Arbeitsform
Licht und Schatten bei der Zeitarbeit
Die "Arbeitnehmerüberlassung" profitiert vom wirtschaftlichen Aufschwung. Händeringend suchen die Unternehmen neue Mitarbeiter. Fachkräfte sind inzwischen schwer zu finden.
Berlin - "Sie nehmen den Bus X11 Richtung Schöneweide bis zum S-Bahnhof Lichterfelde, dann gehen sie noch 200 Meter weiter, die Firma ist auf der linken Straßenseite." Jana Förster dirigiert einen ihrer Berliner Mitarbeiter per Telefon zu seiner Einsatzstelle am Wochenende. Es ist eine ihrer Aufgaben als Vermittlerin bei einer Zeitarbeitsfirma. Vielleicht ist die enge Betreuung ein kleiner Teil des Erfolgsgeheimnisses der Zeitarbeitsbranche. So kann die Firma auch Menschen einstellen, die in ihrer Arbeit gut sind, aber manchmal Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation haben.
Das Geschäft mit der Arbeitnehmerüberlassung, wie die Zeitarbeit offiziell heißt, läuft jedenfalls. Firmen wie Randstad oder Adecco stellen Mitarbeiter ein und verleihen deren Arbeitskraft. Vorteil für die Kundenunternehmen: Sie müssen die Zeitarbeitnehmer nur dann bezahlen, wenn sie sie wirklich brauchen. Gibt es keine Arbeit, können die Zeitarbeiter einfach zurückgeschickt werden. Einem festen Mitarbeiter zu kündigen, ist wesentlich komplizierter. Die verleihenden Firmen profitieren, indem sie für ihre Mitarbeiter mehr Geld vom Kunden kassieren, als sie in Form von Lohn auszahlen.
Ob die Mitarbeiter dabei selbst auch profitieren? "Die Bezahlung ist nicht besonders", sagt Laura O'Connor*. Die Irin arbeitet für Adecco als Sekretärin beim Technologiekonzern IBM. "Aber ich habe trotz meiner schlechten Deutschkenntnisse schnell eine Stelle gekriegt." Adecco ist dabei kein Risiko eingegangen: Sara wurde erst eingestellt, als sie die Tätigkeit bei IBM sicher hatte. Ihre Tätigkeit dort ist nicht projektgebunden und zeitlich unbefristet. Dabei besteht klassische Zeitarbeit meist aus Vertretungen oder aus anderweitig bedingt zeitlich begrenzten Einsätzen.
Dass die Bezahlung schlecht ist, sagen die meisten Zeitarbeitnehmer. Statt elf Euro pro Stunde wie seine fest angestellten Kollegen bekomme er nur 7,95 Euro, erzählt Martin Huber*. Als gelernter Heizungsmonteur ist der 42-Jährige einer der viel gefragten Facharbeiter. Trotzdem ist er ist auf die Zeitarbeit angewiesen. Ja, einen Aufschwung am Bau gebe es schon - aber eingestellt werde trotzdem nicht, sagt er. Die Stelle bei der Zeitarbeitsfirma zu finden, war dagegen kein Problem: Einen Monat war er nach seiner Entlassung arbeitslos, seitdem ist der Berliner bei Randstad beschäftigt. "Arbeitslosigkeit kann ich mir nicht leisten, ich habe Frau und Kind."
Der Schritt zur Zeitarbeit lag nahe. Randstad kannte er schon von seiner vorherigen Stelle. Für die bei seiner Firma beschäftigten Zeitarbeiter erstellte Huber die Dienstpläne. Die Arbeit hat sich verändert, erzählt er, obwohl er weiter im gleichen Beruf tätig ist. Statt für eine Firma arbeitet er jetzt für viele verschiedene. Meist erfährt er zwei Tage, bevor ein Einsatz endet, von dem bevorstehenden Wechsel. Dann bekommt er einen Anruf von seiner Vermittlerin, die ihm den neuen Einsatzort mitteilt. "Wenn man vorher fest gearbeitet hat, muss man sich schon umstellen", sagt Huber. "Man muss viel fahren und trifft ständig neue Leute."
Damit das Prinzip Zeitarbeit funktioniert, braucht es vor allem Menschen wie Jana Förster. Die junge Berlinerin arbeitet als Disponentin, so heißen Arbeitsvermittler im Fachjargon, beim deutschlandweiten Marktführer Randstad. Auch sie weiß, dass den Zeitarbeitern viel abverlangt wird. "Deshalb sind die meisten unserer Mitarbeiter relativ jung. Die sind oft mobiler und flexibler."
Die Vorstellung, dass Arbeitsvermittler den ganzen Tag nichts anderes tun, als mit Bewerbern zu sprechen, ist falsch. "Die Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich in den Kundenunternehmen", erklärt Förster ihre Tätigkeit. "Die kommen mit ihren Jobs nicht unbedingt zu uns, ich suche sie vor Ort." Die andere Hälfte der Zeit ist sie im Büro. Macht Verträge mit den Kunden, die Lohnabrechnung, führt die Personalakten.
Natürlich spricht sie auch mit Bewerbern, Mitarbeitern und koordiniert. Wer kann wann wo sein? Die Fähigkeiten der Mitarbeiter müssen den Anforderungen des Einsatzes genau entsprechen. Um das zu gewährleisten, muss die Vermittlerin die bei den Kunden wartenden Aufgaben kennen. Als sie mit ihrer Tätigkeit anfing hat, wurde sie deshalb in die Betriebe geschickt. Dort konnte sie selbst sehen und ausprobieren, was die von ihr vermittelten Mitarbeiter später tun müssen.
Das Zeitarbeitssystem ist offensichtlich erfolgreich. Momentan werden händeringend zusätzliche Mitarbeiter gesucht. Die Branche bekommt den vielfach angekündigten Fachkräftemangel längst zu spüren. Das gehe auch den Konkurrenzunternehmen so, sagt Förster, man kenne sich untereinander. 120 Fachkräfte betreue sie momentan, sie könnte aber viel mehr vermitteln. Besonders qualifizierte Handwerker, etwa Elektriker und Schlosser, fehlen.
Martin Huber profitiert davon nur wenig. Gerne hätte er Zeitarbeit als Sprungbrett genutzt, um wieder eine Festanstellung zu finden. Aber, so sagt er, "Zeitarbeit ist für die Firmen billiger, da stellt keiner ein". Allerdings wirkt sich der Fachkräftemangel für ihn trotzdem positiv aus. "Früher musste ich als Zeitarbeiter Hilfstätigkeiten machen, die sonst keiner erledigen wollte. Heute bin ich gleichberechtigt."
* Name geändert
Artikel erschienen am 30.11.2006, welt.de |