Bilanz-Betrug : Wirecard: Junge Bankerin zeigt, wie einfach Betrug zu durchschauen gewesen wäre
Die Bundesbankerin Franziska Folter lieferte im Jahr 2016 eine Wirecard-Analyse, die es in sich hatte. Ihre Warnung wurde allerdings nicht gehört.
Michael Maier, 26.2.2021 - 18:21 Uhr
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Illustration: Berliner Zeitung/ Sophie Hopson-Boulter Vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags erschien am Donnerstag die Sachbearbeiterin der Bundesbank, Franziska Folter. Ihr Auftritt wurde zu einem Höhepunkt der Sitzungswoche. Zunächst sah es allerdings nicht danach aus, denn die 30-jährige Bankerin fand den Ausschuss in schlechter Stimmung vor: Unmittelbar vor ihrem Auftritt hatte sich der der frühere Leiter der Internen Revision der Wirecard-Bank den Unmut der Abgeordneten zugezogen.
Mario Vinke, kurzes Haar, modische Brille, jünger wirken wollend, kann den Parlamentariern nicht bei der Aufklärung des Milliardenbetrugs helfen. Von Vinke hatten sich Parlamentarier einen Blick hinter die Kulissen des für viele so undurchsichtigen Geflechts von Wirecard erwartet. Die interne Revision kennt normalerweise alle Verfehlungen in einem Unternehmen. Sie ist schließlich für deren Aufdeckung zuständig. Doch Vinke benimmt sich vor dem Ausschuss wie ein schlecht vorbereiteter Abiturient. Er schreibt jede noch so simple Frage nieder, spielt mit dem Kugelschreiber, legt den Kopf in die Hände, starrt zu Boden. Er scheint nachzudenken. Doch es kommt nichts nach dem Denken. Es ist schwer zu beurteilen, ob Vinke wirklich nichts wusste, alles vergessen hat oder aber von seinem nervös intervenierenden Anwalt zu diesem Auftritt verführt wurde. Sarkastisch fragt der Linke-Abgeordnete Fabio De Masi: „Wollen Sie 50:50? Oder den Telefonjoker?“ Und schließlich: „Bitte nicht so viel Laienschauspiel, ich bin Cineast. Ich bin gutes Schauspiel gewöhnt.“ Vinke bleibt wortkarg und bockig. Der Vorsitzende Kay Gottschalk schickt den verdutzten Zeugen schließlich nach draußen. Man werde auf ihn zurückkommen, wenn man ihn noch einmal brauche: „Sie können sich jetzt gerne die Füße in dem herrlichen Frühlingswetter an der Spree vertreten.“
Die Stimmung ist gereizt, als Franziska Folter an der Reihe ist. Die Bankerin ist an der Hochschule der Bundesbank ausgebildet worden, ein „Eigengewächs“, wie man in Frankfurt stolz von der Alumna sagt. Heute arbeitet sie für die Bundesbank in Stuttgart. Frau Folter macht ihrem „Stall“ alle Ehre: Da ist zum einen ihr Auftritt. Sofort sind die Abgeordneten von ihr angetan. Die Schwäbin hört bei jeder Frage gut zu, blickt auf ihren Block, versucht, sich zu erinnern. Sie habe sich doch die Unterlagen angesehen, fragt ein Abgeordneter, als Folter einmal kurz bei einer Antwort zögert: „Doch, aber so ins Detail, da war die Zeit meiner Ladung leider zu kurz.“ Wenn sie erklären will, warum sich eine amtliche Stelle mit den Leuten von Wirecard schwergetan hat, sagt die Schwäbin Sätze wie: „Wir haben dem Inschtitut unseren Standpunkt erklärt, und warum unser Standpunkt anders ist als der der Leute vom Inschtitut.“ Das Institut, also Wirecard, hat sich allerdings wenig darum gekümmert, was die Bundesbank denkt. Der coole Männerbund aus Aschheim hat alle verachtet – Behörden, Politiker, Aufsichtsbehörden. Markus Braun, der zuvor von einem anderen Wirecard-Manager in ein sehr schlechtes Licht gerückt wurde, und Jan Marsalek, das „Phantom“, waren überzeugt, dass niemand ihr Geflecht durchschauen kann.
Das gesamte Wirecard-Fiasko auf sieben Seiten
Doch an diesem Punkt kommt in dem Ausschuss ein Dokument ans Licht, das all jene Lügen straft, die nie etwas gewusst haben wollen. Die Sachbearbeiterin der Bundesbank, Franziska Folter, hatte am 26. Februar 2016 ein vertrauliches Dokument verfasst. Es liegt der Berliner Zeitung vor. In dem siebenseitigen Papier hat die damals 26-jährige Berufseinsteigerin in der Bundesbank-Filiale in München die Berichterstattung der Financial Times (FT) über Wirecard analysiert. Folter hatte als Hilfsmittel nichts anderes zur Verfügung als ihren Verstand: Sie schreibt, dass es in den Artikeln um die Frage gehe, ob die „Bilanzen der Bayern eher wackliger Natur“ seien. Sie schreibt, Wirecard habe „Fans und Kritiker“. Die Forderung der Kritiker sei: „Der Wirecard-Konzern solle sein Geschäftsmodell einfach und klar erklären.“ Sie fragt: „Was sind die in der Bilanz ausgewiesenen 670 Mio. EUR immaterielle Vermögenswerte tatsächlich wert? Warum passen Angaben in Singapur eingereichter Berichte nicht zu den Angaben im in Deutschland eingereichten Konzernbericht? Warum werden Millionen für strauchelnde asiatische Unternehmen ausgegeben? Warum bezahlt Wirecard Monate vor Vertragsschluss freizügig hohe Summen im Zusammenhang mit Unternehmenserwerben?“
Auf nur sieben Seiten, verfasst im Jahr 2016, hat eine junge Bankerin das gesamte Wirecard-Fiasko erkannt, niedergeschrieben und an ihre Vorgesetzten weitergeleitet. Vier Jahre lang – bis zur Pleite des Unternehmens im Sommer 2020 – wollen weder die Bafin noch die Geldwäschebehörde FIU, die Staatsanwaltschaft, die Wirtschaftsprüfer von EY, die meisten Medien und viele Politiker bis hin zur China-Empfehlung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2019 etwas gemerkt haben, dass es bei Wirecard nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. „Sie haben ja geradezu hellseherische Fähigkeiten“, sagt der Ausschussvorsitzende Gottschalk. Was denn mit dem Papier geschehen sei, fragen die Abgeordneten. Frau Folter sagt: „Ich gehe davon aus, dass das Papier in der Hierarchie weitergegeben wurde.“ Und: „Wir haben uns mit der Bafin ausgetauscht. Die Bafin hat das intern an die Wertpapieraufsicht gegeben.“ Wirecard konnte vier Jahre lang weitermachen.
Der FDP-Abgeordnete Toncar sagt: „Frau Folter gehört zu denen, die früh gesehen haben, dass sich bei Wirecard schwerwiegende Fragen stellen. Sie hat bereits 2016 einen sehr fundierten Vermerk verfasst, in dem alle damals bekannten Vorwürfe gegen Wirecard aufgeführt und bewertet wurden. Leider verschwand dieser Vermerk genauso im Aufsichts-Nirwana wie ihre Anregung, die Finanzaufsicht möge nicht nur die Wirecard Bank, sondern auch die von Braun und Marsalek geführte Konzernmutter prüfen. Damit ist die von Finanzminister Scholz hartnäckig verfochtene Linie, seine Aufsicht habe keine ausreichenden Handlungsmöglichkeiten gehabt, ein weiteres Mal widerlegt worden.“
Fabio De Masi von der Linken sagt: „Die Dame von der Bundesbank wollte die Wirecard Bank etwas foltern und hatte ein umfangreiches Dossier zum House of Wirecard erstellt. Aber bei der Finanzaufsicht Bafin wurde sie ausgebremst!“
Cansel Kiziltepe von der SPD: „Frau Folter hat enorme Kompetenz beweisen. Anders als die Bafin oder EY hat sie das falsche Wirecard-Spiel auseinandergenommen. Hätten die Aufsichtsbehörden auf sie gehört, wäre der Betrug aufgeflogen. Die Ausrede, man hätte nicht ahnen können, was im Reich von Markus Braun vor sich geht, kann nicht aufrechterhalten werden.“
Als Frau Folter den Saal verlässt, wartet der störrische Wirecard-Revisor Mario Vinke noch drei Stunden auf die Fortsetzung seines Auftritts. In der nächtlichen Spree spiegeln sich die Lichter. Die Stadt ist leer. Der Ausschuss entscheidet sich, Vinke nach Hause zu schicken. Man verzichte angesichts „der zwischenzeitlich erhaltenen Aussagen auf eine Fortführung der Befragung“ des Zeugen. |