Hans Bernecker: Warten auf den 'Shake Out' Mails/Nachrichten vom 14.06.2002, Bernecker & Cie.
-------------------------------------------------- Guten Morgen, meine Damen und Herren, dieser Bericht ist eine Ergänzung zur heutigen AB. Der erste Satz bleibt gültig. Ich warte unverändert und geduldig auf den Shake Out des Marktes. Ob das heute kommt oder in den nächsten 10 Tagen, weiß ich nicht. Das klingt im ersten Moment etwas einfallslos, ist aber der einzig richtige Weg für Sie, über diese Marktkonstellation hinwegzukommen. Wichtig ist lediglich, was ich seit mehreren Tagen schreibe: Liquidität beschaffen, wie auch immer, um handlungsfähig zu sein, wenn der Markt seinen Tiefpunkt testet. Das wird er nicht auf leisen Sohlen tun, sondern in aller Regel mit dem beschriebenen Ausverkauf.
1. Die gestern herausgekommenen Einzelhandelszahlen in den USA (- 0,9 %) werte ich nicht sehr hoch. Bemerkenswert finde ich allerdings in den heutigen Nachrichten das Zitat eines Herrn Hellmeyer von der Bremer Landesbank, der die Zahlen als einen „Offenbarungseid“ für die tatsächliche Lage des US-Konsums bewertet. Wo lebt dieser Herr wohl? Ich nehme an, er hat in der ehemals kommunistisch orientierten Universität Bremen seine Studienzeit verbracht. Solche Äußerungen halte ich allerdings für nicht ganz untypisch. Sie dokumentieren eine bemerkenswerte Unkenntnis der amerikanischen Gesamtlage. Denn:
2. Der amerikanische Konsum hält sich auf einem sehr hohen Niveau. Deshalb kann er nicht deutlich zulegen, sondern nur moderat wachsen. Das allein genügt. Ausschlaggebend für die Konjunkturtendenz ist deshalb nicht der Zuwachs im Konsum, sondern derjenige in den Lager- und Ausrüstungsinvestitionen. Allein hier liegt die Dynamik für die US-Konjunktur. Bitte merken Sie sich diesen Zusammenhang, den ich mehrfach beschrieben habe.
3. Die Schwäche der Retailer ist zu differenzieren. Titel wie Wal Mart oder Homedepot sind zu teuer und werden von mir nicht angefaßt. Titel wie Sears Roebuck oder Saks sind ein Kauf, und zwar weil sie sehr preiswert sind. Erstere haben ein KGV deutlich über 24, letztere eines von 10. Allein darauf kommt es an.
4. Die Gewinnwarnung von Lucent ist nur die Fortsetzung der bisherigen Trends in der Telekommunikations-Ausrüstung. Rückfall des Kurses um 5 % ist ein Teil dieser mühsamen Stabilisierung, die noch einige Wochen dauern wird. Hier wird auf keinen Fall zurückgezogen. Das gilt übrigens auch für Titel wie Nortel und andere, obwohl ich zur Zeit noch keine Kaufempfehlung gebe, weil ich auf den Shake Out des Gesamtmarktes warte.
5. Die verschiedenen Warnungen von mittleren Titeln wie I2Technology gehören ebenfalls in dieses Bild. Damit kündigt sich schon die Halbjahresbilanz an, die ähnliche, aber nicht mehr so gravierende Neueinschätzungen bringen wird, wie dies für das letzte Quartalsende der Fall war. Das ist ein weiterer Grund dafür, daß ich auf den Schlußpunkt des Marktes wie beschrieben warte.
Fazit für Sie: Der gesamte Sektor Technologie baut eine mühsame Stabilisierungsebene auf, das Wort mühsam müssen Sie wörtlich nehmen. Hier noch zu verkaufen, halte ich deshalb für falsch, weil Sie anschließend nur sehr schwer wieder zurückkaufen können. Zum einen wird Ihnen der Mut fehlen und zum anderen wird Ihre Bank Sie davon abhalten wollen. Deshalb ist es richtiger: Stehen Sie das Ganze jetzt durch und behalten Sie die Nerven. Ich schreibe Ihnen dies aus tiefer Überzeugung und langjähriger Erfahrung, was ich diesbezüglich wiederhole!
Frankfurt steckt in der gleichen Lage. Echte Verkäufe gibt es kaum, die Leerverkäufe nehmen leicht ab, sind aber noch ein Marktfaktor. Hier gilt mithin das gleiche wie in New York:
Ich halte Verkäufe für nicht mehr diskutabel. Auch dann nicht, wenn in einzelnen Titeln das Risiko durchaus bis zu 10 % beträgt. Rechnerisch ist das sehr viel, aber ich garantiere Ihnen, daß Sie den Rückkauf zum tiefsten Kurs nicht schaffen werden. Die Chance dafür ist bestenfalls 10 %. Deshalb ist es auch hier richtiger: Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Es wird sich am Ende als richtig erweisen.
Ein wichtiger Hinweis: Diejenigen, die mit Kredit arbeiten, sind natürlich in einer prekären Lage. Hier ist wirklich zu überprüfen, ob Sie die eine oder andere Position auflösen, um nicht am tiefsten Punkt des Marktes von Ihrer Bank an die Seite gestellt zu werden. Nehmen Sie dies der Bank nicht übel. Sie muß so handeln. Also: Wer Kreditpositionen fährt, muß den Worst Case in Rechnung stellen, um nicht am schwächsten Tag exekutiert zu werden.
Der Euro hat auf die gestrigen US-Daten mit einem kleinen Gewinn reagiert. 95 Cents wurden aber nicht überschritten. Ich halte dies für indikativ, worauf ich gestern schon hinwies. Es gibt eine erstaunliche Korrelation zwischen Dollarschwäche und dem Verlauf der Konjunktur im amerikanischen Aktienmarkt. Dies gilt aber erst seit Anfang März. Sie können davon ausgehen, daß in einem Shake Out des New Yorker Marktes auch der Dollar seinen schwächsten Punkt erreichen wird, um anschließend kräftig zu drehen. Verfolgen Sie also beide täglich.
Ich bescheide mich heute mit dieser Kurzinformation, die Ihnen lediglich darstellen soll, wie Sie die augenblickliche Situation generell sehen sollten. Jede Einzelempfehlung erübrigt sich. Sie lesen aber bitte heute die Seite 2 und 3 der AB zweimal: Ich rechne Ihnen darin vor, wie Sie aus einer Schwächeposition einer Aktie heraus das Gesamtengagement im Laufe der nächsten Wochen sanieren können. Es ist ein Beispiel, das Sie auf alle anderen Titel übertragen können. Es zeigt Ihnen, wie man konstruktiv denken muß, um Schieflagen in überschaubarer Zeit wieder ausbügeln zu können. Das wußte schon Goethe: „Alles in der Welt kommt auf einen gescheiten Einfall und auf einen festen Entschluß an“. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Mit freundlichen Grüßen
Hans A. Bernecker
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