aus einem anderen thread sehr aufschlussreich
Der Bären heimliche Probleme Liebe Leserinnen und Leser, kürzlich konstatierte ein US-Händler an der New York Stock Exchange, dass es momentan nur zwei Arten von Trades an der NYSE gäbe: Short gehen und Shortpositionen eindecken. Das ist vielleicht ein wenig krass formuliert. Aber wenn man sich einige statistische Größen wie die zahlreichen 95%-down-volume-Tage, die in allen Zeitrastern deutlich überverkauften markttechnischen Indikatoren oder die extreme Differenz zwischen neuen 12 Monats-Hochs und –Tiefs ansieht, muss man eines einräumen: Die Stimmung ist noch schlechter als die charttechnische Lage, und die ist schlecht genug. Ist dies das wahre Paradies der Börsenbären, der Baissiers? So lange alles schön nach Plan läuft, durchaus. Aber genau das kann sich sehr schnell ändern ... gerade in solchen Phasen völligen Pessimismus ist es nur ein kleiner Schritt von völliger Marktkontrolle durch die Baissiers zu einer Short-Squeeze (to squeeze = ausquetschen) ... und die kommt nahezu immer auf leisen Sohlen. Auf den ersten Blick wirkt es wirklich so, als würden die Bären das Geschehen völlig kontrollieren. Das ist momentan auch nicht von der Hand zu weisen. Doch dass sie sich deswegen gemütlich zurücklehnen, ihren neuen Reichtum genießen und von noch mehr Gewinnen träumen können, ist ein Irrglaube, der leicht entsteht, wenn man nicht gerade auf gigantischen Shortpositionen im Future oder Millionen leer verkaufter Aktien sitzt. Denn was oft übersehen wird ... außer von momentan gar nicht so glücklichen Baissiers ... ist, dass all diese Gewinne durch in Grund und Boden gedroschene Kurse so lange reine Buchgewinne sind, bis diese Positionen eingedeckt und damit in trockenen Tüchern sind. Und genau das dürfte manch einem Bär momentan das Fell zu dick werden lassen. Zum Eindecken braucht es ein passendes Umfeld Die Faustregel, dass zu einer tauglichen Wende nach oben in der Regel eine zackige Verkaufspanik gehört, hat durchaus ihre Berechtigung. Nicht nur, weil in eine solche Panik auch der letzte Bulle den Mut verliert, aussteigt ... und so danach letztlich kaum noch jemand übrig bleibt, der noch verkaufen will und damit die Kurse weiter drücken könnte. Sondern auch, weil eine solche, immer von sehr hohen Umsätzen begleitete Welle massiver Verkäufe genau der Schuh ist, in den eine Bärentatze passt. Das Problem der Baissiers ist immer, ihre Shortpositionen eindecken zu können, ohne dadurch die Kurse selbst zu schnell nach oben zu treiben, bevor die gesamten Baisse- Schäfchen im trockenen sind. Das ist nicht das Problem des Privatanlegers und nicht das Problem derer, die über Optionsscheine, CFDs oder Zertifikate auf fallende Kurse setzen. Da kann es höchstens das Problem der Emittenten werden, die sich aber dagegen abzusichern haben. Nein, es ist das Problem derer, die die Kurse „machen“: Die großen Adressen, die Milliarden bewegen und so die Kurse oft sehr markant dominieren. Und werden die Positionen zu groß ... kann sich das zu einem wahren Waterloo auswirken, wenn die rettende Verkaufspanik ausbleibt oder man zu viel wagt. Solch ein „Schlachtfest“ haben wir zuletzt z.B. bei Rohöl seit Sommer letzten Jahres erlebt. Da wurden zwar die Bullen und nicht die Bären massakriert, aber das Prinzip ist genau das selbe: Zu viele Positionen, als der Markt verkraften könnte, sobald man versucht, diese einzudecken. Ob es nun um leer verkaufte Aktien geht oder um Shortpositionen im Future, das Problem bleibt das selbe. Wer im Future Short ist, kann seine Gewinne erst dann wirklich verbuchen, wenn er sich neutral gestellt hat. Und das passiert, indem man eine Long-Position kauft und so (Short - Long = Null) eine neutrale Position erhält. Wer z.B. im Dax bei 4.500 mit 10 Kontrakten im Dax Future Short ging und nun bei 3.800 im Dax Future mit 10 Kontrakten Long geht, hat seinen Gewinn gesichert. Feine Sache. Aber wie ist es, wenn jemand nicht 10, sondern 10.000 Kontrakte oder mehr hat? Dann kann das Eindecken richtig unerfreulich werden, denn würde eine einzige Adresse versuchen, an einem Tag 10.000 Kontrakte Long zu gehen, würde sie damit die Kurse schon recht markant nach oben bringen. Denn ebenso wie überall an der Börse ist der aktuelle Kurs immer das Ergebnis aus dem fragilen Gleichgewicht zwischen Kauf- und Verkaufswilligen. Momentan werden im Dax Future am Tag um die 200.000 Kontrakte gehandelt. Ein Anstieg um 10.000 oder mehr auf der Kaufseite kann in diesem Umfeld blanker Nerven durchaus eine deutliche Bewegung nach oben auslösen. Und es geht hier nicht zwingend um „nur“ 10.000 Kontrakte. Daher haben die großen Adressen, die offensiv Short sind, d.h. damit nicht Aktienbestände absichern sondern „Netto-Short“ sind, immer das Interesse, dass solche Eindeckungen dann vonstatten gehen, wenn gerade massiver Verkaufsdruck auftritt, der den eigenen Kauforders so deutlich entgegen wirkt, dass die Kurse durch die eigenen Käufe nicht unnötig steigen, bevor man mit dem Eindecken fertig ist. Gleiches gilt für leer verkaufte Aktien. Ein totaler Selloff, ob nun fundamental begründet oder, wie z.B. heute bei General Electric, bar jeder tieferen Vernunft, ist eine ideale Plattform für solche massiven Eindeckungs-Operationen. Ein Schuft wer denkt, dass da dann die eine oder andere Adresse bewusst ein wenig mit Gerüchten nachhilft, um einen solchen finalen Ausverkauf zu provozieren. Doch negative Gerüchte, Verkaufsempfehlungen von Banken nach 90% Kursverlust oder ähnliche Aktivitäten spielen den Bären nun einmal ideal in die Karten. Denn sie suggerieren denen, die nun brav in Panik geraten sollen, dass der Abstieg der Kurse nun erst richtig losgehen würde ... während die Baissiers ihre Positionen schließen können, ohne die Kurse dadurch selbst nach oben zu bringen und zugleich nicht selten gleich auf die Long-Seite wechseln, indem sie, so der Druck reicht, z.B. eine Million leer verkaufter General Electric eindecken und bei der Gelegenheit gleich noch eine Million mehr kaufen und so auf einmal netto Long sind. Die Margin-Pyramide Ein ideales Spielchen, das oft auch aufgeht. Doch es wird dann kritisch, wenn eine solche Verkaufspanik ausbleibt und im Gegenteil die Umsätze austrocknen ... was gerne mal passiert, wenn zwar auf der einen Seite ein Käuferstreik herrscht, auf der anderen Seite aber so langsam jeder, der in Panik geraten soll, dies bereits vor Tagen tat und dem Markt so zugleich auch die Verkäufer ausgehen. Bei schwindenden Umsätzen wird es immer und immer problematischer, wirklich große Short-Positionen einzudecken. Und gerade bei Hedge Funds werden diese oft immer und immer größer, je weiter die Kurse fallen, denn: Hier neigt man dazu, das Kapital gerne voll „auszuschöpfen“. Und das bedeutet, dass man sich der Margin-Pyramide bedient, indem man neue Shortpositionen in dem Maße dazupackt, wie das Margin-Konto dies zulässt. Sie wissen, dass man bei Trading im Future – egal in welchem – Sicherheiten zu hinterlegen hat, die so genannte Margin, um sicherzustellen, dass man den Gegenpart des Kontrakts auch bezahlen kann, wenn es zum Schwur kommt. Nun ist es so, dass das dazu gehörige Konto, das Margin-Konto, allabendlich abgerechnet wird. Dabei werden Buchgewinne als Guthaben hinzugerechnet. D.h. dieses Konto wächst an, je weiter man mit seiner Position im Gewinn liegt. Dies kann man nutzen, indem man für diese aufgelaufenen Gewinne weitere Positionen (in unserem Beispiel des Dax-Future Short- Positionen), dazupackt. Man geht also weiter Short, bis die aktuell vorhandene Summe auf dem Margin-Konto der nötigen Margin für die Gesamtzahl der Kontrakte entspricht. Wer so vorgeht, erhöht Tag um Tag seine Positionsgröße in dem Maße, wie die Kurse weiter fallen (und er damit tiefer im Gewinn liegt), ohne von außen neues Kapital zuschießen zu müssen. Damit hebelt er also seine Position immer stärker und verdient sich dumm und dämlich ... es sei denn, es kommt etwas dazwischen. Denn der Haken an der Sache ist, dass auf diese Weise das „Polster“ bis zum Margin-Call nie dicker wird. Der Margin-Call ist der Moment, an dem die hinterlegte Sicherheitsleistung in der abendlichen Abrechnung so durch einen Kursverlust in den Futures so weit geschrumpft ist, dass sie das Mindestlevel unterschreitet. In diesem Moment muss das Margin-Konto sofort wieder aufgefüllt werden, ansonsten wird die Position vom Terminbörsenbetreiber zwangsverkauft. Normalerweise würde man, wenn man seine ursprüngliche Short-Position nicht ausweitet, mit weiter fallenden Kursen immer mehr „Luft“ auf sein Margin-Konto bekommen und so normale Kursrücksetzer problemlos aussitzen können. D.h. man kann sich erlauben auszusteigen, wenn man es für sinnvoll hält ... und nicht, weil man sonst „ausgestiegen wird“, weil man die nötige Summe für den Nachschuss auf das Margin-Konto nicht besitzt. Und was, wenn die Panik nicht kommt? Wer also sein Polster im Margin-Konto dazu verwendet, immer neue Short-Positionen hinzuzupacken, hat immer nur einen Spielraum bis zum Margin-Call, der dem entspricht, als wäre man die Position gerade neu eingegangen. Das heißt, dass eine gerade in volatilen Phasen normale Gegenbewegung um 5-10% solche vollgepackten, pyramidisierten Konten schon in die Bedrouille bringen kann. Die Art und Weise, wie in den letzten Tagen jede Bewegung nach oben am Aktienmarkt immer wieder konsequent und mit der Brechstange „weggedrückt“ wurde, deutet für mich an, dass dieses Pyramidisieren der Positionen erneut praktiziert wird und diese Akteure nicht nur täglich fallende Kurse wollen, sondern auch brauchen, um den Schwung der Bewegung nach unten zu erhalten ... in der Hoffnung, noch mehr Positionen aufsatteln zu können, noch mehr Profit zu machen und durch diese permanente Abwärtsbewegung dann eine feine Verkaufspanik auslösen zu können, in deren dann hoffentlich massiv steigende Umsätze sie dann gemütlich eindecken können. Aber wehe, diese steigenden Umsätze bleiben aus. Wehe, die Panik kommt nicht oder wird nicht konsequent genutzt. Immerhin hat der Dax die 4.000 gebrochen, der S&P 500 die 740, der Dow Jones die 7.450. Ja, danach ging es auch weiter nach unten ... aber eine Panik? Die bleib bislang aus. Ebenso wie eine wirklich große Umsatzspitze. Hätte ich jetzt eine Riesenposition Short im Future und hätte, wie oft bei Hedge Funds, alles verfügbare Kapital investiert und damit gar kein Geld für das auffüllen des Margin-Kontos frei ... ich würde ganz schön unruhig werden. Vor allem, weil die Beispiele der jüngeren Vergangenheit ziemlich klar aufzeigen, wie böse solch ein „Optimieren“ der Positionen ausgehen kann, wenn die Erwartung einer idealen Gelegenheit zum Eindecken ausbleibt. Es war ja nicht nur der Zusammenbruch der Fahnenstange bei Rohöl. Dieses Massaker derer, die sich mit ihren gigantischen Positionen für unverwundbar hielten, erstreckte sich fast auf den gesamten Rohstoffbereich. Und es war das selbe Problem: Die damaligen Kursexplosionen nach oben endeten nicht in einer totalen Kaufpanik, sondern versickerten, nachdem all diejenigen, die meinten, den stark gestiegenen Kursen hinterher laufen zu müssen, dies bereits getan hatten und die Umsätze nicht mehr das nötige Niveau hatten, um die Glattstellung der gigantischen Longpositionen zu verkraften, ohne massiv einzubrechen. Hier und heute habe ich den Eindruck, dass sich das selbe Szenario am Aktienmarkt etabliert – nur eben auf der Short-Seite. Ich weiß nicht, ob der heutige, plötzlich nach oben weisende Tag im Dax schon der Anfang einer Short-Squeeze ist. Das kann niemand sicher vorhersagen, weil man denen, die hier massiv Short sind, nicht in die Köpfe hinein sehen kann. Ich persönlich meine, dass diese Akteure erst nervös werden (und ob der Margins werden müssen), sobald der Dax, der S&P und die anderen stark über Futures gehandelten Indizes die Herbst-Tiefs wieder überwinden würden, im Dax z.B. die 4.000. Wenn diese Hürden nicht überwunden werden, dürften die Bären ihr Spiel ohne Wenn und Aber weiter treiben. Aber das Dumme ist ... dass solche entscheidenden Chartmarken ruckzuck überstiegen werden, wenn auch nur eine der großen Adressen auf der Short-Seite beginnt, ihre Positionen einzudecken. Und dann würden die anderen folgen ... oder folgen müssen. Es ist schlicht noch nicht absehbar ... aber wenn eine solche Situation entsteht, ist ein Anstieg von fünf Prozent im Dax, wie heute gesehen, keineswegs eine Größenordnung für „Short- Squeeze-Tage“, die das obere Ende der möglichen Kurszuwächse darstellen würde. Nicht zuletzt deshalb, weil dann ja zusätzlich all diejenigen nervös würden, die Leerverkäufe im Aktienbereich halten. Denn werden diese Positionen zu groß, tut man sich nicht selten sehr, sehr schwer, überhaupt genug Aktien über die Börse zurück kaufen zu können, um die gesamte Short-Position wieder auszugleichen. Gerade bei etwas kleineren Werten tauchen dann plötzlich Kursteigerungen von 10 oder 20% an einem Tag auf, was die Indizes ebenfalls nach oben treibt und die Baissiers im Bereich der Index-Futures zusätzlich unter Druck setzt ... Sicher, die Aktienmärkte sind weitaus „breiter“ als der Bereich der Rohstoffe. Aber wenn eine solche Short-Squeeze beginnt (wobei für mich die Frage nicht lautet „ob“, sondern „wann“ und auf welchem Niveau das der Fall ist) würde ich mich nicht einmal ein bisschen wundern, wenn die Aktienmärkte dann binnen weniger Wochen von „verdammt tief gefallen“ auf „ja sind denn jetzt alle verrückt geworden“ steigen würden! Mit den besten Grüßen Ihr Ronald Gehrt (www.system22.de) |