Der Niedersachse hält sich für mächtig, weil er es in Merkels Machtapparat zum Staatsoberhaupt gebracht hat. Wulff glaubt sogar, es mit dem Springer-Konzern aufnehmen und die Pressefreiheit bei Bedarf aufheben zu können. Das grenzt an Realitätsverlust. von Thomas Schmoll "Krieg" ist ein böses Wort. Es steht für Tod, unendliches Leid und Vernichtung. Was hat Christian Wulff, der Mann mit dem Schwiegersohnlächeln, geritten, als er am 12. Dezember 2011 zum Telefon griff, "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann anrief und dem gesamten Springer-Konzern den "Krieg" erklärte? Für wen hält er sich, dem größten Zeitungsverlag Europas zu drohen? Und vor allem: mit was? Mit Liebesentzug?
Für ein solches Vorgehen gibt es nur eine Erklärung: Hybris. Der Begriff aus dem Griechischen steht für Hochmut und frevelhafte Selbstüberschätzung, für den Wahnwitz eines Menschen zu glauben, über den Göttern zu stehen. Doch Wulff ist aus Fleisch und Blut und weit davon entfernt, eine anbetungswürdige Ikone zu sein. Dafür ist er einfach zu beliebig und zu langweilig.
Wulff ist ein Karrierist, groß geworden im Politikbetrieb eines Helmut Kohl und dessen "Mädchen" Angela Merkel. Sowohl Kohl als auch Merkel gelten als ausgewiesene Machtmenschen mit untrüglichem Instinkt, ihre Posten zu sichern. Wulff mischt seit Jahren munter in diesem System mit. Zuletzt ist er dem Lockruf der Kanzlerin gefolgt, als die ihn zum Bundespräsidentenkandidaten erklärte. Die CDU-Vorsitzende beorderte den Niedersachsen ins Schloss Bellevue, um einen Konkurrenten loszuwerden. Nun ist das Schloss zur Falle geworden.
Wulff fühlt sich eigentlich pudelwohl in diesem Politikbetrieb. Er baute sich in Niedersachsen ein üppiges Netzwerk auf, das tief in die Wirtschaft reicht. Die Grenzen zwischen Amt und Privatleben verschwanden in diesem Dickicht, das die Opposition sicher nicht zu Unrecht "das Amigo-System Hannover" nennt. Wulff beherrscht die Spielregeln der Politik. Eine davon ist ein gutes Verhältnis zur "Bild"-Zeitung, das er bis Mitte Dezember 2011 definitiv hatte.
Der Emporkömmling aus Osnabrück hält sich für mächtig, weil er es in Merkels Machtapparat zum Staatsoberhaupt gebracht hat. Wulff glaubt tatsächlich, so mächtig zu sein, dass er es mit dem Springer-Konzern aufnehmen und "Bild"-Chef Diekmann drohen kann. Das grenzt an Realitätsverlust. Hybris führt zu einer verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wulff schuf sich seine eigene Welt: Aus dem Motto der "Bild"-Zeutung "Bild dir deine Meinung!" machte er "Bild dir meine Meinung!" Das ist ein Mix aus Selbstüberschätzung, Dreistigkeit, Naivität und nicht zuletzt auch Dummheit. Denn es ist dumm, dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung wüste Drohungen auf der Mailbox zu hinterlassen.
Da-muss-ich-eben-durch-Modus ist eingeschaltet
"Der Bundespräsident steht als Staatsoberhaupt protokollarisch an der Spitze des Staates. Er ist das Verfassungsorgan, das die Bundesrepublik Deutschland nach innen und nach außen repräsentiert. Dies geschieht, indem der Bundespräsident durch sein Handeln und öffentliches Auftreten den Staat selbst - seine Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit - sichtbar macht." So ist die Aufgabe des Staatsoberhauptes in der Verfassung verankert. All dies verkörpert Wulff nicht mehr. Sein Name steht inzwischen für das, was die Politik seit Jahren in Verruf bringt und für Verdrossenheit beim Wähler führt: Kungelei, Lügen und Halbwahrheiten, Machtversessenheit sowie Verquickung von Amt und Privatangelegenheiten.
Der Bundespräsident gehört zu den Verfassungsorganen, also den entscheidenden Instanzen der deutschen Demokratie. In der Kreditaffäre hat Wulff die im Grundgesetz verbriefte Pressefreiheit drei Mal als "hohes Gut" bezeichnet. Sein Handeln bezeugt genau das Gegenteil. Wulff wähnt sich im Besitz eines Rechts, im Bedarfsfall die Pressefreiheit aufzuheben. Wulff agiert nicht als überparteiliches Staatsoberhaupt, sondern als Politiker, der seine Grenzen nicht kennt und von allen guten Geistern seiner Vorgänger in Schloss Bellevue verlassen worden ist. Für Wulff ist das Entscheidende, das Amt zu besitzen und nicht es auszufüllen.
Der Mann, dessen CDU-Mitgliedschaft gerade ruht, schaltet den Da-muss-ich-eben-durch-Modus ein, den alle Machtpolitiker in sich tragen. Die Koalition begleitet das im Da-muss-er-eben-durch-Modus und lässt ihn gewähren, sicher auch mangels personeller Alternativen und sicher auch deshalb, weil Kanzlerin Merkel keine Bundespräsidentenkür gebrauchen kann, in der Schwarz-Gelb wieder zittern und am Ende eventuell sogar Joachim Gauck oder einen anderen Bewerber wählen muss, den das Volk zwar will, der aber - anders als Wulff - Kritik an Missständen im Land laut äußert.
Kein Wunder also, dass maßgebliche Vertreter von CDU, CSU und FDP schweigen, so wie Wulff fast zwei Wochen lang zu den Vorwürfen in der Kreditaffäre geschwiegen hat. Und die, die sicher äußern, drehen den Spieß herum und machen den Bock zum Gärtner. Zum Beispiel Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" verkündete: "Allerdings muss sich nicht nur der Bundespräsident fragen, ob er mit den privaten Vorgängen und den damit verbundenen Vorwürfen angemessen umgegangen ist, auch die Medien haben Anlass zu selbstkritischer Betrachtung ihrer offensichtlich nicht nur an Aufklärung interessierten Berichterstattung."
http://www.ftd.de/politik/deutschland/...es-herrn-wulff/60149091.html