ABO ☰ Zahlungsdienstleister Bafin zeigt Wirecard wegen Marktmanipulation an - Konzernzentrale durchsucht Die Finanzaufsicht sieht Anzeichen dafür, dass Wirecard seine Anleger hinters Licht geführt hat. Die Staatsanwaltschaft München hat die Konzernzentrale durchsucht.
05.06.2020 | von Felix Holtermann
Wirecards Firmensitz in Aschheim bei München Wirecards Firmensitz in Aschheim bei München © Sebastian Arlt/laif
Frankfurt Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat Wirecard wegen des Verdachts der Marktmanipulation angezeigt. Die zuständige Staatsanwaltschaft München 1 hat das am späten Freitagnachmittag auf Handelsblatt-Anfrage bestätigt.
Anzeige „Wir können Ihnen bestätigen, dass vor wenigen Tagen eine Strafanzeige der Bafin gegen Verantwortliche der Wirecard wegen des Verdachtes der Marktmanipulation bei der Staatsanwaltschaft München I einging. Der Verdacht beruht darauf, dass die Verantwortlichen der Wirecard durch die Ad-hoc-Mitteilungen vom 12.03.20 und vom 22.04.20 irreführende Signale für den Börsenpreis der Aktien der Wirecard AG gegeben haben könnten“, erklärte eine Sprecherin der Strafverfolgungsbehörde.
„Die Staatsanwaltschaft München I hat daraufhin ein Verfahren gegen den gesamten Vorstand, vier Beschuldigte, eingeleitet und seit heute früh am Firmensitz in Aschheim durchsucht. Zu dem Ergebnis dieser Durchsuchung und weiteren Schritten können wir derzeit, auch um keinesfalls Einfluss auf den Aktienkurs des Unternehmens zu nehmen, keine weiteren Angaben machen“, so die Mitteilung weiter.
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Wiederholt verschobene Jahresbilanz Hintergrund sind die vielen Verschiebungen des Jahresabschlusses von Wirecard – und die damit einhergehenden Ad-hoc-Mitteilungen des Konzerns. Wirecard hatte ursprünglich geplant, seinen Geschäftsabschluss am 8. April zu veröffentlichen. Im März wurde dieser Termin auf den 30. April verschoben, Ende April dann auf den 4. Juni. Auch dieser Termin ließ sich nicht einhalten, nun peilt Wirecard eine Veröffentlichung für den 18. Juni an.
Die dreimalige Verschiebung des Termins hängt vor allem mit der im Oktober nach zahlreichen gravierenden Vorwürfen gestarteten Sonderprüfung der Bilanz durch KPMG zusammen. Die Vorlage des KPMG-Prüfberichts wurde ebenfalls mehrmals verschoben.
Bereits am 12. März hatte der Konzern zu später Stunde einen Teilbericht der Untersuchungsergebnisse präsentiert und die Vorlage des kompletten Prüfberichts auf den 22. April verschoben. Doch auch an diesem Tag konnte Wirecard kein finales Ergebnis präsentieren, sondern verschob die Veröffentlichung ein weiteres Mal auf den 27. April. Selbst dieser Tag brachte für die Anleger jedoch keine Aufklärung, sondern erst der darauffolgende 28. April.
Anzeige Das Dokument, das Wirecard dann präsentierte, sorgte unter Anlegern und Beobachtern jedoch für Entsetzen. Zwar fand KPMG keine Belege für den gravierenden Vorwurf der Bilanzfälschung. Doch davon abgesehen wimmelte der 74-seitige Bericht von Kritik über Unzulänglichkeiten und Schwächen in der Dokumentation. Besonders brisant: Die Zusammenarbeit von Wirecard mit Drittpartnern konnte nicht vollständig geklärt werden. Über sie wickelt der Konzern den Zahlungsverkehr in Ländern ab, in denen er über keine eigene Lizenz verfügt, für den Konzernertrag sind die Partner essenziell.
Doch statt die KPMG-Prüfer umfassend zu beliefern, enthielten Wirecard und seine Drittpartner ihnen laut dem Bericht über Monate Kontobelege, Verträge und andere Urkunden vor. Manche Dokumente wurden nur in Kopie oder gar nicht abgeliefert. Zudem monierten die Prüfer, dass Interviews mit wichtigen Managern mehrfach verschoben wurden. In der Summe konnte KPMG viele der erhobenen Vorwürfen nicht restlos entkräften. Das Magazin „Spiegel“ nannte den Bericht schlicht ein „Dokument des Grauens“.
Umstrittene Kommunikation Am Kapitalmarkt wurde der Bericht so negativ aufgefasst, dass die Aktie binnen zweier Tage um ein Drittel abstürzte - ein für einen Dax-Konzern praktisch beispielloser Vorgang. Ein Grund für die extrem negative Aufnahme ist aus Sicht von Beobachtern, dass Wirecard vorab den Kapitalmarkt nicht auf das extrem negative Ergebnis vorbereitet hatte. Erst im Nachhinein verwies der Konzern darauf, dass es sich um eine forensische Prüfung gehandelt habe, die sich in Art und Umfang sowie in der Detailtiefe wesentlich von einer gewöhnlichen Abschlussprüfung unterscheidet.
In den Wochen und Monaten zuvor hatte Wirecard die Anleger jedoch wiederholt mit vergleichsweise positiven Mitteilungen beruhigt - insbesondere rund um die vielen Terminverschiebungen. Zunächst erklärte der Konzern die Verlängerung des Prüfzeitraums und die Neuterminierung des Jahresabschlusses vor allem mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie.
„Auch durch aktuelle, Corona-Virus bedingte Reiserestriktionen besonders in asiatischen Ländern muss der Zeitrahmen der Sonderuntersuchung verlängert werden“, hieß es etwa im März. Gleichzeitig betonte der Konzern damals, dass sich aus den abgeschlossenen Teilen der Prüfung „aus heutiger Sicht keine substanziellen Feststellungen ergeben, die für die Jahresabschlüsse im Untersuchungszeitraum 2016, 2017 und 2018 zu Korrekturbedarf führen würden.“
Bei dieser Darstellung blieb der Konzern auch Ende April, als er erklärte: „Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden.“ Und weiter: „In den verbleibenden Tagen sollen noch eingegangene Datenbestände verarbeitet und berücksichtigt werden.“ Auf größere Probleme ließ das aus Sicht vieler Marktteilnehmer nicht schließen.
Auch die Spitzenmanager des Zahlungsdienstleisters übten sich in demonstrativem Optimismus. Der Bericht des Zahlungsdienstleisters fließe in die „ohnehin noch laufende Marktmanipulationsuntersuchung ein“. So erklärte Vorstandschef Markus Braun gegenüber Großinvestoren bereits im Frühjahr: „Machen Sie sich keine Sorgen, alles wird in Ordnung sein.“ Und selbst nach Vorlage des Prüfberichts erklärte er in einem Analysten-Call, der Jahresabschlussprüfer Ernst & Young (EY) habe „überhaupt keine Probleme“, die Jahresbilanz 2019 freizugeben.
In der Folge hatte die Bafin bereits erklärt: „Selbstverständlich schauen wir uns in diesem Zusammenhang auch die Kommunikation von Wirecard unmittelbar vor dem Erscheinen des KPMG-Berichts an.“
Mehr: Wirecard-Chef Markus Braun: Visionär unter Druck
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