Ex-Botschafter Ungarns in China: „Ich beobachte mit Erstaunen das Harakiri der deutschen Wirtschaft“
Wenn die deutsche Regierung in Brüssel „auf den Tisch gehauen“ hätte, gäbe es keine EU-Strafzölle gegen China. Das sagt im Interview der China-Experte Sándor Kusai, ehemaliger Botschafter Ungarns in China.
...Frage: Das Dreieck USA-EU-China ist inzwischen zu einem Feld für Sanktionen geworden, die in der Regel von den USA und der EU initiiert werden. Inwieweit dienen diese Sanktionen den europäischen Interessen, und wie sehen Sie ihre schädlichen Auswirkungen?
Kusai: Sie dienen den europäischen Interessen nur sehr wenig oder gar nicht. Diese Sanktionspolitik zielt darauf ab, die Entwicklung, das Wachstum und den technologischen Fortschritt Chinas zu bremsen und zu verhindern und damit Chinas Position in der Weltwirtschaft zu schwächen. Dies ist heute in erster Linie im Interesse der USA, das hat bereits unter der Obama-Regierung begonnen. Die Biden-Administration hat es intensiviert, und es scheint, dass auch die bald antretende zweite Trump-Administration Schritte in diese Richtung vorbereitet. Aber das werden wir nach dem Januar sehen.
Leider hat sich die Europäische Union in letzter Zeit als unfähig erwiesen, die europäischen Interessen zu vertreten. Aus für mich unerklärlichen Gründen folgt sie blind der wirtschaftspolitischen Linie der USA, die auf Konfrontation mit China setzt. Ideologisch verblendet ist sie auch bereit, die Beziehungen zu Russland abzubrechen – und das, obwohl diese beiden Sanktionspolitiken der Wirtschaft und der Gesellschaft der Europäischen Union spektakulären Schaden zufügen, da sich das Leben der Menschen und die Struktur der Gesellschaft in eine ungünstige Richtung verändern. Ich sehe das als großen Mangel. Ich verstehe einfach nicht, warum die europäischen Gesellschaften, die Wirtschaftseliten und die Leader des europäischen Großkapitals, die Milliarden von Euro einstreichen, zulassen, dass zum Beispiel gegen China zerstörerische Maßnahmen zum Nachteil der europäischen Interessen ergriffen werden.
Denn die Entwicklungen der letzten eineinhalb bis zwei Jahre zeigen deutlich, dass [die Sanktionen] China zwar wirtschaftliche Schwierigkeiten bereiten, aber seinen Aufschwung keineswegs aufhalten und die chinesische Wirtschaft nicht zum Einsturz bringen. Schon heute sind chinesische Elektroautos billiger als europäische Autos. Sie sind auch qualitativ mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser, und mindestens 30 bis 40 Prozent günstiger. Wir versuchen zu verhindern, dass chinesische Elektroautos nach Europa kommen, obwohl sie in der Zwischenzeit nicht schlechter geworden sind, während die europäischen Elektroautos leider nicht besser geworden sind. Die wichtigsten Märkte für chinesische Elektroautos sind jetzt Brasilien, Mexiko, Indien und eine Reihe anderer Länder in Südostasien. Mit anderen Worten, wir haben uns nicht nur in den Bereichen Elektronik, Mobiltelefone und Telekommunikation, sondern auch bei den Elektroautos selbst „erobert“. Wir geben den Vorteil eines billigen, aber qualitativ guten Produkts auf. Das ist nicht im europäischen Interesse – egal, wie gut es jemand meint, der diese Entscheidungen trifft, die ich für falsch halte. Außerdem ist dies nicht nur ein wirtschaftliches und ein soziales Problem, sondern auch ein Problem der Ökologisierung. Denn wenn es nur sehr teure „grüne“ Autos gibt, werden viele Menschen nicht in der Lage sein, sie zu kaufen, und folglich wird die Ersetzung der europäischen Autoflotte durch umweltfreundlichere Autos viel langsamer vonstattengehen.
Wir schwächen unseren eigenen Einfluss und unsere Position, und die Chinesen strukturieren sich allmählich um, indem sie ihre Märkte auf Länder in den Schwellenländern mit einer beträchtlichen Mittelschicht und einer großen Nachfrage verlagern, was den gegenwärtigen Druck kurzfristig mindert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im vergangenen Jahr war der Anteil der nichtwestlichen Länder am chinesischen Handel erstmals größer als der der westlichen Länder. Mit anderen Worten: Das Handelsvolumen zwischen China, den USA und Europa ist geringer als das Handelsvolumen, das China mit dem Rest der Welt abwickelt.
Frage: Sie verstehen also auch nicht, warum die EU gegen ihre eigenen Interessen handelt. Wie sehen Sie die Interessen der stärksten europäischen Industriemacht Deutschland in der Sanktionsdimension USA-EU-China?
Ich will ganz offen sein: Was ich am wenigsten verstehe, ist die deutsche Haltung in dieser Frage. Die deutsche Führung hat schwammig erklärt, dass sie keine Zölle auf chinesische Elektroautos unterstützt. Aber in Wirklichkeit hat Deutschland keine klare Kante gezeigt. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht gezwungenermaßen in diese Strafzölle verwickelt wären, wenn die deutsche Regierung in Brüssel auf den Tisch gehauen hätte, der Präsidentin der Europäischen Kommission, die eine Deutsche ist, erklärt hätte, wo Gott wohnt – was sie tun kann, denn Deutschland ist bei Weitem das wirtschaftlich stärkste europäische Land. Aus irgendeinem Grund hat die deutsche Regierung nicht die Schritte unternommen, die von ihrer Seite aus vernünftig gewesen wären und die sie hätte tun können.
Was ich außerdem nicht verstehe, ist das Verhalten der Leiter der großen deutschen Industriezweige in dieser kritischen Phase, insbesondere der Automobil-, Chemie- und anderen Schlüsselbranchen, die das Rückgrat der gesamten deutschen Wirtschaft sind. Denn der Prozess der Verschlechterung und des Abbaus der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und China trifft die deutsche Industrie und ihre Arbeitnehmer am unmittelbarsten und tiefsten und schadet jetzt und in Zukunft der deutschen Gesellschaft insgesamt. Ich sitze also hier in Ungarn, nicht allzu weit von Deutschland entfernt, und schaue mit staunenden Augen auf das Harakiri, das die deutsche Wirtschaft derzeit begeht...
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