schöne Sonntagslektüre Gruß Gretel
Die größte "Blase" aller Zeiten! Intershop vor Turnaround ? Die Top-Werte der Woche
Sonntag, 21. Januar 2007
Die größte "Blase" aller Zeiten!
Marc Nitzsche, Chefredakteur
Lieber Trader,
erinnern Sie sich eigentlich noch an den "Neuen Markt"? Mir ist dieses wohl düsterste Kapital deutscher Börsengeschichte auch heute noch in lebhafter Erinnerung, obwohl es bereits vor einigen Jahren offiziell "zu Grabe getragen" wurde.
Das mag sicherlich daran liegen, dass ich in den Jahren 1996 bis 2000 überaus aktiv in diesem Marktsegment gehandelt hatte. Während dieser Zeit - das muss ich ehrlich zugeben - "vernebelten" die mitunter exorbitanten Gewinne vorübergehend meinen gesunden Börsenverstand.
Irgendwann jedoch erkannte ich, dass der "Neue Markt" nicht nur ein "Spielplatz" für teilweise hoch kriminelle Unternehmensvorstände war, sondern schlicht und ergreifend die größte "Aktien-Blase" aller Zeiten!
*Gangster in Nadelstreifen
Zu den prominentesten "Betrüger-Klitschen" damals zählten unter anderem Comroad und Ceyoniq. Vielleicht ist es für den einen oder anderen geprellten Anleger ein Trost, dass die verantwortlichen Herren Bodo Schnabel und Thomas Wenzke zu empfindlichen Haftstrafen verurteilt wurden.
Ihr verlorenes Geld bekommen die Investoren dadurch aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zurück. Allerdings gab es bei beiden Unternehmen schon recht früh Warnsignale, die eigentlich alle Alarmglocken zum Läuten hätten bringen müssen:
Comroad gab vor, Navigationssysteme zu vertreiben. Merkwürdig war nur, dass trotz der fortwährend gemeldeten Umsatzsteigerungen entsprechende Geräte in keinem der bekannten Elektronikmärkte erhältlich waren.
Außer den Prototypen bekam nie jemand eines der sich scheinbar wie "warme Semmeln" verkaufenden Orientierungshilfen zu Gesicht. Damit war dieser Fall noch deutlich offensichtlicher als Metabox. Denn auch wenn es mir keiner glauben mag: Bei einem Bekannten konnte ich 1999 doch tatsächlich eine Metabox in Aktion erleben.
Bei Ceyoniq war die Sache schon erheblich komplizierter und ohne ein Mindestmaß an Bilanzkenntnissen nicht zu durchschauen. Ende 2001 wurden (mal wieder) glänzende Zahlen gemeldet. Bei genauerem Hinsehen fiel jedoch auf, dass der Cashflow trotz eines ausgewiesenen Gewinns negativ war. Wer wenigstens über Grundkenntnisse in Buchhaltung und Controlling verfügt, wird mir Recht geben, dass so etwas niemals mit rechten Dingen zugehen kann.
*Umsatzsteigerungen statt Gewinne
Aber auch die Aktienkurse deutscher Hightech-Unternehmen, die nicht in derartig verbrecherische Machenschaften verstrickt waren, gerieten nach März 2000 förmlich "unter die Räder". Verantwortlich hierfür war zumeist ein völlig verantwortungsloser Wachstumskurs.
Umsatzsteigerungen galten seiner Zeit als das Maß aller Dinge. Gewinne wurden fast schon als "Malus" angesehen, weil sie als ein Zeichen mangelnder Expansions- und Investitionslust gewertet wurde.
Der Irrsinn gipfelte schlussendlich darin, dass man die seit Jahrzehnten bewährte Bewertungskennzahl für Dividenden-Papiere - das Kurs/Gewinn-Verhältnis - als für den "Neuen Markt" nicht mehr zeitgemäß ansah. Stattdessen wurde der Aktienkurs in das Verhältnis zum Umsatzwachstum gesetzt.
Um nach diesem neuen Bewertungsmaßstab attraktiv zu sein, blieb den Firmen kaum etwas anderes übrig, als ohne Rücksicht auf Profitabilität aggressiv zu wachsen. Langfristig kann so etwas nur in die "Hose" gehen. Denn in der Wirtschaft sind nun einmal Gewinne auf Dauer zwingend erforderlich.
*Lehren aus dem Desaster
Unterm Strich können Sie als Anleger aus dem "Neuen-Markt-Desaster" im Wesentlichen zwei Lehren ziehen: Erstens sollten Sie insbesondere bei Aktien, die in wenig regulierten Segmenten gehandelt werden, die Geschäftsmodelle und die publizierten Umsatz- und Gewinnzahlen stets kritisch hinterfragen.
Und zum anderen ist es überaus ratsam, die Profitabilität von Unternehmen im Auge zu behalten. Bloße Visionen von Erträgen in ferner Zukunft sind alles andere als ein gutes Kaufargument für eine Aktie.
*Tief gefallener Engel
Viele Werte, mit denen ich zur Hochzeit des "Neuen Markts" ansehnliche Gewinne erzielt hatte, sind mittlerweile entweder bereits vom Kurszettel verschwunden (Brokat) oder stehen unmittelbar vor dem Delisting (Heyde). Einige Gesellschaften beweisen hingegen trotz seit Jahren kursierender Insolvenz-Gerüchte einen überaus bemerkenswerten "Lebenswillen".
Hierzu gehört beispielsweise die Intershop Communication AG. Jüngst mehrten sich in diversen Börsenforen die Gerüchte, dass die einstige "Überflieger-Aktie" ihr "Rohrkrepierer-Image" möglicherweise ablegen kann und vor einer echten Renaissance steht. Wir sagen Ihnen, ob da etwas dran ist und ob sich ein Investment lohnt.
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2.) Intershop vor Turnaround?
Intershop ist der "Kurs gewordene" Gegenbeweis für Kostolanys "Schlaftabletten-Theorie". Wer am Ende des zweiten Jahrtausends Intershop-Aktien zum Gegenwert eines gut ausgestatteten Mittelklassewagens gekauft hat und sich bis heute nicht um die Anlage gekümmert hat, erlebt in der Tat eine Überraschung - aber eine überaus unerfreuliche.
Aktuell würde der Verkaufserlös bestenfalls noch für ein Essen zu zweit in einem Drei-Sterne-Restaurant reichen, wobei man sicherheitshalber lieber Mineralwasser statt Wein bestellen sollte.
Trotz der schrittweisen "Pulverisierung" des Positionswertes dümpelt das Papier scheinbar immer noch in rund 200.000 Kleinanleger-Depots herum. Natürlich sind das nicht alles ausgemachte Masochisten, die das "Trauerspiel" nun schon Jahre mitmachen.
Viele sind sicherlich auch erst im letzten oder vorletzten Jahr eingestiegen. Diese Investoren haben zumindest noch die Chance, aus dem Engagement mit Gewinn rauszukommen - vorausgesetzt der ostdeutschen "Software-Schmiede" gelingt nun endlich der Turnaraound.
*Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall
"In spätestens zehn Jahren sind wir so groß wie SAP", tönte der ehemaliger Intershop-Vorstand Stefan Schambach noch zu Hochzeiten des Internetbooms. Mittlerweile sind diese zehn Jahre beinahe um und mit einer Marktkapitalisierung von nicht einmal 50 Millionen Euro wäre Intershop bestenfalls ein Kandidat für die SAP-Portokasse.
Auch der gläserne "Intershop-Tower" in Jena, den das Unternehmen in einem Anfall von maßloser Selbstüberschätzung damals fast komplett angemietet hatte, ist heute nahezu verweist. Untermieter hat das Unternehmen in der strukturschwachen Region kaum gefunden, so dass in der letzten Bilanz bereits eine Rückstellung in Höhe von 7,6 Millionen Euro für einen Rechtsstreit über noch zu zahlende Mieten gebildet wurde.
*Nach wie vor angespannte Liquiditätslage
Durch diverse Kapitalerhöhungen in den letzten Jahren, sowie durch die Begebung einer Wandelanleihe konnte die sich bereits mehrfach abzeichnende Insolvenz quasi in "letzter Minute" erfolgreich verhindern. Dennoch kann von einer soliden Liquiditätslage keine Rede sein. Ende September betrug der Barmittelbestand 12,8 Millionen Euro, von denen allerdings wegen der erwähnten Rückstellung nur 5,2 Millionen Euro frei verfügbar sind.
Immerhin wurden laut Firmenangaben mittlerweile 77 Prozent der Anleihe in Aktien gewandelt. Insofern dürfte sich das Rückzahlungsvolumen Ende 2008 in überschaubaren Grenzen bewegen und den ohnehin ziemlich leeren "Unternehmensgeldbeutel" nicht über die Maßen belasten.
Sollte Intershop allerdings in 2007 wie in den Vorjahren abermals Millionenverluste einfahren, könnte es mit dem Cash trotzdem knapp werden. Weitere Kapitalmaßnahmen wären dann wohl zwingend erforderlich.
*Schüttler verspricht Profitabilität
Soweit soll es laut Unternehmensvorstand Schüttler jedoch nicht kommen. Für das laufende Geschäftsjahr verspricht er Kostensenkungen von 20 Prozent und kündigt den operativen Turnaround an. Was von dieser Aussage zu halten ist, muss letztlich jeder selbst entscheiden.
Ich für meinen Teil habe zumindest erhebliche Zweifel an der Realisierung der ambitionierten Zielsetzung. Für meinen Geschmack kündigte Intershop in den letzten Jahren einfach ein paar mal zu oft die bevorstehende dann aber doch nicht eingetretene Profitabilität an, als das ich ernsthaft daran glauben könnte.
Sie wissen ja: "Wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht". Dieses Sprichwort traf auf Intershop in der Vergangenheit (leider) mehr als einmal zu.
*Gute Produkte und neues Geschäftsmodell
Doch nun genug der "Miesmacherei"! Kommen wir mal zu den eher erfreulichen Punkten: Mit "Enfinity" verfügt Intershop eigentlich über ein ganz gutes Produkt, das zudem in der Vergangenheit stetig weiter entwickelt wurde.
Die B2C(Business to Consumer)-Software wird von Konzernen für die Realisierung von Online-Shops eingesetzt. Zu den Kunden zählen so durchaus klangvolle Unternehmen wie Tchibo, Otto, Quelle und Plus. Grundsätzlich lässt sich mit Enfinity also durchaus Geld verdienen, auch wenn Intershop das bislang nicht geschafft hat.
Um das endgültig zu ändern, möchte der ehemalige Hoffnungsträger der ostdeutschen Wirtschaft nun sein Geschäftsmodell erweitern. Künftig sollen so genannte "Full-Service-Projekte" angeboten werden. Dabei übernimmt Intershop die kundenfreundliche Gestaltung der Webauftritte ebenso wie das Online-Marketing und die gesamte Auftragsabwicklung der Shops.
Derzeit befinde man sich mit zehn potenziellen Kunden in fortgeschrittenen Verhandlungen, so Schüttler kürzlich. "Angebissen" hat bisher allerdings nur das Modeunternehmen Wolford.
Grundsätzlich halte ich die Neuausrichtung durchaus für keinen ganz schlechten "Schachzug". Dienstleistungen werden im EDV- und Internet-Bereich für gewöhnlich besser honoriert als der bloße Verkauf von Produkten. Auch besteht gerade in solchen Bereichen ein starker Trend hin zum Outsourcing.
Viele Konzerne wollen die Kosten senken, indem sie für solche Aufgaben keine eigenen Mitarbeiter zu hohen Tariflöhnen beschäftigen. Gelingt es Intershop, den vorhandenen Enfitity-Kundenstamm für das neue Konzept zu begeistern, ist tatsächlich Raum für positive Umsatzüberraschungen.
*Marktumfeld stimmt
Ein Pluspunkt ist sicher auch das Marktumfeld. Der seit langem mal wieder anziehende Konsum der Bundesbürger lässt die Kassen der Handelsunternehmen kräftig "klingeln". In solchen Zeiten stehen Konzerne naturgemäß Neuinvestitionen tendenziell positiv gegenüber, zumal sich E-Commerce in der Breite immer mehr durchsetzt. Den Verzicht auf einen guten Online-Shop kann sich heutzutage auf Dauer eigentlich kein größerer Einzelhändler mehr leisten.
*David gegen Goliath
Zu hoch sollten Sie die Erwartungen an mögliche Umsatzsteigerungen aber auch nicht schrauben. Immerhin muss man bedenken, dass Intershop im Vergleich zur Konkurrenz ein "Zwerg" ist. "Giganten" wie Oracle, IBM oder Salesforce.com könnten die Jenaer schnell an die "Wand drücken".
Allerdings haben es die "US-Boys" bei deutschen Kunden erfahrungsgemäß nicht einfach. So gesehen ist es zumindest nicht auszuschließen, dass der Intershop-Plan aufgeht. Schließlich hat ja schon in der Bibel David gegen Goliath den Sieg davon getragen.
*Charttechnischer Ausbruch geglückt
Der steile Kursanstieg seit Jahresbeginn spricht auf jeden Fall dafür, dass es Anleger gibt, die trotz unzähliger Enttäuschungen weiter an die Zukunft von Intershop glauben. Der Widerstand bei etwa 1,80 Euro wurde deutlich überwunden. Im Bereich des nächsten Resists bei 2,20 Euro kam es zwar zu Rücksetzern, die aber angesichts der fulminanten Performance der letzten Wochen nicht weiter verwunderlich oder besorgniserregend ist.
Technisch sieht die Intershop-Aktie aktuell auf jeden Fall sehr gut aus. Mutige Neueinsteiger sollten aber dennoch knapp unterhalb der Marke von 1,80 Euro einen Stopp platzieren, nicht dass es Ihnen so geht wie den bemitleidenswerten Langfristaktionären.
•Intershop Communication • WKN A0EPUH
• Börsenwert 46 Mio. EUR • KGV 06e - • Div.-Rend. 06e - • Akt. Kurs 2,12 EUR
MEIN FAZIT:
Intershop ist sicherlich keine Aktie für jedermann. Nur sehr risikofreudige Anleger sollten ein Investment überhaupt ansatzweise in Betracht ziehen. Sollte die strategische Neuausrichtung zu entsprechenden Umsatzsteigerungen führen und gleichzeitig eine Senkung der immer noch viel zu hohen Betriebskosten gelingen, könnte die "neue Intershop" auf längere Sicht vielleicht wirklich irgendwann einmal auf einem gesunden wirtschaftlichen Fundament stehen. Anderenfalls dürfte die "Lichter" bald ausgehen und der "Pleitegeier" ein neues Opfer gefunden haben.
+ Strategische Neuausrichtung + Guter Kundenstamm + Aussichtsreiches Marktumfeld + Technisch viel versprechend
- Massiver Vertrauensverlust bei Anlegern - Schlechtes Management vor allem im Marketingbereich - Angespannte Liquiditätslage - Unangemessen hohe Betriebskosten - Risiko weiterer Kapitalerhöhungen
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3.) Die Top-Werte der Woche!
• Top 5 - Deutschland • Schumag AG (WKN 721670) +42 % • November AG (WKN 676290) +34 % • Hahn Immob. Beteilg. AG (WKN 600670) +25 % • Intertainment AG (WKN 622360) +24 % • LS Telecom AG (WKN 575440) +23 %
• Top 5 - USA • Hoku Scientific (HOKU) +163 % • Hudson Resources (HUDRT) +95 % • The Singing Machine Company (SMD) +92 % • ION Media Networks (ION) +86 % • The X-Change Corporation (XCHC) +83 %
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> Die nächste Ausgabe erscheint am 28.01.07
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