Sind wir Solarpapst?
Der weltgrößte Zellhersteller 2007 kommt – vielleicht – aus Deutschland
Die deutsche Solarindustrie hat ihre Ende 2006 verkündeten, sehr ambitionierten Planzahlen im Großen und Ganzen erreicht. Bei genauem Hinsehen teilt sich der Markt allerdings in erfolgreiche und deutlich weniger erfolgreiche Teilnehmer. Das Gegensatzpaar Conergy und Q-Cells illustriert diesen Trend: Während die einen beim Produktionsausbau grandios gescheitert sind, dürfen die anderen sich als größter Zellhersteller der Welt feiern lassen. Zumindest bis die Konkurrenz aus China ihre endgültigen Zahlen präsentiert.
Alljährlich fragt die PHOTON-Redaktion bei der deutschen Solarindustrie nach Produktionsdaten der jeweils vergangenen zwölf Monate sowie nach einer Prognose für das kommende Jahr. Diese Zahlen hat selbstverständlich jeder Vorstand auswendig parat; trotzdem tut man sich manchmal schwer damit, sie der Öffentlichkeit kund zu tun. In einer derart schnell und bisweilen auch turbulent wachsenden Branche können die Unterschiede zwischen Planung und Realität nämlich ganz erheblich sein. Niemand erfährt dies zurzeit so brutal wie die Hamburger Conergy AG. Vor einem Jahr genoss der Solarkonzern die ungeteilte Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit, weil er mit großer Dynamik den Sprung vom Vertrieb zur Produktion anging und in Frankfurt (Oder) die zu diesem Zeitpunkt größte Solarfabrik der Welt errichten wollte: 300 Megawatt Jahreskapazität für Wafer, 275 Megawatt für Zellen und 250 Megawatt für Module. Die Fabrik ist inzwischen fertig, aber sie läuft nicht. Eigentlich hatte man 2007 bereits 60 Megawatt an Wafern, 55 Megawatt Zellen und 50 Megawatt an Modulen ausliefern wollen. Statt dessen sind nach PHOTON-Schätzung lediglich 20 Megawatt an Modulen fertig geworden. Für dieses Jahr peilt man 100 Megawatt an, also nur 40 Prozent der verfügbaren Kapazität. Selbst diese relativ geringe Menge aber wird nach heutigem Stand der Dinge nur durch Zukäufe von Wafern und Zellen von außerhalb zustande kommen, denn diese beiden Abteilungen der Conergy-Fabrik stehen offenkundig still. Conergy selbst macht hierzu keine Angaben, doch dieses Schweigen spricht Bände: Das ehrgeizige Projekt ist gescheitert, weil die Versorgung mit Silizium nicht gesichert werden konnte. Das Desaster brachte den gesamten Konzern ins Schlingern (siehe Seite 60). Als Investitionsruine wird die Immobilie in Frankfurt (Oder) aber aller Voraussicht nach trotzdem nicht enden. Es werden bereits Wetten angenommen, wann und an wen die Fabrik verkauft wird. Schließlich ist sie ein recht interessantes Investitionsobjekt für alle, die Zugriff auf genügend Rohmaterial haben, denn der Standort Deutschland darf auch weiterhin als attraktiv gelten. Das beweist unter anderem die Q-Cells AG: Sie hat 2007 das Spektrum ihrer Tochter- und Beteiligungsunternehmen vor allem im Dünnschichtbereich weiter ausgebaut, die Firmen Brilliant 234 GmbH, Solibro und Calyxo wollen in diesem Jahr Kapazitäten von jeweils 25 Megawatt aufbauen. Außerdem sind die Vorbereitungen für eine eigene Fertigung von kristallinen Wafern so weit abgeschlossen, dass man für 2008 mit einer Produktionsmenge von 40 Megawatt rechnet. Vor allem aber hat das Kerngeschäft mit multi- und verstärkt auch monokristallinen Zellen im vergangenen Jahr die Erwartungen – wieder einmal – übertroffen. Die Ende 2006 abgegebene Prognose von 330 Megawatt Gesamtproduktion 2007 war keineswegs von übermäßiger Bescheidenheit geprägt, dennoch kam man bereits Mitte Dezember bei der Addition aller erledigten Aufträge auf 370 Megawatt. Damit hat Q-Cells womöglich ein schon vor vier Jahren zwar nicht ausdrücklich, aber doch implizit verkündetes Unternehmensziel erreicht und den bisherigen Weltmarktführer Sharp hinter sich gelassen. Die Solarsparte des japanischen Großkonzerns stagnierte nämlich bereits von 2005 auf 2006, und im Jahr 2007 sollen nach internen Schätzungen einiger Analysten die Zahlen sogar zurückgegangen sein. Die Prognosen pendeln um 360 Megawatt, offizielle Zahlen stehen aber noch aus. Der zurzeit größte Hersteller kristalliner Solarzellen sitzt damit aller Voraussicht nach in Sachsen-Anhalt – bis auf weiteres jedenfalls. Denn mit dem chinesischen Solarkonzern Suntech Power hat wahrscheinlich noch ein weiteres Unternehmen Sharp überholt und ist nun den Zellexperten aus Thalheim dicht auf den Fersen. Sehr dicht sogar, die von Suntech herausgegebenen vorläufigen Zahlen für 2007 liegen nur sechs Megawatt hinter denen von Q-Cells, und bislang haben die Chinesen bei der Jahresschlussinventur ihre vorläufigen Zahlen stets noch ein wenig übertroffen. Viel interessanter als die Frage nach Nummer Eins und Zwei der Weltrangliste sind ohnehin andere Zusammenhänge. So hat Q-Cells trotz der großen Erfolge bei der Produktionssteigerung seinen Anteil am Weltmarkt nicht vergrößert. Er lag 2006 bei 10,0 Prozent, 2007 werden es um die 9,3 Prozent sein. Und, beinahe noch bemerkenswerter: Auch der Anteil des Branchenprimus an der deutschen Zellproduktion ist nicht allzu sehr gestiegen, von knapp 50 Prozent 2006 auf 53 Prozent im vergangenen Jahr. Wenn zudem die abgegebenen Prognosen zur Produktion 2008 eintreffen, wird Q-Cells in diesem Jahr nur noch rund 47 Prozent der deutschen Zellproduktion bestreiten. Die Konkurrenz schläft nicht. Insgesamt haben die deutschen Zell- und Modulhersteller mit vereinten Kräften auch dafür gesorgt, dass Prognose und Realität für 2007 recht dicht beieinander liegen. Die im Januar 2007 veröffentlichte PHOTON-Erhebung hatte Pläne von 891 Megawatt Zellproduktion für kristalline und Dünnschicht-Technologie ergeben; tatsächlich erreicht wurden 795 Megawatt. Die Differenz von rund 100 Megawatt entstand jeweils zur Hälfte durch die Ausfälle bei Conergy sowie den angekündigten, aber nicht umgesetzten Produktionsstart der Arise Technologies GmbH im sächsischen Bischofswerda. Das Tochterunternehmen der kanadischen Arise Technologies Corporation wollte dort bis heute eigentlich schon 55 Megawatt produziert haben; statt dessen ist noch nicht einmal das Gebäude fertig gestellt. Bei allen anderen Produzenten sind die Differenzen zwischen Soll- und Ist-Zahlen vergleichsweise gering. Neben Q-Cells sorgte zudem auch die Konstanzer Sunways AG für Abweichungen nach oben, indem sie 38 statt der angekündigten 25 Megawatt fabrizierte. Bei der Produktion von Modulen hat die deutsche Solarindustrie die aus der letzten Erhebung resultierende Prognose sogar leicht übertroffen. Erwartet wurden 656 Megawatt, 684 sind es schließlich geworden. Genau wie bei den Zellen muss bei der Interpretation dieser Zahlen natürlich stets bedacht werden, dass bei einigen Herstellern lediglich Schätzungen vorliegen. Dies betrifft nicht nur die Produktionsmenge, sondern auch den Ausbau der Kapazitäten. In diesem Punkt ist das Verhältnis bei Zellen wie Modulen im Vergleich zum letzten Jahr relativ konstant geblieben, nämlich rund Zwei zu Eins: Die Branche setzt also auch weiterhin auf Wachstum, für das sie mit dem Bau immer neuer Produktionsanlagen gewappnet sein will.
Silizium: Wacker zieht davon Die gilt inzwischen auch für den Anfang der Wertschöpfungskette, die Produktion von Polysilizium für die Waferproduktion. Auch 2007 war hier zwar der einzige Siliziumhersteller mit Produktion in Deutschland die Wacker Chemie AG. Doch erstens ist der Club der Siliziumproduzenten auch weltweit noch immer recht klein und zweitens gehört Wacker hier zumindest bislang noch zur Führungsriege. Das Unternehmen baut seine Produktion und – fast noch wichtiger – die verfügbaren Kapazitäten mit zunehmendem Tempo aus: Rund 8.000 Tonnen wurden nach Schätzung von PHOTON am Standort Burghausen bei München produziert. Von Wacker bestätigte Zahlen gibt es lediglich zur Kapazität. Und die wächst rasant: Waren es Ende 2007 noch 10.000 Tonnen, sollen es Ende 2008 schon 15.150 Tonnen sein, Ende 2009 dann 22.000 Tonnen. Genau genommen darf man ab Ende 2008 noch die 650-Tonnen-Produktion für granulares Silizium hinzuzählen. Wacker hat das Verfahren, bei dem Silizium aus Trichlorsilan im Wirbelschichtreaktor hergestellt wird jetzt mehrere Jahre getestet und angekündigt, Ende 2008 mit der kommerziellen Produktion zu beginnen. »Der im Vergleich zum herkömmlichen Abscheideverfahren geringere Energieverbrauch wirkt sich positiv auf die Energiebilanz von Solarzellen aus. Ein Vorteil unseres neuen Verfahrens liegt in der hohen Ausbeute, die sich mit Trichlorsilan als Einsatzstoff erzielen lässt«, sagt Ewald Schindlbeck, Leiter des Geschäftsbereichs Wacker Polysilicon. Gut möglich, dass nach erfolgreichem Betrieb der 650-Tonnen-Produktion Wacker auch mit dieser Technologie kräftig ausbaut. An der Produktion von granularem Silizium im Wirbelschichtreaktor arbeitet auch die Joint Solar Silicon GmbH (JSSi), an der neben der Bonner Solarworld AG (49 Prozent) die Evonik Degussa mit 51 Prozent beteiligt ist. Mit dem Evonik-Konzern – der früheren Ruhrkohle AG – ist damit gewissermaßen die Speerspitze der fossilen Energiewirtschaft auf einem zentralen Schauplatz der deutschen Solarindustrie aktiv, was als nette Kleinigkeit am Rande verbucht werden kann. Die Ursache für die ständigen Terminverschiebungen bei JSSI dürften jedoch nicht in Manipulationen der Steinkohlelobby zu suchen sein, sondern in technischen Problemen mit dem Produktionsverfahren. Anders als Wacker setzt JSSi auf Monosilan als Ausgangsstoff. Die Einführung des neuen Prozesses hatte sich mehrfach verzögert, jetzt scheint es aber endlich soweit zu sein: »Wir gehen davon aus, dass wir 2008 das erste Silizium produzieren werden«, erklärt Geschäftsführer Raymund Sonnenschein. In der zweiten Jahreshälfte soll im badischen Rheinfelden eine Kapazität von jährlich 850 Tonnen für den kommerziellen Betrieb nutzbar sein. Solarworld baut zudem mit der niederländischen Scheuten Solarholding B.V. eine Produktion zur direkten Reinigung metallurgischen Siliziums mit einer Jahreskapazität von 1.000 Tonnen am Standort Freiberg auf. Produktionsbeginn ist 2009, weshalb das Projekt in unserer Tabelle auf Seite 29 noch keine Erwähnung findet. Aus dem selben Grund fehlt die vom Produktionsequipment-Hersteller Gebr. Schmid GmbH + Co. geplante Siliziumproduktion im Industriepark Schwarze Pumpe nahe Hoyerswerda im Freistaat Sachsen (Seite 54) und ebenso die von der PV Silicon Forschungs und Produktions AG geplante Produktion in Bitterfeld (PHOTON 6-2007). Die City Solar AG dagegen ist noch in unserer Tabelle vertreten, vermutlich aber das letzte Mal. Denn das neuartige Produktionsverfahren sei zwar jetzt erfolgreich getestet, so Steffen Kammler von City Solar, doch wolle man nicht selbst produzieren, sondern die Technologie lediglich lizenzieren. Kammler geht davon aus, dass sich dieses Jahr ein Interessent finden lässt. Neuartige Produktionsverfahren spielen auch im Sektor »Modulproduktion« der deutschen Solarbranche eine große Rolle, weil hierunter auch die steigende Zahl von Dünnschichtmodulen fällt; ebenso gut hätte man diese Sparte natürlich auch der Zellproduktion zuordnen können. 21 Firmen sind inzwischen auf diesem Gebiet aktiv, die meisten allerdings noch im Anfangsstadium. An die 158 Megawatt Jahreskapazität, die das US-Unternehmen First Solar Inc. seit Mitte 2007 verfügbar hat, kommt kein anderer Dünnschichthersteller auch nur näherungsweise heran, erst recht nicht an die im vergangenen Jahr produzierte Menge von schätzungsweise 70 Megawatt oder die 2008 geplante Zahl von 150 Megawatt. Vielmehr müssen auch etablierte Solarunternehmen die Erfahrung machen, dass Dünnschichtproduktion eine vergleichsweise knifflige Angelegenheit ist. Die Ersol Solar Energy AG macht inzwischen keine Aussage mehr, wann genau sie die volle Kapazität ihrer Produktion ausnutzen wird und wie schnell es mit dem Umstieg von amorphem Silizium auf die weitaus anspruchsvollere Mischung aus amorpher und mikrokristalliner Halbleiterschicht voran gehen soll. Mit dieser zurückhaltenden Politik ist Ersol keine Ausnahme. Die allermeisten Dünnschichtproduzenten geben für 2008 lediglich Ziele für den Kapazitätsausbau an, nicht aber für die tatsächlich produzierte Menge; hier finden sich deshalb überwiegend PHOTON-Schätzungen, für die als Richtschnur gelten kann: Eine neue Dünnschichtproduktion, die im ersten Betriebsjahr zehn Prozent ihrer nominellen Kapazität erreicht, darf als Erfolg gelten. So sieht es im übrigen wohl auch die Avancis GmbH, einer der wenigen Dünnschichtfabrikenten, der konkrete Produktionspläne für 2008 angibt. Obwohl Avancis – ein Joint Venture von Shell und dem Glaskonzern Saint Gobain – auf langjährige Erfahrung in der Produktion von Kupfer-Indium-Selenid-Modulen durch die frühere Shell Solar zurückgreifen kann, will man für die 20-Megawatt-Fabrik in Torgau zunächst einmal nur ein Megawatt an produzierten Modulen anpeilen. Dennoch: Wenn die auf kristalline Technologie konzentrierten Hersteller ihren Anteil an der deutschen Gesamtproduktion halten wollen, müssen sie sich anstrengen. Indes gibt es hier ohnehin kaum noch ein Unternehmen, das nicht schon zwei Eisen im Feuer hat. Anstrengen muss sich aber auch die deutsche Solarindustrie insgesamt. Wer nämlich über das hohe Wachstumstempo der hiesigen Solarfabriken staunt, dem dürfte angesichts der Dynamik im internationalen Maßstab erst recht die Spucke wegbleiben. Denn trotz ihrer fulminanten Entwicklung vermag Deutschlands Solarbranche ihren Anteil am Weltmarkt gerade mal eben zu halten, er lag 2006 bei etwas über 20 Prozent, 2007 knapp darunter. Die Strategie, auch weiterhin auf Wachstum zu setzen, ist ganz offensichtlich die richtige.Anne Kreutzmann, Jochen Siemer
Bildunterschrift: In die Tasche gesteckt: Der deutsche Zellhersteller Q-Cells hat 2007 womöglich weltweit die meisten Solarzellen produziert – vor dem chinesischen Konkurrenten Suntech Power und der japanischen Sharp Corporation. Das endgültige Ergebnis wird aber noch ein paar Wochen auf sich warten lassen.
Neue Produktionstechniken spielen vor allem in der Dünnschichtsparte eine Rolle – hier die Fertigung von Bandsolarzellen bei Odersun. Die Zahl der Hersteller in diesem Bereich wächst kontinuierlich, im großen Maßstab produzieren sie (mit Ausnahme von First Solar) bislang noch nicht.
Gut gelaufen: Wacker konnte die neue Siliziumproduktionsanlage »Poly 6« wesentlich früher in Betrieb nehmen als ursprünglich geplant – hier die Grundsteinlegung Anfang 2006 mit (v.l.n.r.) Willi Kleine, Werkleiter Wacker Burghausen, Erwin Schneider, Landrat des Landkreises Altötting, Alois Glück, Präsident des Bayerischen Landtags, Peter-Alexander Wacker, Vorsitzender des Vorstands der Wacker Chemie AG und Ewald Schindlbeck, Leiter Wacker Polysilicon. Die Ausbaustufe »Poly 7« geht Ende des Jahres in Betrieb – die Kapazität beträgt dann 14.500 Tonnen pro Jahr.
Ziel erreicht: Die Ersol-Tochter ASi Industries hatte für 2007 eine Produktion von 53 Megawatt angekündigt, 55 Megawatt verließen die Wafer-Fabrik in Erfurt – hier das Vermessen eines monokristallinen Siliziumingots, aus dem die Wafer gesägt werden. In diesem Jahr soll die Produktion auf 110 Megawatt verdoppelt werden.
Startschwierigkeiten: Der Einstieg in die Dünnschichtproduktion gestaltet sich für einige Firmen schwieriger als gedacht – hier die Einrichtung der Maschinen bei der Ersol Solar Energy AG (oben ein Leuchtpult zur Qualitätskontrolle, unten die Abscheidekammern).
Solarzellenproduktion beim Musterschüler Q-Cells – hier die Isolierung der Zellenkanten mittels Laser. Die Produktion soll dieses Jahr 580 Megawatt betragen.
Mehr installiert als produziert: Noch liegen die deutschen Modul- und Zellhersteller hinter der im Land installierten Anlagenleistung zurück – hier die derzeit weltgrößte Freiflächenanlage bei Brandis. Der Abstand ist aber etwas geringer geworden.
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