Meister der Scherben Er war Deutschlands erfolgreichster und lautstärkster Motivationstrainer – nun droht Jürgen Höller die Pleite. Ist er Opfer der eigenen Psychotricks geworden? Es war im Januar 1998 am schönen Wolfgangsee. Während eines dreitägigen Motivationsseminars sprach Jürgen Höller auch über die „Kraft der Autosuggestion“. Dem angereisten FOCUS-Redakteur verdeutlichte er das Prinzip durch ein Beispiel in eigener Sache: „Am 1. Mai 1999 will ich in der Frankfurter Festhalle 10 000 Menschen begeistern, spätestens 2002 dann 40 000 im Gelsenkirchener Parkstadion.“ Aller Voraussicht nach wird sich der zweite Teil der Prophezeiung nicht mehr erfüllen. Höllers Firma Inline ist nahezu zahlungsunfähig. Falls nicht in Kürze neue Investoren einspringen, muss Höller die Insolvenz beantragen.
Schon Hunderttausende erlebten den großen Zampano unter den deutschen Mentaltrainern auf der Bühne oder in Seminaren, brüllten im Chor „Jähuu!“ und reihten sich in Motivations-Polonaisen ein. Sie schrieben mit, wenn Höller seine Thesen vortrug, und kauften seine Bücher mit so schönen Titeln wie „Sprenge deine Grenzen“ oder „Sicher zum Spitzenerfolg“. Sie staunten darüber, dass es Höller gelang, Prominente wie Lothar Späth, Birgit Breuel oder Christoph Daum für Auftritte in seinen Großveranstaltungen zu gewinnen oder die Starkicker von Bayer Leverkusen über Glasscherben stapfen zu lassen.
Der gut aussehende Unterfranke präsentierte genüsslich sich selbst als lebenden Beweis für die Wirksamkeit des Psychotricks Selffulfilling Prophecy:
Nimm dir fest vor, ein erfolgreicher Mensch zu werden – dann wirst du es auch. Höller trug Rolex, fuhr Ferrari und erzählte jedem unaufgefordert, seine Tagesgage liege bei 40 000 Mark.
Sein erstes Interview nach dem Absturz zeigt einen Menschen, den die Schmach des Misserfolgs tief getroffen hat. Wie konnte es dazu kommen, dass der selbst ernannte Erfolgstrainer in solche Schwierigkeiten geriet?
Zwar gibt es Anzeichen dafür, dass zurzeit die gesamte Mentalbranche unter Marktsättigung und Wirtschaftskrise leidet. Aber offenbar waren es keine Rückschläge im Seminargeschäft, die Höller zusetzten, sondern die radikale Anwendung der eigenen Lehrsätze von der Macht der Selbstüberschätzung.
Der Reihe nach: Schon lange verbreitete Höller die Kunde vom baldigen Börsengang. Ende 1999 erhielten 1000 seiner treuesten Anhänger ein Schreiben mit dem Angebot einer vorbörslichen finanziellen Beteiligung auf Darlehensbasis, die dann mit Aktien abgegolten werden sollte. Das Werbeschreiben enthielt die Zielvorgabe, den Umsatz bis zum Jahr 2015 „um fast das Hundertfache“ zu steigern. Höller schrieb: „Würde das gelingen, würde sich aller Voraussicht nach auch der Kurs der Aktie mindestens verhundertfachen.“
Die großmäulige Ankündigung brachte 250 der Adressaten dazu, Summen zwischen 1000 und 200 000 Mark anzulegen – so kamen insgesamt rund fünf Millionen Mark zusammen. Das Geld floss an Höller als kaufmännische Einzelperson. Der Börsengang blieb jedoch fürs Erste aus. Da Höller klar gewesen sein muss, dass ein Unternehmen, allein auf ihn als Psychotrainer zugeschnitten, kaum börsenfähig wäre, fusionierte er mit zwei wenig bekannten Firmen aus dem Weiterbildungsbereich zur neuen Inline AG. Weiterbildung über das Internet (E-Learning) trat als neuer Geschäftsschwerpunkt hinzu; die Zahl der Angestellten schwoll mit der Zeit auf 120 an. Der Börsengang sollte nun „allerspätestens im ersten Quartal 2001“ durchgeführt werden.
Im August 2000 trommelte der Motivator seine Anleger zu einem Treffen in Frankfurt zusammen und drängte sie, eine weitere Vereinbarung zu unterschreiben. Darin erklärten sie sich einverstanden, ihre Investitionen auf eine Höller Vermögensverwaltungs-GmbH zu übertragen. Den meisten Anwesenden war offenbar nicht klar, dass nun Höller nicht mehr unbegrenzt mit seinem Privatvermögen für die Einlagen einstehen musste, sondern eine Haftungsbeschränkung auf das vermutlich deutlich niedrigere Vermögen der GmbH in Kraft trat. Laut Zeugen hat Höller auf der Versammlung nicht auf diese Rechtsfolge aufmerksam gemacht.
Höller weist den Verdacht zurück, er habe damit die Anleger austricksen wollen, und erklärt, die Gründung der GmbH sei ihm von Bilanzprüfern im Vorfeld des geplanten Börsengangs zwingend aufgetragen worden. Es sei darum gegangen, Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich aus der Beteiligung seines minderjährigen Sohnes am Unternehmen ergeben hätten.
April 2001 wurden die Anleger hinsichtlich des Börsengangs erneut vertröstet: „Auf Flut folgt Ebbe – aber auf Ebbe folgt auch wieder die Flut! Mit motivierenden Grüßen – Jürgen Höller“.
Im Interview räumt der Motivator ein, bereits ab diesem Zeitpunkt in finanziellen Schwierigkeiten gewesen zu sein. Die Mittel der Anleger waren offenbar aufgebraucht, die Banken misstrauisch geworden.
Den Ernst der Lage gestand er jedoch erst in einem Schreiben vom 26. Oktober ein. Mit der Börse werde es vorerst nichts; das Unternehmen sei von Insolvenz bedroht, neue Investoren stünden aber bereit, die Firma „eventuell“ zu retten. Das neue Geld fließe jedoch nur, wenn jeder der 250 Anleger bis auf weiteres auf das Recht verzichte, sein Darlehen zu kündigen. Wenn nur ein einziger sein Geld zurückhaben wolle (das er mangels Kasse ohnehin nicht bekomme), zögen sich die neuen Investoren unweigerlich zurück.
Nicht alle der Angeschriebenen haben die geforderte Erklärung abgegeben. FOCUS sind zwei Fälle bekannt, in denen Anleger bislang nicht verzichtet haben. Die Pleite scheint also unabwendbar geworden zu sein. Einer der „Verweigerer“ erhielt bereits ein Schreiben von Höller mit den Zeilen: „Leider wird es nun nicht mehr zu einer weiteren Finanzierungsrunde kommen ... Sie und alle anderen vorbörslichen Anleger werden nunmehr Ihr Kapital verlieren.“
Dem Vernehmen nach sollen derzeit gleichwohl Verhandlungen zwischen Höller und den Risikokapitalgesellschaften TFG Venture Capital und S-Refit im Gang sein. Mit einer Entscheidung ist offenbar bald zu rechnen.
Bewundernswert ist die Unbekümmertheit, mit der Höller noch vor drei Wochen als Gast in der SAT.1-Talk-Show „Vera am Mittag“ plauderte. Das Thema der Sendung lautete: „Schulden! Hat mein Leben noch einen Sinn?“
Höller trat nicht als Betroffener auf, sondern erteilte den Mitgästen Tipps zum Abbau ihrer Verbindlichkeiten.
I N T E R V I E W „Solidarität mit Jürgen Höller!“ Schlagersänger Guildo Horn will dem Motivator helfen.
FOCUS: Wie kam Ihr Kontakt mit Jürgen Höller zu Stande? Horn: Ich habe im Fernsehen gesehen, wie in der Dortmunder Westfalenhalle Männer in Anzügen ganz seltsam über die Bühne gehüpft sind. Die Halle war voll und alles am Brodeln – eine Veranstaltung von Jürgen Höller. Faszinierend!
Zur Vorbereitung meiner MotivationsShow „Du erreichst dein Ziel“ wollte ich dann ein Praktikum bei Höller machen. Er war sehr offen, wir waren ruck, zuck per Du.
FOCUS: Wie oft sind Sie auf seinen Veranstaltungen aufgetreten?
Horn: Zweimal. Das erste Mal unentgeltlich; das zweite Mal, im Frühjahr dieses Jahres, gegen Honorar.
FOCUS: In welcher Höhe?
Horn: Das möchte ich nicht sagen; aber ich hätte davon richtig gut mit meiner Familie in Urlaub fahren können.
FOCUS: Sie hätten – sind aber nicht?
Horn: Nach einigen Mahnungen hat er die Hälfte bezahlt. Offenbar steckt er ja ein bisschen in Schwierigkeiten. Weil ich ihn gut leiden kann, erwäge ich jetzt, eine Höller-Stiftung zu gründen. Wenn ich auftrete, sollen von jeder Eintrittskarte 50 Pfennig an ihn gehen. Solidarität mit Jürgen Höller!
FOCUS: Das klingt boshaft.
Horn: Nein, mein Herz schlägt Höller. Ich mag ihn wirklich sehr, auch seine Frau und seinen Schwager und die anderen Leute, die um ihn rum sind.
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