Zum Pennystock niedergeprügelt: Lehman Brothers - Ende eines Mythos! Von Gordon van Tradehoven Lehman Brothers – bis letzte Woche noch ein klingender Name und eines der Aushängeschilder im globalen Finanzsystem… Lehman Brothers – so etwas wie die Twin Towers der Wallstreet… Heute, am 15.September 2008, sind also auch diese Twin Towers unter lähmendem Entsetzen in sich zusammengestürzt. Wie paralysiert standen heute morgen sogar die abgezocktesten Händler vor ihren Monitoren auf dem Wallstreetparkett und beobachteten, wie sich über 150-jährige Investmenthaustradition innerhalb von Minuten pulverisierte… Dieser Kollaps kann in seiner Drastigkeit noch gar nicht richtig eingeschätzt werden. Das Vertrauen von Anlegern, Investoren und einfachen Kunden in das globale Bankensystem dürfte wohl auf Jahre hinweg nun erst einmal zerstört sein – zumal derzeit niemand wirklich sagen kann, ob dies nicht möglicherweise erst der Anfang einer horrenden Krise ist, die in den nächsten Wochen und Monaten zu weltweiten Umwälzungen und Zusammenbrüchen an den Finanzmärkten führt. Noch im August hatte Finanzmagnat und Hedgefonds-Manager Georg Soros seinen Anteil an der bis dato drittgrössten Investment-Bank aufgestockt. Aus der heute so brutal aktuellen Perspektive mutet es wie ein schlechter Witz an, dass der US-Millardär noch vor wenig mehr als sechs Wochen dachte, die Gunst der Stunde genutzt zu haben indem er seine bereits bestehenden Anteile bei Lehman Brothers auf 9,5 Mio. Aktien aufgestockte. Schon zum damaligen Zeitpunkt hatte die Aktie seit ihrem Höchststand Mitte 2006 einen Kursverlust von rund 80% erlitten und notierte bei etwa 17 USD. Am Freitagabend, 12.September 2008, schloss Lehman Brothers dann nur noch bei 3,65 USD nachdem in den Tagen zuvor ein Verlust von 3,9 Milliarden USD für das 3.Quartal ausgewiesen werden musste. Mit Lehman Brothers verabschiedet sich ein Wallstreet-Mythos von der Bildfläche, der wie wohl kein anderer das Bild dieses Finanzplatzes mitgeprägt hat. Kein anderes Investmenthaus hat wohl ein solches Auf und Ab durchlitten wie Lehman Brothers. Keine andere Investmentbank ist mit so schöner Regelmäßigkeit ein ums andere Mal glor- und erfolgreicher als zuvor wie Phönix aus der Asche wiedererstanden. Zu verdanken hatte man den Erfolg dieser Unverwüstlichkeit insbesondere einem Mann: Richard Fuld. Der heute 62-jährige stieg bereits 1969 bei Lehman ein und machte den massiven Niedergang des Hauses in den Achtzigern mit. Er hat aus einem heruntergekommenen Handelshaus eine Bank gemacht, die bis Mitte September diesen Jahres zur ehrwürdigen und legendenumwobenen Elite der Wall Street gehörte. Anfang der 80er Jahre war das Haus durch Misswirtschaft derart gesunken, dass Lehman an American Express verkauft werden musste. Über zehn Jahre hinweg gelang es den neuen Eignern nicht, die angeschlagene Investmentbank wieder auf Kurs zu bringen. 1993 entschied man sich dann dafür, sich von der Lehman-Sparte zu trennen. Mit dem Börsengang von 1994 stand Lehman Brothers dann wieder auf ureigenen Beinen. Bereits Ende 1993 hatte Fuld das Investmenthaus in fast hoffnungsloser Lage unter seine Fittiche genommen und mit Disziplin, Strategie und Geschick die zerstrittenen Lager innerhalb der Bank miteinander versöhnt. Ihm gelang es, inmitten der Krise die konkurrierenden Bereiche Commercial Banking und Investment Banking auszusöhnen. Seither galt das leidenschaftliche Kämpfen von „Bankern“ und „Tradern“ für die gemeinsame Sache „Lehman Brothers“ als mustergültig und stilbildend für die gesamte Branche. 1998 standen Lehmans dann erneut plötzlich vor dem Aus als Insolvenzgerüchte die Runde machten und die Aktie in wenigen Tagen bis zu 70% ihres Wertes verlor. Fuld gelang es jedoch, das Vertrauen von Kunden wie Ratingagenturen zügig zurück zu gewinnen und den Börsenwert des Hauses in den folgenden 3 Jahren zu verfünffachen. Mit den Anschlägen vom 11.September 2001 lief man dann jedoch erneut plötzlich Gefahr, quasi über Nacht von der Bildfläche zu verschwinden. Beim Zusammenbruch des World Trade Center wurde auch der Bürokomplex der Lehman Brothers komplett zerstört. Erneut bewies das Haus mit seinem Chef Richard Fuld an der Spitze, dass man hart im Nehmen und mit allen Mitteln entschlossen ist, durch diesen neuerlichen Keulenschlag umso stärker und gefestigter den Trümmern zu entsteigen. Nur drei Tage nach dem Anschlag hatte man in einer Aufsehen erregenden Aktion das komplette "Sheraton Hotel" in der Nähe des Times Square gemietet und die Hotelzimmer in Büros verwandelt! Als am 17.September dann wieder der Handel an der Wallstreet aufgenommen wurde, standen auch die Lehman Brothers wieder auf dem Parkett. Keine vier Wochen später hatte man Alltag und Geschäfte schon wieder so weit im Griff, dass man dem Konkurrenten Morgan Stanley einen 32 Stockwerke hohen Büroturm ein paar Blocks weiter für 700 Millionen Dollar abkaufen und sich dort neu einzurichten konnte. In den folgenden Jahren konnte man sich dann in beeindruckendem Tempo weiter im Kreis der Strippenzieher emporarbeiten – was sich nicht zuletzt auch im Aktienkurs widerspiegelte: Von den Insolvenzgerüchten 1998 bis zum höchsten Aktienkurs bei über 80 USD Mitte 2006 konnte sich das Lehman-Papier verzehnfachen. Es sind diese Hintergrundgeschichten um Lehman Brothers, die dem heutigen Tag, dem 15.September 2008, einen solch tragisch-mythischen Charakter in der globalen Finanzwelt verleihen, dass sich bereits zunehmend mehr Kenner der Szene zu Vergleichen mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 veranlasst sehen, wenn sie die Auswirkungen dieses Tages auf die Finanz- und Börsenwelt in Worte fassen sollen. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Lehman Brothers ist eine Geschichte, die geradezu zur filmischen Verewigung durch das Hollywood-Kino einlädt. Kein Investmenthaus an der Wallstreet hat wohl mehr Auf- und Abstiege hinter sich, keines schwang sich stärker, unaufhaltsamer und disziplinierter aus existenziellen Nöten heraus in den elitären Finanzzirkel empor, der die Wallstreet und den globalen Geldkreislauf beherrscht und kontrolliert. Und wohl noch nie ist eine Investmentinstitution tiefer und existenzieller gefallen als Lehman Brothers.
Es gehörte schon immer zur Unternehmensphilosophie, den eigenen persönlichen Erfolg mit dem des Unternehmens zu verbinden. Daher erhielt der Lehman-Vorstand immer 74% seines Lohns in Form von Aktien oder Aktienoptionen ausbezahlt – je erfolgreicher das Unternehmen, desto besser der Aktienkurs, desto besser das eigene Gehalt. Auch die Mitarbeiter wurden per Aktien stark am Unternehmen beteiligt. Man spricht von 25%, die alleine durch Geschäftsleitung und Mitarbeiter von Lehman Brothers gehalten wurden. Fuld selbst saß laut einem Bericht des "Wall Street Journal" noch letzte Woche auf einem Bestand von 10,9 Millionen Aktien, das sind 1,4 Prozent des gesamten Aktienfloats. Angesichts des Kursverfalls hat Fuld seit Ende Januar einen Buchverlust von knapp 650 Mio. $ erlitten. Das eigentlich lobenswerte Modell des Miteigentums am Unternehmen, für das Lehman Brothers so lange und so ruhmreich stand, hat sich mit dem 15.09.08 damit endgültig zu einem bitteren und unbarmherzigen Bumerang verwandelt, von dessen K.O.-Schlag sich der Phönix dieses Mal wohl nicht mehr erholen dürfte. Als über das Wochenende alle Verhandlungen zum Aufkauf oder zur Übernahme gescheitert waren und auch Finanzminister Henry Paulson die zuvor in anderen Fällen geleisteten Staatshilfen ausschloss, sah sich Lehman Brothers gezwungen, Insolvenz und Gläubigerschutz unter Chapter 11 zu beantragten. Mit der darauffolgenden Opening Bell an der Wallstreet folgte dann die finale Demütigung des einst stolzen Bankhauses: Über Nacht war der Kurs zum Pennystock herabgeprügelt worden und eröffnete bei nur noch 26 Cent, das waren 90% Abschlag gegenüber dem Schlusskurs vom Freitag – am Ende des Handelstages war die Lehman-Aktie nur noch 0,21 USD wert… Damit sind nun mit Goldman Sachs und Morgan Stanley nur noch zwei unabhängige Investmentbanken statt derer fünf vor einem halben Jahr an der Wallstreet übrig geblieben – vorläufig zumindest… Die Wallstreet ist seit heute nicht mehr das, was sie noch gestern gewesen ist – eines ihrer Symbole liegt in Staub und Asche.
©by Gordon van Tradehoven/happyhotstock 2008 http://www.happyhotstock.de/news/...brothers---ende-eines-mythos.html |