Hamburg/Wolfsburg. Früherer Vorstandschef wirft Salzgitter AG vor, die Ablösung von Roland Harings vorangetrieben zu haben und die Übernahme zu planen. Der CongressPark Wolfsburg ist ein äußerlich recht schmuckloses Gebäude und verfügt über drei größere Säle für bis zu 2000 Menschen. Für nächsten Sonnabend steht dort das Jahrestreffen der Landsmannschaft Ostpreußen im Terminkalender. Den Teilnehmern wird ein „kurzweiliges Programm“ mit Volkstänzen „aus der Heimat“ versprochen.
Drei Tage zuvor wird es im CongressPark absehbar weniger beschaulich und besinnlich zugehen. Die Hauptversammlung der Aktionäre des Stahlkonzerns Salzgitter AG verspricht, zum konfrontativen Jahrestreffen zu werden. Es geht um den Hamburger Kupferkonzern Aurubis. Die Salzgitter AG ist dessen größter Aktionär.Aurubis-Showdown: Ehemaliger Chef attackiert den Großaktionär
Im Vorfeld der Aktionärsversammlung attackiert der frühere Aurubis-Chef Werner Marnette (78) die Führungsspitze des Stahlkonzerns. Sie habe die vorzeitige Ablösung des erfolgreichen Aurubis-Vorstandsvositzenden Roland Harings und zweier weiterer Vorstandsmitglieder orchestriert, lautet Marnettes Kernvorwurf. Der Stahlkonzern aus Niedersachsen bereite so die Übernahme des Hamburger Kupferherstellers vor. Am Mittwoch soll es in Wolfsburg zum Showdown kommen. Marnette, von 1994 bis 2007 Aurubis-Vorstandsvorsitzender, danach zwischen Juli 2008 und März 2009 Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein und bis heute Aurubis- und Salzgitter-Aktionär, wirft dem Stahlkonzern-Vorstandschef Gunnar Groebler (52) „schwerwiegende Verstöße gegen das Aktienrecht und den Corporate Governance Code“ vor. So steht es in Marnettes Antrag, die Aktionäre sollten dem Salzgitter-Vorstand die Entlastung für das Geschäftsjahr 2023 versagen. Auch der Aufsichtsrat solle nach den Wirrungen um die Entlassung der Aurubis-Vorstände nicht entlastet werden, hat Marnette beantragt.
Aurubis: Schwere Vorwürfe gegen Salzgitter-Chef Gunnar Groebler
Im Zentrum der Vorwürfe steht Groebler, der im Aurubis-Aufsichtsrat sitzt. Salzgitter ist seit Jahren mit 29,99 Prozent der Aktien an dem Kupferkonzern beteiligt. Marnette ist überzeugt:
Groebler hat die Wahl der Anteilseignervertreter im Aurubis-Aufsichtsrat dahingehend beeinflusst, dass nun vier der sechs Vertreter die Interessen von Salzgitter vertreten und nicht unabhängig im Sinne von Aurubis agieren.
Groebler habe direkt in die Geschäfte von Aurubis eingegriffen und den Vorstand als nicht funktionsfähig, als „dysfunktional“ bezeichnet. „Das hat er mir in einem persönlichen Gespräch gesagt“, so Marnette gegenüber dem Abendblatt. Salzgitter habe die Amtsenthebung des Vorstandsvorsitzenden Harings und der beiden anderen Aurubis-Vorstände veranlasst „unter dem Vorwand für kriminelle Vorfälle im Unternehmen verantwortlich zu sein, obwohl ein Rechtsgutachten belegt“, dass die Manager keine Schuld treffe.
Salzgitter habe dem Gewerkschaftsvertreter im Aurubis-Aufsichtsrat zugesagt, Arbeitsdirektor in einem künftigen Vorstand werden zu können. Gemeint ist damit der Hamburger Regionalvorsitzende der Chemiegewerkschaft IGBCE, SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Aurubis-Aufsichtsrats, Jan Koltze. Der allerdings dementiert: „Weder die Salzgitter AG, noch einer von deren Vertretern, hat mir eine Funktion im Management der Aurubis AG angeboten. Dieses gilt auch für die Funktion des Arbeitsdirektors der Aurubis AG!“, so Koltze auf Anfrage des Abendblatts. Marnette ist überzeugt, Ziel all dessen sei, dass Salzgitter „offensichtlich beabsichtigt, Aurubis zu übernehmen“. Der ertragsschwache Stahlkonzern könne die geplante Umstellung seiner Produktion auf emissionsfreie Energieträger nicht aus eigener Kraft finanzieren, brauche Geld. „Ich weiß aus mehreren Quellen, dass Salzgitter ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, alle Finanzierungsoptionen zu prüfen. Und dazu gehört auch eine Übernahme von Aurubis“, sagte Marnette dem Abendblatt. Ein Unternehmenssprecher sagte dazu: „Die Salzgitter AG befindet sich in regelmäßigem Austausch mit Banken und Finanzberatungsunternehmen.“ Aurubis-Übernahme geplant? Salzgitter antwortet ausweichend
Der Salzgitter-Vorstand weist Marnettes Vorwürfe in Bausch und Bogen zurück. „Die Behauptungen in den Gegenanträgen entbehren jeglicher Grundlage, sind unsubstanziiert und nahezu durchgehend schlicht unwahr und ehrenrührig“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme zu seinem Vorstoß, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten. Man behalte sich vor, während der Hauptversammlung dazu ausführlicher Stellung zu beziehen. Werner Marnette feilte am Dienstag unterdessen weiter an seinem Redebeitrag im Wolfsburger CongressPark. Er weiß aus Erfahrung, dass er bis ins kleinste Detail vorbereitet sein muss. Es ist nicht der erste Versuch des ehemaligen Aurubis-Chefs, den Großaktionär zu stellen: Bereits 2019, nach der vorzeitigen Entlassung des Harings-Vorgängers Jürgen Schachler, hatte Marnette der Salzgitter AG Übernahmegelüste vorgeworfen und eine Nicht-Entlastung des Salzgitter-Vorstands beantragt. Er scheiterte. „Damals ist keine meiner Fragen beantwortet worden, ich muss damit rechnen, dass es diesmal ähnlich laufen soll.“ Aus erster Hand erfahren werden das jedoch nur Salzgitter-Aktionäre, die im Wolfsburger CongressPark persönlich anwesend sind. Die Öffentlichkeit kann im Internet allein den Jahresbericht von Vorstandschef Gunnar Groebler verfolgen. Danach endet der Livestream. „Aus rechtlichen Gründen“, sagte ein Unternehmenssprecher dem Abendblatt. |