ftd.de, Do, 20.6.2002, 12:38, aktualisiert: Do, 20.6.2002, 14:38 Rau unterschreibt Zuwanderungsgesetz
Bundespräsident Johannes Rau hat das umstrittene Zuwanderungsgesetz unterzeichnet. Das Land Hessen hat gegen das Gesetz bereits eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Rau sagte zu seiner Entscheidung, dass er nur dann die Unterschrift hätte verweigern können, wenn er zu der sicheren Überzeugung gekommen wäre, dass zweifelsfrei ein Verfassungsverstoß vorliege. Zu diesem Ergebnis sei er nach Abwägung aller Gesichtspunkte nicht gekommen. Doch nannte er eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgesetz "wünschenswert". Rau hatte das Zuwanderungsgesetz unmittelbar nach der Bundesratsentscheidung zur Prüfung vorgelegt bekommen. Das Staatsoberhaupt hatte sich in den vergangenen Monaten mit Rechtsexperten beraten, aber den als Bundesratspräsident amtierenden Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), Brandenburgs Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) zu Gesprächen über die Bundesratssitzung eingeladen. In der Geschichte der Bundesrepublik haben Bundespräsidenten insgesamt fünf Mal ihre Unterschrift unter ein Gesetz verweigert.
Bei der Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat war es am 22. März diesen Jahres zu Tumulten gekommen. Wowereit (SPD) hatte das Ja von Ministerpräsident Stolpe als Zustimmung gewertet, obwohl zuvor zwei Landesminister gegensätzlich votiert hatten. Rau kritisierte die Begleitumstände: "Die Bilder aus der Bundesratssitzung waren nicht gerade appetitanregend für Leute, die Demokratieförderung wollen." Das Gesetz, das am 1. Januar 2003 in Kraft treten soll, will die Zuwanderung neu regeln und steuern. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte sich am Mittwoch zuversichtlich gezeigt, dass Rau mit der Unterzeichnung den Weg für das Gesetz freimacht.
Union will unmittelbar Bundesverfassungsgericht anrufen
Die CDU/FDP-Landesregierung kündigte am Donnerstag bereits eine Klage gegen das Zuwanderungsgesetz an. "Das Gesetz ist nicht verfassungsgemäß zu Stande gekommen, deshalb ist eine Klage nunmehr unausweichlich", sagte Ministerpräsident Roland Koch (CDU).
Zuvor hatte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) eine abstrakte Normenkontrollklage der Union vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt, falls Rau das Gesetz unterschreiben sollte. Ein oder mehrere unionsregierte Länder würden nach Karlsruhe ziehen, sobald das Zuwanderungsgesetz im Bundesgesetzblatt stehe, sagte Bosbach in Berlin. Dies werde wenige Tage nach einer Unterschrift Raus der Fall sein. Er gehe allerdings nicht davon aus, dass eine Entscheidung des Gerichts noch vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes am 1. Januar 2003 vorliegen werde.
Zu einem Eilantrag der Union gegen das Zuwanderungsgesetz äußerte sich Bosbach zurückhaltend: "Das muss man sehr sorgfältig prüfen." Die Abweisung eines Eilantrages von unionsgeführten Ländern gegen die so genannte Homo-Ehe durch die Karlsruher Richter habe gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht hier sehr hohe Maßstäbe anlege.
Bosbach sagte, eine unionsgeführte Bundesregierung werde das rot-grüne Zuwanderungsgesetz auf jeden Fall kippen: "Wir werden deutlich machen, dass wir das Zuwanderungsgesetz nicht in Kraft treten oder wieder aussetzen werden." Die Zuwanderung werde von der Union auch im Bundestagswahlkampf angesprochen: "Das wird ein wichtiges, aber kein zentrales Wahlkampfthema sein."
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: AP |