uhr - von Jörg Grüber
Tränen in München
Erschütternde Szenen in den Räumen von Blu4 Media: Mit Tränen in den Augen gab der CEO bekannt, dass das Portalprojekt vorerst nicht weiterentwickelt wird. "Wir hatten eine Vision, wir hatten ein Ziel, und wir hatten eine Community - bitte lasst uns die Vision und die Gefühle füreinander behalten", rief er den Beschäftigten zu. Er verstehe die Enttäuschung und wolle niemand Steine in den Weg legen, aber er wünsche sich, dass der Spirit von Blu4 erhalten bleibe. mehr

Von: CEO Blu4 Media
An: Verwaltung
Um: 16:13
Sehr geehrter Herr Pauli,
im Attachment ist eine Liste mit 72 Mitarbeitern. Bitte sperren Sie alle Zugangscodes und die Schlüsselkarten und informieren Sie mich umgehend über die Erfüllung der Aufträge.
Ihr Chef

Aber die New Economy wird ihren Siegeszug fortsetzen. Bis die Liquidatoren kommen.

Die Mitarbeiter

Leistungsbereit. Kreativ. Jung. Absolut loyal. Würden nie auf den Boards der Gewerkschaft Betriebsgeheimnisse posten. Solange sie ihr Geld bekommen.

um 15.31 Uhr Laptops
Wenn die Löhne nicht mehr kommen, kann ich dann nicht einfach einen Laptop als Ersatz mitnehmen? Wenn die mich nicht mehr bezahlen können, haben die doch auch kein geld mehr für dkie Rechtsanwälte:-)

um 15.32 Uhr re: Laptops
hat jemand zutritt zu andis büro? der hat doch für sich und seine bande erst letzte woche neue gekauft;-)))

um 15.35 Uhr re: re: Laptops
Habe gerade nachgeschaut, aber die laptops sind schon weg :-( aber vielleicht kann man ja ein paar flachbildschirme mitnehmen. kleiner tip von einem tekkie: nehmt nicht die koreanischen teile. die machen immer ärger.

um 17.51 Uhr Wie könnt ihr noch lachen?
Ich habe in weniger als einem Jahr über 800 Überstunden geschoben. Das wurde als Selbstverständlichkeit genommen. Als ich vor zwei Wochen gefragt habe, wie das mit der Bezahlung ist, hat Andi getobt, ich würde gegen den Paypinion-Spirit verstossen. Wenn ich jetzt zurückschaue, bin ich nur ausgebeutet worden. Erst ein Praktikum, dann hat es ewig gedauert, bis ich übernommen wurde, und jetzt das. Wenn ich jetzt gefeuert werde, hatte ich insgesamt einen Stundenlohn von 12 Mark.

Mit solchen kargen Löhnen geben sich die Liquidatoren natürlich nicht ab...

Die Praktikantin

Hübsch. Nett. Beliebt. Nur ein kleines Tablettenproblem. Aber auch ein klein wenig Hoffnung.

Viola sass immer noch auf dem Balkon, in einem dicken Puli und eine Decke um die Füsse, und rauchte zufrieden. Sie war stolz auf sich. Sie hatte an diesem Abend ein Experiment in Sachen Selbstbeherrschung gemacht: Eine Schachtel Pralinen statt der üblichen gelben Pille. Das Experiment war gelungen. Morgen würde Viola das Experiment mit einem echten, schleimigen Hamburger und einer Apfeltasche versuchen. Wenn alles gut ging, waren übermorgen Fritten dabei. In drei Tagen würde sie mit Paps eine Ravioliorgie veranstalten. Viola musste unwillkürlich kichern. Nie wieder Sushi. Keine Blind Dates mehr mit New Media Workern im Pasha und nachfolgenden Bordelltouren. Keine idiotischen Events. Keine brutalen Nummern in TTs mehr, und auch kein Jaguar wie der, der da unten vorbei fuhr. Lieber was kleines wie der Renault Twingo dahinter. Alles war gut. Sie würde es schaffen.
Auch, wenn viele um sie herum sterben: Manche verdienen zu leben.


Die Presse


Uta

Die junge Journalistin. Vertrackt schön. Ehrlich. Aufrichtig. Keine von diesen PR-Mäusen. Lässt sich durch nichts beeindrucken. Oder so

Staatsempfänge waren nicht ihre Welt. Überhaupt war alles Repräsentative und Arrangierte, alle Pressekonferenzen und Events nur Showveranstaltungen, die mit der realen Welt nichts zu tun hatten. Die reale Welt der New Economy sah anders aus. Sie kannte diese Welt auch aus der Froschperspektive. So wollte sie es auch beibehalten. Es war wenigstens ehrlich.
Im Spiegel sah sie ein genervtes Mädchen, das sich nicht um Äusserlichkeiten scherte. Ein kleiner, beleidigter, grauer Frosch. Grauer Pulli, graue Hose. Eine billige, alte Swatch. Sie zog die Mundwinkel tief nach unten. So bleibe ich den ganzen Abend, dachte sie. Ein tierisch genervter Frosch. Schlimmer, eine Kröte. Eine Unke. Keiner wird mit mir reden, und David Rotberg wird sich mit mir blamieren. Das hast Du dir auch verdient, Du Wichser. Ich sage Dir ab, und Du hetzt dieses Arsch von Chefredakteur auf mich. David hier, Rotberg da, ganz toller Vater, unbedingt hingehen.
Es klingelte an der Tür. Sie fing sich und stülpte eine professionelle, halbwegs gut vorgetäuschte Freundlichkeit über ihren Hass. Umsonst.
Draussen stand David Rotberg mit einem Kräutertopf. Sie hatte erwartet, dass er ein paar geschmacklose Rosen oder einen Strauss tropischer Obszönitäten mitbringen würde. Der Kräutertopf brach das Eis. Es war ein wuchtiger, alter Tontopf im Renaissance-Stil. Rosmarin, Thymian, Koriander, Salbei und andere Dinge, die sie nicht kannte, waren wie in einem kleinen Garten angeordnet. Menschen, die handgetopfte Kräuter mitbringen, können gar keine schlechten Menschen sein. Selbst, wenn sie wahrscheinlich Liquidatoren sind und wirklich schöne, elegante Anzüge tragen.
"Ich bin noch nicht fertig. Ich muss mir noch rasch was Hübsches anziehen", flötete sie, schickte David in die verdreckte Küche und schlüpfte in ihr Zimmer. Das einzige Kleid, das nicht verschmuddelt in ihrem Rucksack lag, trug sie sonst nur zu den Empfängen ihrer Pressestiftung. Aber dann bräuchte sie auch diese unbequemen Schuhe, in denen sie kaum laufen konnte. Und Lippenstift. Wo zum Teufel war der Lippenstift?

Sie findet ihn. Und noch so einiges anderes. Man glaubt gar nicht, was so ein nettes Mädchen alles finden muss...

Die Herren in Beige und Schlammgrün

Charakterlose Schnorrer. Buffetjournalisten. Wer sie einlädt, ist selber schuld. Und darf sich nicht wundern, wenn nachher was fehlt.

"Noch einen Wein?" fragte der Herr in Schlammgrün.
"Bitte."
"Aber diesmal etwas mässiger."
"Was heisst hier mässiger?" ereiferte sich der Herr in Beige. "Es ist Sommer. Die Praterinsel liegt fast vor Toren Veronas. Und in dieser Pracht all die gierigen Agenturmenschen. Ein abscheuliches Nebeneinander von Schönheit und Elend. Das ist kein Abend für Mässigung."
"Na schön, aber beschwer Dich nachher nicht, wenn es Dir schlecht wird."
"Mir wird natürlich schlecht, wenn ich schon auf das Programm schaue. Ansprache des Verbandsmenschen. Danach der Chef vom Computergiganten. Eine Promotionshow, weil die Agenturen kein Geld mehr haben und der Kerl das Buffet zahlt."
"Es könnte schlimmer sein. Stell dir vor, der Internet-Staatssekretär würde sprechen."
"Schrecklich. Ich eröffne jetzt das Buffet." Die beiden standen an einer langen, mit einem weissen Tuch abgedeckten Tafel. Die Pressevertreter hatten sich dort eingefunden; möglichst weit entfernt vom Podium mit den langweiligen Speeches und strategisch günstig für die First Moves an der Hummerschwanzfront. Ebenfalls gut beim Buffet aufgestellt waren die jüngeren Teilnehmer des Events. Praktikanten, die um ihre kargen Löhne betrogen wurden und sich jetzt mit Essen amortisierten. Frisch gefeuerte Designer wollten nicht ihren ehemaligen Arbeitskollegen begegnen, die sich mit leuchtend-zuversichtlichen Augen am Podium versammelt hatten. Es war ein buntes Völkchen voller vorsichtigem Pessimismus, das sich hier zum Erstschlag versammelt hatte. Wer eine günstige Partie für die Nacht suchte und halbwegs glaubwürdig einen Job anbieten konnte, hatte die Qual der Wahl.
"Wenn Du das Buffet eröffnest, werden sie uns nächstes Jahr nicht mehr einladen."
"Ich will nächstes Jahr nicht mehr eingeladen werden. 2002 zahlt höchstens noch Siemens das Buffet bei diesem New Lumpenproletariat. Wir wissen, was das bedeutet. Welker Salat und trocken Brot, und die Getränke muss man selber zahlen. Ohne mich."
"Wir brauchen einen Dritten im Bunde. Zwei ziehen das Tuch, aber jemand muss das erste Häppchen nehmen, sonst traut sich keiner."
"Da wäre jetzt eine Praktikantin gut."
"Ich habe bei Julia angerufen, aber sie hat nächste Woche Zwischenprüfung."
"Typisch. Die alten Tugenden Fleiss und Ausdauer kommen wieder in Mode. Wir erleben den Untergang einer Kultur, in der man nur mit schönen Worten Karriere machte."
"Es musste so kommen."

Der Herr in Schlammgrün ist übrigens der Autor des Buches...

Sonstige Medien

Pluralistisch. Ehrlich. Unbestechlich. Qualitativ hochwertig und kompetent.

Hallo, hier ist die Mailbox von Johann, Nachricht jetzt, Speed kills.
Hallo Johann, ich bins, Jörg Gruber, es ist Sonntag, 19.30 Uhr, sag mal stimmt das, dass es Euch schon nicht mehr gibt. Mein Chef grillt mich, wenn das stimmt. Du kannst doch nicht den Laden vor die Wand setzen und mich einen Tag vorher schreiben lassen, dass es Euch fantastisch geht. Ruf an, bitte.

Montag, 9:30 Uhr
BVCN-Pressemitteilung
BVCN erzielt mit Steel2net erfolgreichen Trade Sell

Das Bavarian Venture Capital Network hat mit der führenden B2B-Stahlplattform Steel2net eine weitere Erfolgsgeschichte geschrieben. Steel2net wird an eine Holding des Freistaates verkauft und mit dem bereits existierenden Business-System der Handelskammer vereint.
"Bei der aktuellen Marktlage macht ein Börsengang wenig Sinn", erklärt Karl Bacher, der stellvertretende Leiter des BVCN. "Wichtig ist, dass wir in kurzer Zeit ein herrausragendes Produkt zur Marktreife gebracht haben."
"Synergien sind ein Core Asset der Moderne", freut sich der Internet-Staatssekretär. "Genauso, wie sich der Stahlbau den Herausforderungen der Zukunft stellen muss, müssen die entsprechenden Dienstleister kooperieren."
Inwieweit die Mitarbeiter von Steel2net übernommen werden, ist noch Gegenstand weiterer Verhandlungen. "Wir sind in jedem Fall stolz, an der Revolution der Old Economy mitgewirkt zu haben", sagt Steel2net-CEO Johann Traublinger. Mehr

"Hier ist Euer Bürgerfunk aus München! Es ist 18.09 Uhr, und am Telefon ist jetzt Fredl Müller vom Querkopf Verlag. Fredl, was sagst Du zu zu der Geschichte mit diesen Stahlbauseiten?"
"Das internationale Finanzkapital feiert in München fröhliche Urstände. In wenigen Monaten ein derartiges Projekt hochziehen und zu verkaufen - das ist mal wieder typisch für die Konsummentalität der Imperialisten. Ich finde es nur seltsam, dass Teile der borgeoisen Presse so tun, als ob diese ursprüngliche Akkumulation in Reinform eine Pleite war. Steel2net wurde als Ausbeutungsinstrument entwickelt, und bis zur Weltrevolution wird es auch leider so funktionieren."

"Es ist 18.12 Uhr. Hier bei uns in der TV-Startup-Area ist jetzt Ferdinand Müller vom Web-Bizz-Verlag. Herr Müller, wie beurteilen Sie den Exit von Steel2net?
"Es zeigt sich wieder mal, wie stark die Munich Area doch ist. In wenigen Monaten ein derartiges Projekt hochzuziehen und zu verkaufen - das ist ein Glanzleistung. Ich finde es nur seltsam, dass manche jetzt so tun, als ob der Exit eine Art Liquidierung des Unternehmens wäre. Steel2net wurde immer als Produkt angesehen, und als Produkt ist es ein glatter Erfolg."

Don Alphonso freut sich schon auf die gnädigen Rezensionen der werten Kollegen von den Medien...

 

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