"Zinsen, Häuser und die Angst" FTD von Yasmin Osman, Tim Bartz, Mark Schieritz und Mark Schrörs
Rund um den Globus steigen die Zinsen. Das belastet die Immobilienmärkte und treibt erste Hedge-Fonds in die Schieflage. Der Boom in der Private-Equity-Branche dürfte sich abschwächen. Doch ein Zusammenbruch des Finanzsystems erscheint unwahrscheinlich.
Fast schien es, als hätten sich die Staats- und Regierungschefs am wolkenfreien Ostseehimmel ein Beispiel genommen. Die Weltwirtschaft sei "in einem guten Zustand", das Wachstum der einzelnen Regionen "ausgeglichener", hieß es im Abschlussdokument des Gipfeltreffens der führenden Industrienationen Anfang Juni in Heiligendamm. Doch beim Mittagessen im Nobelhotel Kempinski war es mit der Ruhe vorbei. Dort ergriff Rodrigo de Rato, geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds, das Wort - und seine Analyse hatte es in sich. Er sei besorgt, hatte Rato zuvor im kleinen Kreis gesagt. Es bestehe die Gefahr, dass der Verschuldungsgrad im Finanzsystem "nicht aufrechterhalten werden kann". Denn rund um den Globus steigen die Zinsen.
Vom US-Immobilienmarkt kommen bereits Krisenzeichen. Immer mehr US-Bürger mit geringer Bonität können ihre Kredite nicht mehr bedienen, weil die Zinsbelastung steigt und die Häuserpreise nicht mehr so schnell steigen wie früher. Zahlungsausfälle häufen sich. Das hat zwei Hedge-Fonds der Investmentbank Bear Stearns, die mit Immobilienkrediten spekulierten, an den Rand der Pleite gebracht.
Pessimisten warnen vor neuer Wirtschaftskrise
Schon warnen Pessimisten vor einer neuen Wirtschaftskrise. "Das sieht zunehmend nach einer globalen Rezession aus", sagt Nouriel Roubini, Wirtschaftsprofessor in New York und unter dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton im Finanzministerium tätig. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) spricht bereits von einem "irrationalen Überschwang" an den Finanzmärkten - und gebraucht damit jene Wendung, mit der der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan das Platzen der Aktienblase vorweggenommen hat. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass der ganz große Crash verhindert werden kann.
Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen - ein Taktgeber für die langfristigen Zinsen - ist in der Euro-Zone seit ihrem Tiefpunkt im Herbst 2005 um rund 1,7 Prozentpunkte auf 4,7 Prozent gestiegen. In den USA liegen die Renditen sogar bei 5,1 Prozent. Entprechend brachen die Kurse ein. Einen ähnlichen Crash hatte es zuletzt nur in den Jahren 1999 und 1994 gegeben.
Wirtschaften auf Pump wird damit unweigerlich teurer - und das in einer Zeit, in der angesichts der jahrelang extrem niedrigen Zinsen ein großer Teil der wirtschaftlichen Transaktionen mit geliehenem Kapital bestritten wird. In Ländern wie den USA, Irland oder Spanien hängen sogar Wohl und Wehe der gesamten Volkswirtschaft an einem in hohem Maße kreditfinanzierten Immobilienboom. Und viele Schwellenstaaten haben zu günstigen Konditionen Kapital aufgenommen und damit ihr starkes Wachstum finanziert.
Vor allem aber Finanzinvestoren hantieren mit Krediten. Mittlerweile liegt bei Firmenkäufen das Verhältnis von Schulden zu Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibung und Amortisation im Durchschnitt beim Sechsfachen oder höher - noch vor wenigen Jahren waren Quoten von drei bis vier normal. "2006 liehen sich Käufer 273,5 Mrd. $ für Fusionen und Übernahmen, mehr als das Doppelte der Vorjahressumme", schreibt die Ratingagentur Standard & Poor's. Drastischer wird ein Investmentbanker, der lieber anonym bleibt: "Die hohe Verschuldung und die Tatsache, dass derzeit viele Private-Equity-Partner Kasse machen, sind Indizien für eine Dienstmädchenhausse. Ich warte täglich auf die Frage meiner Schwester, ob sie Aktien zeichnen soll. Das hat sie mich zuletzt im März 2000 gefragt, als Infineon an die Börse ging."
Was den Boom besonders gefährlich macht: Die Banken lockern zunehmend ihre Kreditstandards und geben auch weniger soliden Kunden Geld. So werden Schuldner in der Regel zur Einhaltung bestimmter wirtschaftlicher Kennzahlen verpflichtet (Covenant). Angesichts der starken Konkurrenz um lukrative Kreditgeschäfte lassen aber immer mehr Geldinstitute mit sich handeln. So wird zunehmend auf Tilgung während der Laufzeit von Krediten verzichtet, Zinszahlungen reichen bei den "Covenant light"-Verträgen aus.
Nervöse Märkte
Wenn jetzt die Zinsen steigen, so die Sorge von Marktteilnehmern und Aufsichtsbehörden, dann wächst die Gefahr, dass Unternehmen, Haushalte oder gar einige Staaten ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Gerät erst einmal ein größerer Investor oder Hedge-Fonds in Zahlungsschwierigkeiten, könnte das die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährden, so ihre Befürchtung. Denn wenn Anleger in Massen aus riskanten Papieren flüchten, drohen weitere Investmentgesellschaften in den Konkurs getrieben zu werden. Viele Fonds haben sich in großem Stil solchen Papieren eingedeckt und sie oft gar bei Banken als Sicherheiten hinterlegt.
Schnell könnte die Krise dann auf die Banken übergreifen und die Geldversorgung der Wirtschaft gefährden. [siehe Eingangsposting, Punkt 2] Zwar wähnen sich viele Geldinstitute in Sicherheit, weil sie ihre Forderungen an den Kapitalmarkt weitergereicht haben. Doch immer deutlicher wird, dass die Risiken damit keineswegs verschwunden sind. "Eine Wende im Kreditzyklus stellt ein erhebliches Risiko dar", schreibt die BIZ.
Wie nervös die Märkte sind, zeigten die Reaktionen auf die Krise der Schieflage der Hedge-Fonds von Bear Stearns. Sie hat sogar die Börsenaufsicht SEC auf den Plan gerufen. Schließlich hat schon einmal der Kollaps eines Fonds die Finanzwelt an den Rand des Abgrunds gebracht - und zwar 1998, als Long-Term Capital Management zusammenbrach. "Wenn ein Hedge-Fonds in Schwierigkeiten gerät, dann müssen Vermögenswerte liquidiert werden, was leicht zu einem weiteren Preisverfall der Produkte führen kann", sagt Marcus Schüler von der Deutschen Bank.
Crash an den Finanzmärkten nicht erwartet
Doch obwohl die Sorgen zunehmen, erwarten die wenigsten Experten einen Crash an den Finanzmärkten. So schreibt der IWF in seinem neuen Bericht zu den USA, trotz der gestiegenen Risiken am Immobilienmarkt sei eine allmähliche Abkühlung der amerikanischen Konjunktur das wahrscheinlichste Szenario. Er leite aus den Entwicklungen am Bondmarkt "keine ungünstigen Schlussfolgerungen mit Blick auf die Finanzstabilität" ab, sagte Lucas Papademos, Vizechef der Europäischen Zentralbank kürzlich.
Ein Grund für die Gelassenheit ist, dass ein dramatischer Zinsanstieg für unwahrscheinlich gehalten wird. "Das Schlimmste ist mittlerweile überstanden", sagt ein Bondhändler. Nur wenige erwarten einen Renditeanstieg in der Euro-Zone bis auf 5,0 Prozent.
Für Erleichterung sorgt vor allem, dass sich trotz wachsender Gefahren für die Preisstabilität die Inflationserwartungen zumindest in Europa nicht wesentlich erhöht haben. "Der Ausverkauf wäre noch größer gewesen, wenn der Markt sein Vertrauen in die Notenbanken und ihre Fähigkeiten bei der Inflationsbekämpfung verloren hätte", sagt Michael Krautzberger, Stratege bei Blackrock Merrill Lynch Investment Managers. "Vor allem die Revision der Wachstumserwartungen in der Euro-Zone und den USA hat die Renditen in den vergangenen Wochen nach oben getrieben", so Matthieu Louanges, Portfoliomanager bei der Allianz-Tochter Pimco.
Robuste Wirtschaft schützt Finanzsystem
Damit sinkt die Gefahr, dass die Sorge vor immer schneller steigenden Preisen die Renditen wie in der Vergangenheit in schwindelnde Höhen treibt. Zudem können Unternehmen und Verbraucher einen Zinsanstieg besser verkraften, wenn er mit höherem Wachstum einhergeht - schließlich stehen den gestiegenen Finanzierungskosten höhere Einnahmen entgegen.
Panikstimmung ist daher in der Unternehmenswelt noch nicht ausgebrochen. "Trotz des schnellen und plötzlichen Anstiegs ist das Zinsniveau aus Kapitalbeschaffungssicht noch nicht überteuert", sagt Hans-Jörg Mast, Leiter Finanzen des Landmaschinenherstellers Claas, der am Anleihemarkt sehr aktiv ist. In einer Studie der Citigroup heißt es, dass der Renditeaufschlag, den die Unternehmen bezahlen müssen, stärker von der Gewinnentwicklung beeinflusst werde als vom Trend bei den Ausleihungskosten.
Auch in Ländern, die durch steigende Zinsen besonders gefährdet sind, schützt laut Stefan Subroweit, Volkswirt bei der Deka-Bank, die robuste Wirtschaft das Finanzsystem. Zwar seien die Finanzierungskosten für Haushalte nicht mehr so günstig wie zuvor. "Steigende Einkommen und ein gesunder Arbeitsmarkt sorgen jedoch dafür, dass sich die finanzielle Lage nicht dramatisch verschlechtert."
Erhebliche Folgen für M&A-Markt
Doch auch wenn der Zusammenbruch ausbleibt, dürfte sich das rapide Wachstum der Private-Equity-Branche verlangsamen. [Daher aus deren Börsengänge - A.L.] "Der Markt für Finanzinvestoren, die hohe Übernahmepreise zahlen können, hat ein historisch hohes Niveau erreicht, es wird langsam eng", sagt Michael Bonacker, Co-Chef des deutschen Investmentbankings von Lehman Brothers. Karl Altenburg, Deutschlandchef bei JP Morgan, glaubt, dass "die Konditionen für die Schuldner auf Dauer nicht gleichermaßen attraktiv bleiben wie zurzeit".
Das dürfte erhebliche Folgen für den Markt für Fusionen und Übernahmen (M&A) haben. Denn dort spielen Finanzinvestoren eine überragende Rolle. Laut Thomson Financial machten Private-Equity-Fonds 2006 rund 20 Prozent des Transaktionsvolumens aus - 2005 lag der Anteil noch bei 13 Prozent. "Wir werden keinen abrupten M&A-Crash erleben, denn die Fonds sind ja weiterhin voll mit Kapital. Aber die Übernahmen werden mit mehr Eigenkapital, sprich weniger Kredit finanziert werden", so Bonacker.
Damit droht gerade die Private-Equity-Branche zur Leidtragenden der steigenden Zinsen zu werden. "Die Party ist zwar nicht vorbei, aber die Musik wird langsamer. Es geht in Richtung Walzer", sagt Bonacker.
Aus der FTD vom 25.06.2007 © 2007 Financial Times Deutschland |