Bisher keine Proteste wegen des Bundeswehrskandals Afghanistan: Empörung über zivile Opfer
Afghanistan erlebt derzeit die blutigste Phase seit dem Sturz des Talibanregimes vor fünf Jahren. Mehr als 3000 Menschen kamen in den vergangenen Monaten ums Leben. Im Land wächst die Empörung über die zivilen Opfer, nachdem bei einem Isaf-Angriff mindestens zwölf Zivilisten getötet wurden. Der Bundeswehrskandal spielt dagegen kaum eine Rolle.
Von Christoph Heinzle, ARD-Hörfunkstudio Südasien In Afghanistan hat der Bundeswehrskandal weiterhin nur eine untergeordnete Bedeutung - es gibt keine Proteste und keine nennenswerte Empörung. Auch in den Freitagsgebeten in Kabul spielten die Meldungen über die Schändung Toter offenbar keine Rolle, wie das ARD-Hörfunkstudio Südasien von Gläubigen in verschiedenen Teilen der Hauptstadt erfuhr. Auch Radio- und Fernsehstationen berichteten kaum über den Skandal. Wenn, dann sachlich und mit Betonung der laufenden Ermittlungen. Zeitungen erscheinen nach einer Reihe von Feiertagen erst wieder am Samstag. Dennoch ist die Stimmung gegenüber den ausländischen Truppen in Afghanistan aufgeheizt. Immer größer wird die Aufregung über zivile Opfer bei Angriffen der Nato-geführten Isaf in Südafghanistan.
Afghanische Offizielle und die internationale Schutztruppe bestätigten inzwischen, dass bei Gefechten und Luftangriffen Anfang dieser Woche Bewohner des umkämpften Bezirks Panjwai in der Provinz Kandahar starben. Wie viele, ist unklar. Die Angaben reichen von einem Dutzend bis zu 90 zivilen Opfern. Der afghanische Präsident Hamid Karsai verurteilte die Vorkommnisse und ordnete umfassende Ermittlungen an: "Ich habe eine Kommission zur Untersuchung des Falls ernannt, die Vertreter des Verteidigungsministeriums und einige bekannte Persönlichkeiten aus der Provinz Kandahar einschließt. Ich habe mit Bewohnern des Distrikts Panjwai telefoniert, die Angehörige durch das Bombardement der Nato verloren haben. Es ist bestätigt, dass es zivile Opfer gab. Wir müssen jetzt herausfinden warum."
Taliban kündigen Selbstmordanschläge anSchon nutzen die Taliban die Lage. Der Militärführer der radikalislamischen Kämpfer Mullah Dadullah sprach gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters von einem "Völkermord”. Man werde in den kommenden Tagen mehr Selbstmordanschläge gegen ausländische Truppen verüben. Mullah Dadullah wörtlich: "Die Taliban werden die Mörder afghanischer Frauen und Kinder nicht in Frieden lassen, sondern sie weiter angreifen.” Die Taliban bestreiten den Vorwurf der Isaf, sie missbrauchten Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Und sie dementierten, überhaupt Kämpfer in den jüngsten Gefechten verloren zu haben.
Dagegen erklärte Nato-Sprecher Mark Laity in Kabull: "Wir sind sicher, dass wir unser Ziel getroffen haben und dass dort tatsächlich Aufständische waren. Die Frage ist nun, ob es dort auch Zivilisten gab. Dafür gibt es tatsächlich glaubwürdige Hinweise. Die Untersuchung ist deshalb berechtigt. Wir bedauern zutiefst jedes zivile Opfer. Wir tun unser Möglichstes, Tote in der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Aber manchmal passieren Fehler. Wie offenbar in diesem Fall - auch wenn wir dabei Auständische getroffen haben."
Karsai: "Bombardements nur unter unserer Anleitung" [Bildunterschrift: "Wir können Taliban besser von der Zivilbevölkerung unterscheiden": Afghanistans Präsident Karsai fordert die Isaf zur Zusammenarbeit bei Angriffen auf (Archivbild)] Der afghanische Präsident Karsai will mit Vertretern der internationalen Gemeinschaft nun diskutieren, wie solche Fehlschläge künftig vermieden werden können. Seine Forderung: mehr Verantwortung für die afghanischen Sicherheitskräfte. "Ich weiß, das ist Krieg und da passieren solche Dinge", erklärte Karsai. "Der Hauptgrund dafür ist, dass wir Afghanen keine Luftwaffe haben und diese Operationen nicht selbst führen. Wir können Taliban besser von der Zivilbevölkerung unterscheiden als ausländische Soldaten das können. Deshalb habe ich die internationale Gemeinschaft gebeten, solche Bombardements nur unter unserer Anleitung durchzuführen und ihre Aktionen mit der afghanischen Armee zu koordinieren."
Afghanistan erlebt derzeit die blutigste Phase seit Sturz des Talibanregimes vor fünf Jahren. Seit Beginn dieses Jahres starben bei Gefechten und Anschlägen mehr als 3000 Menschen. Die Mehrzahl der Opfer sind Talibankämpfer. Doch seit Jahresbeginn starben auch mehr als 170 ausländische Soldaten, vor allem in den instabilen Südprovinzen.
Grafik: Zwei Afghanen besichtigen die Schäden nach den Isaf-Luftangriffen in der Provinz Kandahar |
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