Gleiches Recht für Alle!
dass das »Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit es den Reichen wie den Armen gleichermaßen verbietet, auf den Straßen zu betteln und unter den Brücken zu schlafen.«
Rechtsstaat ausgehöhlt Grundrechte-Report zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland Um die elementaren Menschen- und Bürgerrechte in Deutschland ist es denkbar schlecht bestellt. Zu diesem Ergebnis kommt der Grundrechte-Report 2005, der gestern in Berlin vorgestellt wurde. Alljährlich wird am 23. Mai, dem »Tag des Grundgesetzes« Bilanz gezogen über die politische Entwicklung in der BRD. Neun namhafte Bürgerrechtsvereinigungen, darunter die Humanistische Union, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, Pro Asyl und der Republikanische AnwältInnenverein, steuern Beiträge zu diesem alternativen Verfassungsschutzbericht bei. Herausgeber sind Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Elke Steven, Heiko Habbe, Jürgen Micksch, Wolfgang Kaleck, Martin Kutsch, Rolf Gössner und Frank Schreiber.
Grundfreiheiten beschnitten
Die Grundrechtseinschränkungen der letzten Jahre, so heißt es darin, haben eine so unvorstellbare Dimension sowohl in Quantität als auch in ihrer Qualität erreicht, daß die kritische Reflexion hierüber nötiger denn je ist. Einzelne in dem Report angesprochene positive Beispiele zeigen, daß es auch anders ginge, wenn der politische Wille da wäre.
Da aber sowohl SPD und Grüne als auch die schwarz-gelbe Opposition seit langem auf Militarisierung der Außenpolitik und Sozialabbau im Inneren setzen, ist eine Flankierung eines solchen inhumanen Politikansatzes durch Beschneidung der Grundfreiheiten die logische Folge. Daher steht nicht zufällig an der Spitze der 45 einzelnen Aufsätze dieses Reports eine Darstellung zum »Angriff auf den sozialen Gehalt der Grundrechte«. Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt erinnert darin an das Versprechen des Grundgesetzes, die materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die in ihm verbürgten Freiheiten von allen auch wahrgenommen werden können. Unter der Kampfansage »Freiheit versus Soziales« huldige man aber heute wieder einem unbeschränkten Kapitalismus. Es gelte, »wider den unsozialen Geist der Zeit« anzukämpfen. Sonst lande man wieder bei den von Anatol France sarkastisch beschriebenen, sozial blinden Freiheitsbegriff des 19. Jahrhunderts, wonach das »Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit es den Reichen wie den Armen gleichermaßen verbietet, auf den Straßen zu betteln und unter den Brücken zu schlafen.«
Noch ein Beitrag steht gewissermaßen vor der Klammer. Wolfgang Kaleck setzt sich mit dem Thema »Der internationale Terrorismus und die Geltung des Rechts in der Welt« auseinander. Wer wollte ihm widersprechen, wenn er mit dem Satz beginnt: »Die schlechteste Nachricht dieses Jahres ist, daß die skandalösen Zustände in Guantanamo weiter andauern.« Kaleck schildert die Erosion des Rechtsbewußtseins unter dem Vorwand der »Terrorismusbekämpfung«, aber auch einzelne Erfolge von NGO’s und engagierten Anwälten, eine Gegenöffentlichkeit zu mobilisieren. Entscheidend ist Kalecks Mahnung: »Wer Verdächtigen ihre Grund- und Bürgerrechte abspricht, wer diese Rechte nicht allen Menschen selbst in schwierigen Situationen zugesteht, bedroht die gesellschaftliche Verfaßtheit mindestens ebenso nachhaltig«, wie die sogenannten Extremisten dies möglicherweise tun.
Erschreckende Tendenzen
Nach der ansatzweisen Kapitalismuskritik Hohmann-Dennhardts, den Plädoyers für den Sozialstaat und den Rechtsstaat nimmt in dem Report 2005 das klassische Verständnis der Grundrechte als freiheitssichernde Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe breiten Raum ein. Erschreckende Tendenzen werden von den Autorinnen und Autoren erörtert: »Arbeitgeber« mißachten jeglichen Datenschutz, automatisierte Kfz-Kennzeichenerkennung schafft neue Infrasrukturen für Überwachungen, das Luftsicherheitsgesetz gibt dem Staat eine Lizenz zum Töten Unschuldiger, Mißhandlungen in Justizvollzuganstalten und Abschiebeknästen sind an der Tagesordnung, das Folterverbot wird nicht etwa nur von einem einzelnen Polizisten relativiert, gegenüber Neonazis zeigt sich die Politik tatenlos, der Verfassungsschutz erklärt kritische Kommentare zu geistiger Brandstiftung, Demonstranten werden durch Gebühren an der Ausübung ihres Grundrechts gehindert, das neue Flüchtlingsrecht schneidet im Praxistest denkbar schlecht ab, »Hartz IV« schafft Arbeitszwang statt Berufsfreiheit und pauschaliert die Menschenwürde, die nachträgliche Sicherungsverwahrung wird eingeführt, Minderjährige sitzen immer noch in Abschiebehaft.
Einen besonders skandalösen Fall benennt Rolf Gössner am Beispiel von Martin Löwenberg. Der 78jährige Antifaschist war vom Amtsgericht München zu einer Geldstrafe verurteilt, worden, weil er sich einem Aufmarsch von Alt- und Neonazis entgegengestellt hatte.
Zu den Erfolgen beim Grundrechtsschutz zählten die Autoren des Reports die Klage von Burkhard Hirsch und anderen, mit der dem großen Lauschangriff in bisheriger Form der Boden entzogen wurde. Erhard Denninger setzt aber ein Fragezeichen, ob der große Lauschangriff wirklich »zurechtgestutzt« sei. Die Skepsis ist angebracht, denn erst in der letzten Sitzungswoche haben SPD und Grüne eine Neufassung des Lauschens in Wohnungen verabschiedet. Der Bundesrat möchte dies am Freitag sogar noch verschärfen. So wird die Chronologie, mit der im Report an grundrechtsrelevante Ereignisse von Januar bis Dezember 2004 erinnert wird, im Jahre 2005 fortgeschrieben werden. So sieht alles danach aus, als ob es wieder überwiegend trübe Kapitel sein werden, die für den Tag des Grundgesetzes im kommenden Jahr zu schreiben sind.
* Grundrechte-Report 2005, Fischer Taschenbuch Verlag (16695), 9,90 Euro |