SPIEGEL ONLINE - 20. April 2007, 19:17 URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,478497,00.html STUDIENZENTRUMS-STREITFDP verlangt von Oettinger eindeutiges Bekenntnis gegen RechtsVon Sebastian Fischer und Severin Weiland Günther Oettingers Filbinger-Affäre belastet die baden-württembergische Koalition. Der Regierungsspartner FDP verlangt von ihm im Fall des rechten Studienzentrums Weikersheim "eindeutige Schritte" über die ruhende Mitgliedschaft hinaus. Er müsse die Ideenschmiede neu ausrichten - oder austreten. Stuttgart/Berlin - Eigentlich will Heribert Rech gerade den Jahresbericht von Baden-Württembergs Verfassungsschutz präsentieren. Aber das Thema Günther Oettinger kommt dem Innenminister in die Quere. Wie denn er das Studienzentrum Weikersheim bewerte, in dem der Ministerpräsident Mitglied sei, fragen die Journalisten. Und ob Oettinger seine Mitgliedschaft denn nicht besser ruhen lassen soll. DDP
Ministerpräsident Oettinger: Abrücken von den Weikersheimern Rech lächelt. Das hat er erwartet. Nach dem Eklat um Oettingers Trauerrede auf den verstorbenen Vorgänger Hans Filbinger ist die rechte Denkfabrik Weikersheim ins Zentrum der Debatte gerückt. Der Innenminister sagt, was der Ministerpräsident gestern sagte: Dass Weikersheim, einst von Filbinger mitgegründet, ein "privater Verein" sei. Dass es jedem frei stehe, Mitglied eines Vereins zu sein. Neben ihm sitzt Landes-Verfassungsschutzchef Johannes Schmalzl und sagt, das Studienzentrum "ist und war kein Beobachtungsobjekt". Er sagt auch: "Es gab Hinweise, das ist richtig." Diese seien "aus der Beobachtung anderer extremistischer Bestrebungen" entstanden. Welche und wie viele Hinweise, dazu schweigt er. Bekannt sind rechtsextreme Kontakte von zwei Weikersheimer Präsidiumsmitgliedern: - Erstens der Politikwissenschaftler Klaus Hornung, der Referent bei der Burschenschaft "Danubia" war - die vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wird.
- Zweitens Stefan Winckler, der ein "Handbuch des Linksextremismus" mitherausgab und als Referent bei der "Gesellschaft für freie Publizistik" (GFP) auftrat. Diese wird ebenfalls beobachtet und als rechtsextrem eingestuft. Der Bericht, den Rech vorstellt, nennt die GFP "die mitgliederstärkste rechtsextremistische Kulturvereinigung in Deutschland".
Die Pressekonferenz endet - und es vergehen keine zwei Stunden, da ist Rechs mühevolle Oettinger-Verteidigung umsonst gewesen. Der Ministerpräsident lässt mitteilen, seine Mitgliedschaft im Studienzentrum ruhe ab sofort. Günzel und Hohmann - das fehlte Oettinger noch Er habe vom Präsidenten der Einrichtung, Bernhard Friedmann, Aufklärung über eine geplante Veranstaltung mit dem früheren Bundeswehr-General Reinhard Günzel gefordert. Dieser war im November 2003 entlassen worden, nachdem er einer als antisemitisch kritisierten Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann zugestimmt hatte. SPIEGEL ONLINE hatte gestern berichtet, dass die Unterorganisation "Jung Weikersheim" für diesen Freitag einen Abend mit Günzel plante. Er sollte über die "Bundeswehr als demokratischen Weltpolizisten" reden. Plötzlich wurde der Vortrag kurzfristig abgesagt. Allerdings ist immer noch Hohmann als Redner bei "Jung Weikersheim" eingeplant, für den 25. August in Göttingen. Thema: "Erfahrungsberichte aus 20 Jahren Realpolitik". Solche Enthüllungen müssen es gewesen sein, die Oettinger zur Distanzierung trieben. In seiner Regierungszentrale wird die Mitgliedschaft bei den Weikersheimern mit einem Automatismus begründet: Filbingers Nachfolger seien allesamt kraft ihres Amtes Mitglieder gewesen, also neben Oettinger auch die Ministerpräsidenten Lothar Späth und Erwin Teufel (beide CDU). Ein Regierungssprecher: "Oettinger hat nie einen Mitgliedsantrag ausgefüllt." Das ist seit Jahren die Linie. So teilte etwa Julian Würtenberger, Leiter der Grundsatzabteilung in Oettingers Staatsministerium, auf Anfrage eines Abgeordneten 2006 mit, das Studienzentrum erhalte kein Geld aus dem Landeshaushalt - "abgesehen von jährlich 100 Euro Mitgliedsbeitrag des jeweiligen Ministerpräsidenten". FDP und Grüne sehen nur einen ersten Schritt Wieso es einen solchen Automatismus gibt - das versteht allerdings nicht jeder. Auch nicht die FDP, Oettingers Koalitionspartner in Baden-Württemberg. "Der Ministerpräsident kann nicht Kraft seines Amtes Mitglied des Studienzentrums Weikersheim sein", sagt Baden-Württembergs FDP-Fraktionschef Ulrich Noll SPIEGEL ONLINE. Das Zentrum sei keine Landeseinrichtung, sondern "Sache der CDU". Dass Oettinger die Mitgliedschaft ruhen lasse, sei das Mindeste. Oettinger dürfe sich aber "nicht wieder in Etappen distanzieren", sondern müsse "eindeutige Schritte" unternehmen. Denkbar wäre, "das Studienzentrum so zu ändern, dass es die unselige Vergangenheit aufarbeitet". Dies funktioniere nur, wenn Oettinger "die Kraft hätte, die Einrichtung so auszurichten". Sonst solle er sich jetzt "offensiv distanzieren. Manchmal ist es besser, einen Schlussstrich zu ziehen." Winfried Kretschmann, Grünen-Fraktionschef im Landtag, zu SPIEGEL ONLINE: "Dieses Weikersheim stand immer wieder mit einem Fuß im rechten Sumpf." Oettingers Entscheidung sei "ein richtiger erster Schritt. Entweder geht Weikersheim jetzt mit dem Fuß aus dem Sumpf raus, oder der Ministerpräsident legt seine Mitgliedschaft endgültig nieder". Genau das fordert Baden-Württembergs SPD-Chefin Ute Vogt schon jetzt: "Wenn Herr Oettinger konsequent wäre, müsste er seine Mitgliedschaft in Weikersheim sofort beenden." Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Israel wirft Oettinger unter anderem wegen Weikersheim "rechtsextreme Sympathien" vor und verlangte erneut seinen Rücktritt. Das Studienzentrum lade regelmäßig Redner mit extremistischen, zum Teil antisemitischen Ansichten ein, sagte Efraim Zuroff, Direktor des Jerusalemer Büros. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist zurückhaltender. "Ich habe nichts gegen eine christlich-konservative Denkfabrik, aber sehr wohl was gegen eine Kaderschmiede für die neue Rechte", sagte Generalsekretär Stephan J. Kramer SPIEGEL ONLINE. Er fordere die konservativen Demokraten im Studienzentrum auf, sich von Einladungen an Günzel, Hohmann oder den Philosophen Günter Rohrmoser zu distanzieren. Sonst "sollten sie darüber nachdenken, den Verein zu schließen". "Ich halte die Vorwürfe für unbegründet, ja abstrus" Das Studienzentrum Weikersheim selbst verteidigt sich. Präsident Friedmann sagte, man habe eine "durch und durch demokratische Grundausrichtung" - auch wenn es früher Anlass zu Kritik gab. "Es ist nicht zu bestreiten, dass es vor 15 bis 20 Jahren den einen oder anderen bedauernswerten Vorfall gegeben hat." Das sei "auf die damals emotional angeheizte Atmosphäre zurückzuführen". Am schärfsten wehrt sich Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), zugleich Präsidiumsmitglied in Weikersheim. Dem "Tagesspiegel" sagte er zu Schließungs-Forderungen: "Ich halte die Vorwürfe für unbegründet, ja abstrus". Zwischen dem Zentralrat der Juden und Teilen der baden-württembergischen CDU ist inzwischen ein Konflikt entbrannt, der sich abseits vom Fall Oettinger verselbstständigt hat. Auslöser: Georg Brunnhuber, baden-württembergischer CDU-Landesgruppenchef im Bundestag. Er hatte gesagt, überbordende Kritik des Zentralrats der Juden führe dazu, dass die Leute im Filbinger-Streit eher Oettinger Recht geben. Zentralrats-Vizepräsident Dieter Graumann nannte dies "hirnlos, taktlos und geschmacklos". Brunnhubers Vize Norbert Barthle forderte daraufhin, man solle darüber nachdenken, ob der Zentralrat in allen Fragen des Dritten Reiches die alleinige Deutungshoheit habe. Es gebe in der CDU und der Öffentlichkeit immer wieder Stimmen, "die sagen: Es kann nicht sein, dass die Führung des Zentralrats in dieser überhöhten Rhetorik reagiert". "Wir nehmen das Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch" Dies erregte wieder Kritik des Zentralrats. Generalsekretär Kramer zu SPIEGEL ONLINE: "Wir haben nie die Deutungshoheit für uns in Anspruch genommen. Aber wir nehmen schon das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch." Man lasse sich von niemandem "einen Maulkorb umhängen". Dem Zentralrat sei nicht vorzuwerfen, dass er die Deutungshoheit wolle: "Wir sind keine Absolutionsinstitution." Kramer suchte allerdings auch das persönliche Gespräch mit Barthle, rief ihn an und verabredete sich mit ihm - denn inzwischen scheint Mäßigung angesagt. "Wir sind alle Menschen, keiner ist perfekt", sagte Kramer über die Debatte. Barthle sagte SPIEGEL ONLINE, seine Äußerungen seien vor dem Treffen des Zentralrats mit Oettinger am Donnerstag gefallen. "Man hat sich ausgesprochen. Damit betrachte ich die Angelegenheit als ausgeräumt." Einige Bemerkungen in der Hitze des Gefechts seien hinfällig. Barthle begrüßt übrigens auch Oettingers Abrücken von den Weikersheimern - obwohl er das Studienzentrum gestern noch verteidigt hatte. Er selbst habe bis heute nicht gewusst, dass die Nachwuchsorganisation "bestimmte Namen" gehäuft eingeladen habe, sagte Barthle. "Daraus kann man schon den Schluss ziehen, die Mitgliedschaft ruhen zu lassen." |