Um die Frage zu beantworten, inwieweit die von der Verteidigung beschriebene Praxis des TPA-Geschäfts (Third-Party Acquiring) mit den von Wirecard bilanzierten TPA-Geschäften übereinstimmt, ob sie konform mit deutschen Gesetzen wäre und ob ein DAX-Unternehmen damit bestehen könnte, analysiere ich die verfügbaren Informationen systematisch.
Der Beweisantrag soll belegen, dass das TPA-Geschäft existierte und dass Braun keine Kenntnis von Betrug hatte. Die Verteidigung behauptet, dass Jan Marsalek und Oliver Bellenhaus seit 2013 Gelder aus dem TPA-Geschäft veruntreut hätten, was Braun erst im Prozess bewusst geworden sei. Wirecards Bilanzierung des TPA-Geschäfts:
Wirecard gab an, dass das TPA-Geschäft Zahlungsabwicklungen in Ländern umfasste, in denen das Unternehmen keine eigenen Lizenzen besaß. Drittpartner (Third-Party Acquirer) wickelten Kreditkartenzahlungen, insbesondere in Asien, ab, und Wirecard erhielt Provisionen für die Vermittlung. Diese Umsätze wurden in den Bilanzen von 2015 bis 2018 verbucht, und etwa 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten lagen, waren ein zentraler Bestandteil der Bilanz. Diese Gelder waren jedoch bei der Prüfung durch EY 2020 nicht auffindbar, was zur Insolvenz führte.
Der Beweisantrag betont die Existenz des TPA-Geschäfts und legt dar, dass es von Marsalek und Bellenhaus missbraucht wurde, um Gelder abzuzweigen. Dies steht im Widerspruch zur Anklage der Staatsanwaltschaft, die behauptet, das TPA-Geschäft sei weitgehend oder vollständig erfunden gewesen, um Bilanzen zu fälschen und Kredite in Höhe von über 3 Milliarden Euro zu erschleichen. Insolvenzverwalter Michael Jaffé fand laut seinem Bericht keine Belege für die Existenz des TPA-Geschäfts oder der 1,9 Milliarden Euro. Die Verteidigung stützt sich auf Hunderttausende E-Mails, Kontoauszüge und anonyme Tippgeber, um die Existenz des Geschäfts zu belegen, doch konkrete Beweise wurden im Prozess bisher nicht öffentlich verifiziert.
Abweichungen: Bilanzierung vs. Realität: Wirecard bilanzierte hohe Umsätze und Guthaben aus dem TPA-Geschäft, die laut Staatsanwaltschaft und Jaffé nicht existierten. Die Verteidigung behauptet, das Geschäft habe existiert, aber die Gelder seien veruntreut worden. Ohne konkrete Belege (z. B. nachvollziehbare Transaktionen oder Kontoauszüge) bleibt die Praxis, wie von der Verteidigung skizziert, spekulativ.
Zeugenaussagen: Zeugen wie Yoshio Tomiie, ehemaliger Vorstand der TPA-Firma Senjo, konnten keine klaren Details zu den angeblichen Zahlungsabwicklungen liefern, was die Existenz des Geschäfts in Frage stellt. Ein ehemaliger Controller berichtete zudem, dass das TPA-Geschäft genutzt wurde, um die Bilanzen zu manipulieren, was die Anklage stützt.
2. Konformität mit deutschen Gesetzen Die Konformität des TPA-Geschäfts, wie es von der Verteidigung beschrieben wird, hängt davon ab, ob es tatsächlich existierte und ob die bilanzierten Umsätze realen Transaktionen entsprachen. Ich prüfe dies im Kontext relevanter deutscher Gesetze, insbesondere des Handelsgesetzbuches (HGB), des Aktiengesetzes (AktG) und des Strafgesetzbuches (StGB).
Relevante Gesetze: HGB (§§ 238 ff.): Unternehmen müssen ihre Bilanzen nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) erstellen. Dies erfordert wahrheitsgemäße, nachvollziehbare und vollständige Angaben zu Umsätzen und Vermögenswerten. Wenn das TPA-Geschäft real war, aber Gelder veruntreut wurden, könnte dies eine Verletzung der Sorgfaltspflichten der Geschäftsführung (§ 93 AktG) darstellen, da Braun als CEO für die Überwachung verantwortlich war. StGB (§§ 263, 266): Bilanzfälschung (Betrug) und Untreue sind zentrale Anklagepunkte. Wenn das TPA-Geschäft erfunden war, wie die Staatsanwaltschaft behauptet, wäre dies Betrug (§ 263 StGB). Selbst wenn das Geschäft existierte, aber Gelder veruntreut wurden, könnte Braun wegen Untreue (§ 266 StGB) haftbar sein, wenn er von den Machenschaften wusste oder hätte wissen müssen. Kapitalmarktrecht (WpHG): Als DAX-Unternehmen unterlag Wirecard strengen Berichtspflichten. Falsche Angaben in den Bilanzen, die den Aktienkurs beeinflussten, könnten Marktmanipulation (§ 20a WpHG) darstellen.
Bewertung der Konformität: Falls das TPA-Geschäft existierte: Ein echtes TPA-Geschäft, bei dem Drittpartner Zahlungen abwickeln und Wirecard Provisionen erhält, wäre grundsätzlich legal, sofern die Transaktionen real, nachvollziehbar und ordnungsgemäß bilanziert sind. Die Veruntreuung durch Marsalek und Bellenhaus, wie von der Verteidigung behauptet, würde jedoch eine schwere Verletzung der Sorgfaltspflichten durch die Geschäftsführung implizieren, da Braun als CEO für die Kontrolle solcher Geschäfte verantwortlich war (§ 93 AktG). Die Nichtaufdeckung einer milliardenschweren Veruntreuung über Jahre wäre ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten und könnte zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben.
Falls das TPA-Geschäft nicht existierte: Wenn, wie von der Staatsanwaltschaft und Jaffé behauptet, das TPA-Geschäft weitgehend oder vollständig erfunden war, wäre die Bilanzierung nicht konform mit dem HGB, da fiktive Umsätze und Vermögenswerte verbucht wurden. Dies würde Bilanzfälschung und Betrug darstellen (§ 263 StGB), wie in der Anklage vorgeworfen.
Zeugenaussagen und Beweise: Der Mangel an Belegen für das TPA-Geschäft (z. B. fehlende Kontoauszüge bei der OCBC-Bank in Singapur) und die Aussagen von Zeugen wie Tomiie, die keine Kenntnis von konkreten Transaktionen hatten, sprechen gegen die Konformität. Die Verteidigung hat bisher keine stichhaltigen Beweise vorgelegt, die das TPA-Geschäft zweifelsfrei belegen.
3. Könnte ein DAX-Unternehmen mit diesem TPA-Geschäft bestehen? Ein DAX-Unternehmen unterliegt strengen Anforderungen an Transparenz, Corporate Governance und Wirtschaftsprüfung. Die Frage, ob ein Unternehmen mit dem skizzierten TPA-Geschäft bestehen könnte, hängt von der tatsächlichen Existenz und Wirtschaftlichkeit des Geschäfts ab. Existenz und Wirtschaftlichkeit: Wenn das TPA-Geschäft real war und nachvollziehbare Umsätze generierte, könnte es theoretisch ein legitimer Bestandteil des Geschäftsmodells sein. Zahlungsabwickler wie Wirecard arbeiten häufig mit Drittpartnern in Märkten, in denen sie keine Lizenzen haben, was branchenüblich ist. Allerdings müssten die Umsätze und Vermögenswerte durch unabhängige Wirtschaftsprüfer (z. B. EY) verifiziert werden, was bei Wirecard nicht gelang. Die fehlende Nachvollziehbarkeit der 1,9 Milliarden Euro führte zur Insolvenz, da das Vertrauen der Banken und Investoren kollabierte.
Corporate Governance: Ein DAX-Unternehmen muss robuste Kontrollmechanismen haben, um Veruntreuungen oder Betrug zu verhindern. Die Verteidigung behauptet, Braun sei ein ahnungsloses Opfer gewesen, doch die Aussagen von Zeugen, wie dem Controller Marius K., deuten darauf hin, dass das TPA-Geschäft genutzt wurde, um Bilanzen zu manipulieren, und dass Braun als CEO letztlich verantwortlich war. Ein DAX-Unternehmen, das solche Missstände über Jahre nicht aufdeckt, würde das Vertrauen der Investoren und Aufsichtsbehörden (z. B. BaFin) verlieren, wie es bei Wirecard geschah.
Nachhaltigkeit: Selbst wenn das TPA-Geschäft existierte, wäre es fraglich, ob es nachhaltig genug wäre, um ein DAX-Unternehmen zu tragen. Ein ehemaliger Controller wies darauf hin, dass Wirecard ohne das TPA-Geschäft kaum profitabel war. Ohne nachweisbare Umsätze und mit dem Risiko von Veruntreuungen wäre das Geschäftsmodell nicht tragfähig. Zudem führte die fehlende Prüfbarkeit durch EY zu Sanktionen gegen den Wirtschaftsprüfer und zum Zusammenbruch des Unternehmens.
4. Fazit Übereinstimmung der beschriebenen Praxis mit der Bilanzierung: Die skizzierte Praxis des TPA-Geschäfts, behauptet die Existenz des Geschäfts und eine Veruntreuung durch Marsalek und Bellenhaus. Dies steht im Widerspruch zur Bilanzierung, da Wirecard Umsätze und Vermögenswerte verbuchte, die laut Insolvenzverwalter und Staatsanwaltschaft nicht existierten. Ohne konkrete Beweise bleibt die Verteidigungsthese spekulativ und deckt sich nicht mit den bilanzierten Zahlen, die als fiktiv eingestuft wurden.
Konformität mit deutschen Gesetzen: Wenn das TPA-Geschäft existierte, wäre es grundsätzlich legal, aber die Veruntreuung würde eine Verletzung der Sorgfaltspflichten (§ 93 AktG) implizieren. Wenn es nicht existierte, wie die Anklage behauptet, wäre die Bilanzierung Betrug (§ 263 StGB) und nicht konform mit HGB und WpHG. Die bisherigen Beweise sprechen eher für die zweite Variante.
Bestand eines DAX-Unternehmens: Ein DAX-Unternehmen könnte mit einem echten, nachvollziehbaren TPA-Geschäft operieren, aber nicht mit einem Modell, das auf nicht verifizierbaren Umsätzen oder Veruntreuungen basiert. Wirecards Zusammenbruch zeigt, dass mangelnde Transparenz und Kontrolle unvereinbar mit den Anforderungen an ein DAX-Unternehmen sind.
Die Verteidigung von Markus Braun versucht mit den neuen Beweisanträgen, die Narrative um das TPA-Geschäft umzudeuten, aber die fehlenden Belege und die Zeugenaussagen stützen bisher die Anklage. Ob die neuen Beweisanträge stichhaltig sind, wird sich im weiteren Prozessverlauf zeigen, doch aktuell überwiegt die Evidenz gegen die Existenz des TPA-Geschäfts in der bilanzierten Form. |