Hamburg - Amerikas Autofahrer entdecken gerade eine alte Liebe wieder: den Hummer. 2010 musste General Motors die Produktion des tonnenschweren Geländewagens einstellen, der mehr als 20 Liter auf 100 Kilometer verbrennt. Die Spritkosten waren einfach zu hoch bei Tankstellenpreisen von mehr als vier US-Dollar je Gallone (3,8 Liter). Aber jetzt, da die Gallone für 2,50 oder 2,70 Dollar zu haben ist, wird das PS-Monster wieder gefragt.
ANZEIGELaut dem Gebrauchtwagen-Portal Autoradar.com wächst das Käuferinteresse bei keinem anderen Modell so stark wie bei Hummer. Und auch andere Spritschlucker sind gefragt wie lange nicht: Im September und Oktober kamen in den USA mehr als 53 Prozent aller zugelassenen Fahrzeuge aus der Kategorie Trucks, also Pickups, Sport Utility Vehicles (SUV), und ähnlicher Dickschiffe. Das ist der höchste Wert seit 2005.
Auch in Deutschland feiern Geländewägen einen Absatzrekord nach dem nächsten. Im Oktober wurden gut 14 Prozent, im November sogar 29 Prozent mehr SUV als ein Jahr zuvor zugelassen.
Der drastische Verfall der Rohöl- und Treibstoffpreise treibt die Nachfrage nach Spritschluckern offenbar drastisch hoch - zum Ärger von Umweltschützern. "Im Mobilitätssektor macht der niedrigere Ölpreis gerade viele Anstrengungen zum Klimaschutz kaputt", sagt Sven Teske, Energieexperte bei Greenpeace. Hybrid- und Elektroautos etwa verkauften schlechter. "Hier wird den Verbrauchern das Signal gesendet, dass Energieverbrauch wieder billig ist."
"Anstrengungen untergraben"
Jahrelang kannten die Notierungen für den wichtigsten fossilen Brennstoff nur eine Richtung: aufwärts. Bis Mitte des Jahres lagen sie meist oberhalb der symbolischen Marke von 100 Dollar je Barrel (159 Liter). Die hohen Preise haben manche umdenken lassen. Sie haben Verbraucher zum Energiesparen bewogen, Unternehmen zum Entwickeln neuer Technologien und Politiker zum Fördern derselben.
Macht der jähe Absturz des Ölpreises unter die 60-Dollar-Marke dies zunichte? Torpediert der Crash am Ende gar den Klimaschutz?
Schon auf dem gerade zu Ende gegangenen Klimagipfel in Lima war Öl ein großes Thema. Niedrige Preise könnten Staaten unter Druck setzen, Investitionen in Erneuerbare Energien und Projekte mit niedrigen CO2-Emissionen zu kappen, sagte der Gastgeber der Konferenz, Perus Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal. Noch gibt es zwar keine Daten über erhöhte Abgaswerte in der Luft nach dem Ölpreissturz.
Doch die Chefin der Internationalen Energieagentur IEA, Maria van der Hoeven, warnt bereits: Die jüngsten Marktentwicklungen könnten auf Dauer "eine stärkere Nutzung von fossilen Brennstoffen befördern und so Anstrengungen untergraben, die Energieversorgung unseres Planeten nachhaltiger zu machen." Und der Klimaökonom Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung fürchtet: "Auf Dauer könnte ein niedriger Ölpreis Investitionen in die Erneuerbaren Energien bremsen.
"Kurzfristige Schwankung"
So weit ist es allerdings noch nicht. "Was wir hier sehen, ist bislang eine kurzfristige Schwankung nach unten", meint Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
"Öl verbrauchen wir vor allem für Mobilität und Heizung", sagt Kemfert. "Hier wurden in den vergangenen Jahren grundlegende Maßnahmen wie die Entwicklung neuer Antriebe oder Gebäudesanierung eingeleitet." Ein kurzfristiger Preisverfall habe darauf wenig Auswirkungen.
So hat bislang noch keiner der großen Automobilkonzerne angedeutet, wegen des Preisrückgangs sein Elektro- oder Hybridmotoren-Programm einzustellen. Diejenigen Spritspar-Modelle, die schon am Markt sind, dürften sich allerdings schlechter verkaufen.
In der Stromerzeugung, Hauptverursacher der globalen CO2-Emissionen, spielt Erdöl längst nur noch eine Nebenrolle. Kaum ein großer Industriestaat verfeuert den kostbaren Brennstoff heute noch in Kraftwerken.
Positive Effekte
"Ein niedriger Kohlepreis hat weitaus negativere Auswirkungen auf den Klimaschutz als der niedrigere Ölpreis", sagt Greenpeace-Mann Teske. Zudem habe der Preisverfall auch positive Effekte auf die Umwelt, da er die besonders CO2-intensive Erdölgewinnung aus Teersänden oder mittels des ökologisch umstrittenen Fracking, in der Tiefsee oder in der Arktis unrentabler mache.
ANZEIGEIn den USA minderten erste Fracking-Betreiber und Ölfirmen angesichts gesunkener Einnahmen bereits ihre Bohraktivität, berichten US-Medien. "Wir sehen eine Verlangsamung bei Ölbohrungsprojekten", zitiert etwa Bloomberg einen Experten.
Auch Ölsand- und Tiefsee-Projekte brauchen Erlöse zwischen 70 und 100 Dollar je Barrel, damit sie Gewinn abwerfen. Bei dauerhaft niedrigeren Preisen würde sich das Ölangebot massiv verknappen. Denn die konventionellen Vorkommen können den Weltbedarf nicht alleine decken.
Die meisten Marktexperten erwarten daher, dass der jüngste Preisverfall nur ein kurzes Intermezzo ist- und die Notierungen schon bald zurück in Richtung der alten Preisspanne zwischen 80 und 120 Dollar je Fass tendieren werden. Die frisch entflammte Liebe der amerikanischen Autofahrer für den Hummer würde dann wohl wieder schnell erlöschen |