Mit Johannes B. Kerner und den Prinzen feiert die SPD ihren 140. Geburtstag. Gerhard Schröder fand sanfte Worte, um die Partei auf seine Agenda einzustimmen. Auf dem Festakt wurde der aktuelle Streit eingefroren, aber viele kleine Szenen bezeugen die zunehmende Entfremdung innerhalb der ältesten Partei des Landes. Berlin - Festtagsreden finden selten viel Aufmerksamkeit. Zu getragen der Ton, zu allgemeingültig die wohlmeinenden Appelle, zu schal die Witze, zu schläfrig die Musik zwischen den Reden. Wenn das ganze dann noch von Johannes Baptist Kerner moderiert wird, kann man sicher sein, dass es niemandem weh tut. Aber die kleinen Geschichten und Beobachtungen am Rande erzählen oft mehr über die Verfassung der feiernden Gemeinde. Als die SPD am Freitag 2000 Menschen ins Berliner Tempodrom lud, um ihren 140. Geburtstag zu verkünden, stand kurz vor Beginn der Veranstaltung Michael Sommer auf dem Vorplatz und bediente Kamerateams. Der DGB-Chef liegt im Streit mit den alten Weggefährten aus der Sozialdemokratie über den richtigen Weg in die Zukunft. "Aber heute", sagte er, "will ich feiern" und später werde man ja sehen, was in diesem Land noch so los ist.
Die SPD wollte sich halt feiern, da stört man nur ungern. Das wusste auch Ottmar Schreiner, Bundestagsabgeordneter und prominenter Vertreter des von der SPD-Führung so getauften "dreckigen Dutzends" der zwölf Rebellen, die Gerhard Schröder beim Reformieren des Landes in den Arm fallen wollen. Schreiner eilte an allen Journalisten vorbei, Interviewwünsche beschied er mit einem knurrenden Nein, setzte sich sieben Reihen hinter dem Vorsitzenden an den Gang, verschränkte die Arme vor der Brust und verharrte in dieser Stellung. Zum Festakt wurde der Streit in der Partei mal kurz eingefroren trotz brütender Schwüle im Tempodrom. Ganz rechts in der ersten Reihe rührt FDP-Chef Guido Westerwelle erwartungsgemäß keine Hand. Michael Sommer auf der gegenüberliegenden Seite weiß nicht so recht, wie er nun reagieren soll. Der neben dem Grünen-Umweltminister Jürgen Trittin platzierte DGB-Chef beugt sich rasch nach vorn, als Gerhard Schröder am Freitag auf der Bühne die persönliche Werbetour für sein Reformwerk begann. So fällt nicht richtig auf, ob Sommer nun klatscht oder nicht.
Gut zwei Stunden lang betrieb die Partei Nabelschau. Fünf Vorsitzende hatte die Partei seit Willy Brandt verschlissen, doch nur Hans-Jochen Vogel findet den Weg zum Festakt. Oskar Lafontaine war unerwünscht. Er hat sich auch nicht uneingeladen oder inkognito auf die Prominentenbänke geschlichen. Björn Engholm ist verreist und ließ sich entschuldigen. Und Rudolf Scharping konnte kurzfristig nicht kommen, weil seine Mutter verstorben ist.
Vogel, der neben Kanzler-Gattin Doris sitzen darf, ist bei den Journalisten ziemlich gefragt. Anders als Schreiner gibt er pausenlos Interviews und lobt Schröder: An einem Festtag gibt es nur Ja-Sager. Vogel nimmt es auch nicht übel, dass er auf dem blauen Riesenbühnenplakat mit der Ahnenreihe der "großen" SPD-Politiker von Ferdinand Lassalle bis Gerhard Schröder fehlt. Dafür sei er wohl nicht lange genug Vorsitzender gewesen, lautet seine Begründung. Besonders warm beklatscht werden neben Vogel noch der frühere Kanzlerberater Egon Bahr und der ehemalige russische Staatschef Michail Gorbatschow, der bei Schröders Rede artig applaudiert und ansonsten interessiert seine Fingernägel inspiziert statt dem feierlichen Treiben auf der Bühne zuzusehen. Gorbatschow hatte das Glück, dass die Reden für ihn nur in ihren Kernaussagen übersetzt wurden und nicht wortwörtlich. Der ohnehin schwer in der Kritik stehende Generalsekretär Olaf Scholz mäanderte durch sein Grußwort im Ton einer Trauerrede mit Bandwurmsätzen, denen keiner folgen konnte. Scholz war sehr nervös: Er steht unter Beobachtung der Partei und dürfte am Freitag letzten Kredit verspielt haben. Bei Sätzen wie "ich begrüße die Vertreterinnen und Vertreter, die uns im Bundestag vertreten" holten sich die ersten Besucher Getränke. Feierlich wollte er wirken und war nur verkrampft bei peinlichen Null-Sinn-Aussagen wie der Freude über "den Augenblick im Augenblick dieses Moments unserer Geschichte". Da gingen die nächsten Getränke holen.
Jürgen Trittin konnte nicht gehen. Er saß weit vorne, mag sich aber darüber gewundert haben, dass die Genossen ausgerechnet FDP-Chef Guido Westerwelle in der ersten Reihe platzierten, gar nicht weit weg vom Kanzler. An solch feierlichen Tagen wird ja sogar die Sitzordnung zur politischen Aussage.
Gezeigt wurde auch ein munteres Filmchen in der Ästhetik eines Werbeclips: 140 Jahre SPD-Geschichte in zehn Minuten mit der schlichten Botschaft, mit der man auch andere Traditionsprodukte wie Nivea-Creme verkauft: War immer gut, können Sie vertrauen.
Parteimanager statt Vorsitzender
Nur an der Rezeptur des Produkts will der Firmenchef jetzt ein bisschen was verändern, was nicht jeden freut. Der Vorstandschef der SPD-AG weiß um die miesen Börsenwerte seiner Firma und will sie jetzt umkrempeln. Doch Schröder spielt an diesem Tag eher den Parteivorsitzenden als den Kanzler. Einige legen ihre Stirn in Falten, als er davon spricht, dass es für ihn "Auszeichnung und Ehre sei, Vorsitzender dieser Partei zu sein", wo doch jeder weiß, dass er den Vorsitz nie wollte, nur notgedrungen durch den Abgang von Oskar Lafontaine einsprang. Diese emotionale Distanz zwischen der Partei und ihrem Chef war am Freitag wieder zu spüren. Auf dem großflächigen Plakat mit den Konterfeis von Lasalle, Bebel, Schumacher, Brandt wirkte auf viele der Kopf von Schröder seltsam befremdlich: Er ist eher SPD-Manager statt integrierender, faszinierender, wärmender Vorsitzender, wie es die Genossen so lieben.
Schröders Rede blieb verhalten, getragen, nicht kämpferisch, sondern feierlich. Von seiner Partei forderte der Kanzler Mut, die notwendigen Reform-Entscheidungen zu treffen und ihn bei seinem Kurs zu unterstützen. "Wir glauben keineswegs, dass der ehrenhafteste Platz der Sozialdemokraten in der Opposition zu finden ist", mahnte Schröder. Die Debatte in der Partei um den richtigen Weg nannte er immerhin "berechtigt". Er gehe optimistisch in diese Auseinandersetzung. Nicht nur in Deutschland, vielmehr in ganz Europa, stünden Sozialdemokraten vor derselben Alternative: "Entweder wir modernisieren uns - und zwar als soziale Marktwirtschaft, oder wir werden modernisiert - und zwar von ungebremsten Kräften des Marktes, für die Freiheit immer nur die Freiheit der Wenigen ist."
Dualismus aus der Begeisterung
In ihrer 140-jährigen Geschichte habe die SPD meist dann Fehler begangen, wenn sie zu zögerlich gewesen sei, "das, was wir für richtig erkannt hatten, in der Praxis anzuwenden", sagte der SPD-Vorsitzende weiter. Dabei sei die SPD nie "die Partei des blanken Pragmatismus" gewesen. Wie keine andere habe sie für langfristige Visionen und Ziele gekämpft. Schröder: "Es ist gerade dieser Dualismus aus der Begeisterung, das Morgen denken zu wollen, und der Entschlossenheit, das Heute zu gestalten, der uns so stolz macht auf unsere Partei". Sätze solcher Art waren es, die ihm den Applaus sicherten. Schröder wählte im Gegensatz zur jüngsten Zeit auch nicht das Personalpronomen "Ich" sondern betonte das "Wir".
Etwas angriffslustiger wurde er nur gegenüber den Gewerkschaften. Eindringlich forderte er sie auf, ihren Widerstand gegen seine Agenda 2010 zu überdenken. Weniger Lohnnebenkosten kämen denen zu Gute, "die Arbeit haben und denen, die Arbeit suchen". Dies wolle er "unseren Freunden von den Gewerkschaften ans Herz legen", die doch bitteschön noch mal darüber nachdenken sollten, ob der Weg der SPD nicht doch der richtige sei.
Der Weg der SPD war in dem Film ja bereits nachgezeichnet worden. Interessant daran war auch, was alles nicht erzählt wurde: Über die Kriegskredite, denen die SPD vor dem Ersten Weltkrieg zugestimmt hatte. Daran musste wohl auch Trittin denken, als Schröder den Pazifismus seiner Partei lobte und der Grüne den Kopf schüttelte.
Film mit Lücken
Auch die Spaltung nach dem Krieg fiel aus, ebenso fast die gesamten 16 Jahre Opposition nach dem Sturz von Helmut Schmidt. Vielleicht hätte man dann den Streit der Enkel von Willy Brandt erwähnen müssen, die ewigen Duelle, die am Ende nur Schröder überlebt hat. Vielleicht hätte das manchen Genossen daran erinnert, dass die einst stolze Programmpartei - in der Beziehung Vorbild für alle anderen - noch immer auf der Grundlage des Berliner Programms von 1989 Politik macht. Darin finden sich zwar keine Antworten auf die großen Fragen der neunziger Jahre wie Deutsche Einheit und Globalisierung aber der Wunsch nach "30-Stunden-Woche bis zum Jahr 2000".
So stopfte der programmatische Hohlkörper SPD zum Jubiläum die Löcher mit Agenda-Träumen, vielen warmen Worten und schönen Erinnerungen. Wie sang die Popgruppe "Die Prinzen" doch so feierlich zum Fest in dem Lied über das traurige Mädchen: "Sie koste sanft ihr Spielzeug, bevor sie es zerbrach". |