Saarbrücker Zeitung, 29. April 2005 EIN JAHR NACH Polens EU-Beitritt Schleuser-Jagd an der Grenze Gemeinsame Kontrollen, Streifen und Ermittlungen der Polizeien beider Länder gehören zum Alltag an der deutsch-polnischen Grenze. Ein Jahr nach Polens EU-Beitritt wird die Kooperation in Sachen Sicherheit als beispielhaft gelobt. VON SZ-REDAKTEUR MICHAEL JUNGMANN Frankfurt/Oder/Wroclaw. Wo früher kilometerlange Staus Alltag waren, geht es heute zügig voran. Die Zollkontrollen an den deutsch-polnischen Grenzübergängen, wie an der Stadtbrücke in Frankfurt/Oder, sind Vergangenheit. Heute ist eine Fußgängerspur auf der Brücke sogar für den schnellen Grenzübertritt der Studenten der Europa-Universität Viadrina reserviert. Seit einem Jahr ist Polen Mitglied der Europäischen Union (EU). Am 1. Mai werden deutsche und polnische Grenzschützer auf diesen Jahrestag anstoßen. Sie arbeiten in gemischten Teams, sichern sich gegenseitig bei Kontrollen und Streifen. Udo Hansen, Chef des Bundesgrenzschutzpräsidiums Ost, schwärmte kürzlich bei einer Veranstaltung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zur deutsch-polnischen Sicherheitsarchitektur von einer früher „nicht vorstellbaren grenzüberschreitenden Kooperation“. Das auf der deutschen Seite oftmals von Vorurteilen geprägte Bild Polens müsse schleunigst korrigiert werden. Hansens BGS-Kollege, Peter Holzem, beschreibt das Lagebild ein Jahr nach dem EU-Beitritt. Die Zahl der Reisenden ist um 27 Prozent gestiegen. Bei den registrierten Straftaten gab es den vor dem 1. Mai 2004 immer wieder vorhergesagten dramatischen Anstieg nicht. Entlang der 840 Kilometer langen deutsch-polnischen Grenze wurden 400 (plus 236) Schleuser geschnappt, die 1426 (1061) Menschen illegal nach Deutschland bringen wollten. Holzem spricht von Profi-Methoden organisierter internationaler Banden, die sich innerhalb von Minuten auf die aktuelle Lage am Grenzübergang einstellen. Der Druck ist hoch. Tschetschenen, Ukrainer und auch Chinesen versuchen illegal ins Land zu kommen. „Europa ist hier Alltag“, sagt Grenzschützer-Chef Holzem. Er berichtet von erfolgreichen gemeinsamen Ermittlungsgruppen und deutsch-polnischen Streifen zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Und: Durch die europaweite Zusammenarbeit, multinationale Einsätze und Spezialisierung, kann es einem russischem Menschenhändler, der Ukrainerinnen einschleusen will, passieren, dass ihm eine bewaffnete griechische Kommissarin an der deutsch-polnischen Grenze Handschellen verpasst. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist nach Ansicht der BGS-Spitzen musterhaft. Regelmäßige gemeinsame Lagebesprechungen sind Routine. Auch die Justiz rückt näher zusammen. Hugo Müller, Vorsitzender der GdP an der Saar, kommentiert dies mit dem Hinweis, dass sich Deutsche und Franzosen hier durchaus ein Beispiel nehmen könnten. Andrzej Matejuk, Regionalchef der polnischen Polizei in Niederschlesien, spricht bei dem Treffen in Wroclaw (Breslau) von einem „dynamischen und kollegialen Miteinander“, nicht nur bei Verkehrskontrollen oder Razzien. Sprachbarrieren würden abgebaut. Die polnische Polizei verweise sogar im Internet per Link auf die
Saarbrücker Zeitung, 29. April 2005 sächsische Polizei. Lücken und Defizite räumen die Polen derweil offen ein. Bessere Autos und mehr Computer, so hofft der Polizeichef, könnten mit einer EU-Finanzspritze bezahlt werden. In Sachen Informations-Technik ist die polnische Polizei europaweit allerdings mit an der Spitze. Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der GdP, bilanziert: „In der Praxis wächst die polizeiliche Zusammenarbeit rascher zusammen als das offizielle Europa.“ Die Polizisten seien „die wahren Vorreiter der EU-Osterweiterung“. Freiberg und seine Kollegen kennen aber auch Tücken und Probleme im deutsch-polnischen Alltag. Das Einkommen eines polnischen Polizisten macht etwa ein Viertel des Gehaltes seines deutschen Kollegen aus. Korruption ist so gesehen auf polnischer Seite ein wichtiges Thema, das manchen Ex-Grenzer ins Gefängnis brachte. Und im deutsch-polnischen Kontrollteam muss ein Pole angeblich mit finanziellen Einbußen rechnen, wenn ein Deutscher etwas feststellt, was der polnische Kollege übersehen hat. Hintergrund Polens Polizei bemüht sich, mit Zahlen und Fakten davon zu überzeugen, dass sich beim Thema Sicherheit vieles getan hat. „Polen ist besser als sein Ruf“, heißt es mit Hinweis auf eine Umfrage. Nach Angaben der niederschlesischen Polizeikommandantur gaben 97,1 Prozent der Deutschen an, sich bei ihrem Besuch sicher gefühlt zu haben. Allerdings ging bei mehr als einem Drittel die Angst vor Autodieben um. Die ehemalige polnische Miliz kontert mit der Statistik: In den letzten drei Jahren seien 40 Prozent weniger Autos geklaut worden. mju |