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Frankfurter Allgemeine Zeitung Feuilleton
Köhlers Satz
Die politischen Erpresser und der Bundespräsident
Man hört ein großes Aufatmen im Land: Der Spuk ist vorbei! Ein einziger Satz hat ihn gestern beendet: "Der Bundespräsident hat entschieden, von einem Gnadenerweis für Christian Klar abzusehen." Vorbei ist der Spuk einer öffentlichen Debatte, die man so lieber nicht erlebt hätte, die in ihrem ungehemmt propagandistischen Grundzug etwas durch und durch Unheimliches hatte. Wer hatte bei diesem Spuk alles mitgemischt, je länger, je lieber! Da waren all die unerlösten politischen Poltergeister, freche Usurpatoren der Volksseele, die ihre Stunde gekommen sahen, sich als Anwälte von Recht und Anstand vor dem Bundespräsidialamt anzuketten. "Der Bundespräsident ist in seiner Entscheidung völlig frei, aber wenn man mich fragt, dann sollte er . . ." - wie oft hatte man in den letzten Wochen und Monaten diesen gespenstischen Satz aus dem Mund von Politikern gehört, wie oft ist er nicht minder usurpatorischen Fernsehmoderatoren über die Lippen gegangen. Zuletzt grenzte es an Nötigung, wenn gar die Wiederwahl des Bundespräsidenten an Köhlers Entscheidung in der Gnadensache gebunden wurde.
Wie unmöglich die Situation am Ende geworden war, lässt sich daran erkennen, dass heute, ein Tag nach der Entscheidung Köhlers, ein eigentlich selbstverständlicher Satz wie der folgende ausdrücklich gesagt werden muss: Dass der Bundespräsident sich der Begnadigung Klars verweigert hat, ist ein Ausweis seiner Unabhängigkeit, nicht ein Beleg für politisches Vorteilsdenken in eigener Sache. So weit ging der Spuk dieser Debatte tatsächlich, dass sich Köhler heute dem Verdacht ausgesetzt sieht, in der Gnadensache vor politischem Druck eingeknickt zu sein. Doch das Gegenteil ist anzunehmen, wenn man aus dem Schloss Bellevue nicht auf Verdacht hin mal eben ein Spukschloss zaubern will. Das Plausible klingt leider paradox. Es lautet: Die Unabhängigkeit des Präsidenten erweist sich genau darin, dass er in der Sache so entschieden hat, wie es seine Nötiger von ihm erwarteten. Und es nun jedem selbst überlässt, anzuerkennen, dass er nicht wegen, sondern trotz der Zudringlichkeiten so entschied, wie er entschied.
So ungebührlich und müßig es war, dem Präsidenten während des Gnadenverfahrens Ratschläge zu erteilen, so ungebührlich und müßig ist es heute, im Kaffeesatz seiner Entscheidung lesen zu wollen. Welche Rolle spielte das bizarre Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz zu Beginn dieses Jahres, in dem Klar nahtlos an die schwarze Prosa, die mörderische Rhetorik von Bekenntnisschreiben der RAF anknüpfte? Welches Gewicht hatte der Umstand, dass sich der mehrfache Mörder Klar nach wie vor weigert, an der Aufklärung konkreter Täterschaften mitzuwirken? Spricht die Tatsache, dass Köhler sich mit Klar persönlich traf, womöglich für eine ursprüngliche Begnadigungsabsicht, die erst in letzter Sekunde - eben durch den persönlichen Gesprächseindruck - zu Fall kam? Über Fragen wie diese lässt sich schlaumeierisch spekulieren - am Ende bleibt allein das Eingeständnis: Wir wissen es nicht. Dass die Prozedur der Entscheidungsfindung für die Öffentlichkeit ein dunkler Raum bleibt, ist Teil des grundgesetzlich verbürgten Gnadenrechts. Wenn man an diesem Gnadenrecht festhalten will, dann muss das politische und mediale Gemeinwesen in einem anderen Umfang als bisher bereit sein, im Verfahren die Luft anzuhalten. Anderenfalls wäre die Position derer zu erwägen, die meinen, der Gedanke einer Milderung von Härten bei der Anwendung des gesetzten Rechts sei bei den erkennenden Gerichten schon in guten Händen und bedürfe keines Gnadenrechts.
So oder so hat Köhler mit seiner Entscheidung ein weitverbreitetes Rechtsempfinden bestätigt, das im Gnadenakt keinen Willkürakt sehen möchte. Der Präsident ist kein Willkürgott, der seine Gnadengeschenke verteilt, wie es ihm einfällt. Manches gutgemeinte, aber irreführende Wort über die Gnade, die an keine Reue gebunden sei, hat nicht minder zum Spukcharakter der Debatte beigetragen. Denn natürlich ist auch der freie Gnadenherr faktisch an Prozeduren der Prüfung gebunden, auf Feststellbares angewiesen, auf nachvollziehbare Befunde, die seiner Entscheidung im Ganzen zumindest nicht widersprechen dürfen. Alles andere wäre Gnadenmetaphysik. Köhler selbst scheint dies klarstellen zu wollen, wenn es in seiner gestern veröffentlichten Stellungnahme heißt: "Der Gnadenentscheidung betreffend Christian Klar lagen unter anderem Stellungnahmen der Bundesministerin der Justiz, des erkennenden Gerichts, der Generalbundesanwältin und der für den Strafvollzug verantwortlichen Justizvollzugsanstalt sowie ein kriminalprognostisches Gutachten zugrunde. Der Bundespräsident führte darüber hinaus zahlreiche Gespräche, auch mit Hinterbliebenen der Opfer. Abschließend sprach der Bundespräsident am 4. Mai 2007 mit Herrn Klar." Auch letzteres gehörte zur institutionell abgesicherten Sorgfaltspflicht, ob die Kritiker wollen oder nicht.
Genau das - die institutionelle Vergewisserung des frei ausgeübten Gnadenrechts - ist der Grund, warum in der Causa Klar auch eine andere Entscheidung hätte respektiert werden müssen. Der Grund dafür, dass Anlass für Zweifel an der Sorgfaltspflicht des Gnadenherrn auch dann nicht bestünden, wenn Köhler Klar begnadigt hätte. Kein Spuk störe jetzt die politische Befriedung, die wir seit gestern haben. CHRISTIAN GEYER
Text: F.A.Z., 08.05.2007, Nr. 106 / Seite 33 Bildmaterial: dpa
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