Alles muss raus
08.07.2007 Ausgabe 27/07 Vier Börsengänge und jede Menge Zukäufe: Arcandor-Chef Thomas Middelhoff baut den ehemaligen Karstadt-Konzern komplett um. Doch operativ sieht es nach wie vor mau aus von Stephan Bauer
Sternzeichen Stier. „Mit seiner berühmten goldenen Nase riecht der Stier das Geld und macht es sich zu eigen“, heißt es über die Zeitgenossen, die zwischen 20. April und 20. Mai geboren sind. Thomas Middelhoff, geboren am 11. Mai 1953, ist zweifellos ein typischer Vertreter seiner Gattung. Beim Vorstandschef der jüngst in Arcandor umfirmierten KarstadtQuelle AG kommt eine ausgesprochene Vorliebe für Börsengänge hinzu.
Sternzeichen Bulle? Middelhoffs Marschroute für die verbleibenden 18 Monate im Führungsstand des Essener Mischkonzerns lässt keinen Zweifel: Anfang 2008 soll der Versender Neckermann aufs Parkett, hernach wohl die Konzernschwester Quelle. Zwischendurch könnte die übergelagerte Holding Arcandor ihr Zweitlisting an der Londoner Börse feiern. Und möglicherweise kommt noch in diesem Jahr, quasi als Vorgeschmack auf die aus Essen schwappende Flut neuer Papiere, das Debüt der Warenhaustochter Karstadt.
Noch weiß nur der „Meister“, wie Middelhoff in der Essener Unternehmenszentrale genannt wird, wann er Börsianer mit den Aktien beglücken will. Den ersten Schritt hat der Konzernchef bereits Mitte Juni getan, mit dem Börsengang der inzwischen größten Tochter, der Touristikgruppe Thomas Cook an der London Stock Exchange. In London, so Middelhoff, verstehen Banker und Börsianer eben mehr vom Handels- und Touristikgeschäft als in Deutschland.
Stimmen die Gerüchte, die in der Finanzszene an der Themse kolportiert werden, dann arbeitet Middelhoff schon am Börsendebüt von Karstadt. „Wir haben normale Gespräche geführt“, kommentierte Arcandor-Sprecher Jürgen Howe Berichte, wonach der Konzernchef mit dem Einzelhändler Debenhams über eine Fusion verhandelt. „Normal“ ist dabei wohl das Muster – siehe Thomas Cook: Erst verbünden sich die Deutschen mit einem internationalen Partner, im Fall der Reisesparte war es die britische My Travel, anschließend geht es gestärkt aufs Parkett. Mit Debenhams als Partner für die Warenhaustochter Karstadt könnte sich Middelhoff sogar die Kosten eines teuren Initial Public Offerings sparen: Die Briten sind bereits börsennotiert. Der deutsche Traditionshändler müsste nur in der Umkleidekabine in den Mantel der Engländer schlüpfen. Und könnte anschließend den Märkten seine Reize präsentieren.
Fernab der britischen Finanzmetropole verstehen die Mitarbeiter in den verbliebenen 122 Karstadt-Häusern von Flensburg bis Rosenheim derweil die Welt nicht mehr. Vor gerade mal sechs Monaten hatte Middelhoff die restlichen 50 Prozent an Thomas Cook übernommen. Jetzt, nach der Fusion mit My Travel, macht der Konzern mit Tourismus deutlich mehr Umsatz als in seinem einstigen Kernbusiness, den Warenhäusern und dem Versandhandel. Nicht mal die Umfirmierung ist bei den Mitarbeitern angekommen. „Arcandor? Noch nie gehört. Was ist das?“, sagt die Verkäuferin im Münchner Karstadt Oberpollinger. Auch ein älterer Kunde ist mit dem Anfang Juli eingeführten Konzernnamen überfordert.
Unterdessen zieht Überflieger Middelhoff unbekümmert seine Bahnen. Börsengänge? Schön und gut, aber der Mann will mehr. Nämlich eine ganze Palette weiterer Deals in seinen restlichen eineinhalb Jahren Amtszeit unter Dach und Fach bringen. Jeder Chef einer Private-Equity-Firma wäre stolz auf so ein Programm: Für Thomas Cook will der Meister in Asien und Russland shoppen. Bevor der Universalversender Quelle an die Börse geht, sollen Zukäufe in Osteuropa die, wie die Verluste zeigen, immer noch inkontinente Braut verschönern. Auch das gerade erst mit dem Einkauf des Senders HSE wiederbelebte TV-Shopping ist Middelhoff nicht groß genug. „Da bewegt sich was“, deutet ein Sprecher baldige Neuigkeiten an. Während das Bodenpersonal rätselt, wohin Kapitän Middelhoff den Reisejet mit angehängter Einkaufstüte denn nun steuert, sind Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einfach schlicht froh und dankbar, dass der Meister was macht. Knapp drei Jahre nach der Beinahepleite sind die Schulden weg. Die Konzernimmobilien allerdings auch.
Dennoch, die Firma dankt: „Ohne Middelhoff wären wir am Ende gewesen. Wir müssen diesen Weg gehen und europäisch werden, um auf Dauer eine Chance im Wettbewerb zu haben“, sagt Wolfgang Pokriefke, stellvertretender Aufsichtsratschef des Konzerns. Finanzexperten allerdings beurteilen die transeuropäischen Fusionspläne im Fall Karstadt nicht annähernd so positiv wie der Aufsichtsrat. Einzig die Übernahme des Billigreiseveranstalters My Travel gilt unter Fachleuten als gelungener Deal. Immerhin soll die Zusammenlegung ab 2009 jährlich 140 Millionen Euro sparen. Die Internationalisierung der Kaufhäuser ist dagegen umstritten. „Für mich ist es schwer vorstellbar, dass man im Warenhausbereich über Grenzen hinweg große Synergien heben kann“, sagt Martina Noss, Analystin der NordLB. Überhaupt haben die Finanzexperten mit dem Tausendsassa in der Arcandor-Kanzel so ihre Probleme. Nach diversen Abspaltungen, Zukäufen und Umbauten in den 26 Monaten seit Middelhoffs Amtsübernahme in Essen-Bredeney ist kaum jemand in der Lage, die geschäftliche Entwicklung en detail nachzuvollziehen. „Zahlen werden im Nachhinein angepasst, Planzahlen geändert, die operativen Steuerungsgrößen ausgetauscht. Middelhoff gelingt es gut, die operativen Schwächen zu kaschieren“, sagt ein Analyst, der lieber anonym bleiben will. Das Tarn-Talent des Chefs scheint abzufärben. So verkauft etwa ein Quelle-Sprecher die im Jahresvergleich gestiegenen Kundenzahlen des Versenders im Weihnachtsquartal 2006 immer noch als „Trendwende nach 16 Quartalen“. „Im ersten Halbjahr 2007 war die Zahl der Kunden bei Quelle aber niedriger als im Vorjahr“, heißt es kaum zehn Sekunden später. Ein Widerspruch? Egal. Für das zweite Halbjahr rechnet der Konzern mit steigenden Umsätzen in der Sparte. Nirgendwo klafft die Lücke zwischen Realität und Zielen so weit auseinander wie bei den Nürnbergern. Eigentlich sollte der Turnaround im Versandgeschäft längst in trockenen Tüchern sein. Dennoch legte Quelle zuletzt bescheidene Zahlen vor: Die Verluste explodierten im ersten Quartal, der Umsatz schrumpfte.
Auch in den Kaufhäusern schlagen die Uhren viel langsamer, als Magic Middelhoff es gern hätte. Der neue Warenhauschef Peter Wolf drückt zwar ordentlich aufs Tempo und putzt Karstadt mit monatlich wechselnden Erlebniswelten heraus. Zum Start der Kampagne im Februar gab’s im Münchner Haus Oberpollinger eine schicke Dschungelshow mit echten Reptilien.
Dennoch schreibt der Traditionshändler immer noch Verluste. Von Januar bis März 2007 waren es mit 26,5 Millionen Euro Minus gerade mal 700000 Euro weniger als im Vorjahresquartal. 27 Kaufhäuser arbeiten deshalb zurzeit als „Projektfilialen“ quasi auf Probe. Bis Ende des Jahres müssen die Standorte beweisen, dass sie die geforderten sechs bis acht Prozent operative Rendite machen können. „Ein äußerst anspruchsvolles Ziel“, wie Analystin Noss findet.
Die Entscheidung über die Zukunft Hunderter Karstadt-Mitarbeiter soll bis Ende März kommenden Jahres fallen. „Wir gehen davon aus, dass wir die meisten der Häuser ins Ziel bringen“, sagt Sprecher Howe. Schließungen soll es keine geben. Im Klartext: Für etliche der Standorte sieht es nicht allzu gut aus.
Trotz drohenden Verkaufs und Auslagerung von Arbeitsplätzen hält Arbeitnehmervertreter Pokriefke Middelhoff die Stange. Auch bei seinen Börsenplänen für Karstadt: „Das wird die Marke stärken“, sagt der Vize-Chefaufseher. Kein Zweifel: Der Meister hat seine Mannen in Essen fest im Griff. Stiere haben schließlich nicht nur Sinn fürs große Geld. Die Zeitgenossen gelten auch als große Überredungskünstler. |