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Chipstandort Deutschland erlebt unverhofftes Comeback Die Pessimisten haben sich getäuscht: Als der Münchener Halbleiterhersteller Qimonda vergangenes Jahr pleiteging, war das für viele Beobachter der Anfang vom Ende der Branche in Deutschland. Doch nun stellen die weltweit führenden Chiphersteller hierzulande wieder vermehrt Personal ein und erweitern ihre Werke.
MÜNCHEN. "Wir wollen hier wachsen, deshalb holen wir neue Leute und investieren in Maschinen", sagt Manfred Hummel, Chef der Chipfabrik von Texas Instruments (TI) im bayerischen Freising. Der Manager sucht händeringend Spezialisten für die Fertigung, in der momentan 700 Festangestellte und 180 Zeitarbeiter tätig sind. Doch auch in anderen Bereichen, etwa Vertrieb und Entwicklung in Deutschland, braucht der viertgrößte Halbleiteranbieter der Welt Mitarbeiter.
So wie Hummel verbringen derzeit viele Chipmanager zwischen Hamburg und München eine Menge Zeit mit Bewerbungsgesprächen. Das ist neu, denn in den vergangenen Jahren haben die Konzerne Hunderte, zum Teil Tausende Stellen gestrichen, um die Kosten herunterzufahren. Einige Werke wurden ganz geschlossen. Stattdessen sind neue Fabriken in Asien entstanden.
Größter Tiefschlag für die Halbleiterbranche in Deutschland war die Pleite von Qimonda im Frühjahr 2009. Damals haben 4 600 Mitarbeiter des Münchener Speicherchipproduzenten ihren Job verloren. Grund für die Insolvenz waren hausgemachte Probleme, aber auch ein dramatischer Preisverfall. Der deutsche Halbleitermarkt ist im vergangenen Jahr nach Angaben des Branchenverbands ZVEI um ein Viertel auf sieben Mrd. Euro eingebrochen.
Doch jetzt geht es in der gesamten Industrie wieder rasant aufwärts - und davon profitiert auch der Chipstandort Deutschland. Entgegen landläufiger Meinung spielt dabei die Fertigung weiterhin eine tragende Rolle. So wird Globalfoundries in den kommenden zwei Jahren rund 1,3 Mrd. Euro in seine Fabriken in Dresden stecken. Dabei sollen Hunderte neue Arbeitsplätze entstehen. Schon jetzt hat das Unternehmen, das mehrheitlich arabischen Investoren gehört, einige Dutzend freie Stellen zu besetzen.
Andere Chiphersteller stellen ebenfalls kräftig ein. Infineon hat nach dem Kahlschlag der letzten Jahre momentan gut 120 Jobs zu vergeben, die Fabrik in Dresden wird erweitert. Die ehemalige Chipsparte von Philips, NXP, sucht für die Standorte Hamburg und München 20 Leute für die unterschiedlichsten Aufgaben, die frühere Infineon-Tochter Lantiq hat 15 vakante Positionen. Und das ist nur eine kleine Auswahl, die Liste der Jobangebote wird jeden Tag länger.
"Hochqualifiziertes Personal ist schwer zu kriegen", klagt TI-Manager Hummel. "Die Qimonda-Pleite hat nicht den Ansturm an Bewerbern gebracht, den wir erwartet hatten." Um sich langfristig den Nachwuchs zu sichern, bringen die Amerikaner jetzt sogar einen Studiengang in Halbleitertechnik aus Dallas an die Fachhochschule in Landshut.
Den Werken in Deutschland kommt derzeit der günstige Euro-Kurs zugute, weil die in Dollar gehandelten Chips dadurch billiger werden. "Das hilft uns enorm", sagt Hummel. TI produziert vor den Toren Münchens größtenteils für den Export. Die meisten Chips werden in Leseköpfe von Festplatten eingebaut.
Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Halbleiteranbieter in Deutschland investieren und einstellen. "Unser Wachstum kommt größtenteils aus China", betont Infineon-Chef Peter Bauer. Doch die deutschen Ingenieure sind in vielen Bereichen Weltklasse, zum Beispiel wenn es um Autoelektrik geht oder um Sicherheitschips für Pässe und Geldkarten.
Die technische Expertise, etwa das Know-how rund um die komplexen Produktionsprozesse, ist ein Wettbewerbsvorteil. Beispiel Globalfoundries: Als Auftragsfertiger produziert die Firma an der Elbe Chips für internationale Anbieter. Dresden ist dabei im Verbund mit Werken in Asien und Amerika für den sogenannten Leading-Edge-Bereich, also die Spitzentechnologie, zuständig.
Noch etwas spricht für die Fabriken hierzulande: Die vergleichsweise hohen deutschen Lohnkosten spielen in der Chipfertigung eine untergeordnete Rolle. Richtig arbeitsaufwendig ist nur die Verpackung der Halbleiter - das wird hauptsächlich in Asien erledigt. Dazu kommt: Die Produktion lässt sich nicht einfach hier ab- und anderswo aufbauen. Eine Verlagerung an günstigere Standorte in Fernost würde Jahre dauern und sei sehr teuer, meint Infineon-Chef Bauer. Vielen Kunden, vor allem aus der Autoindustrie, ist es zudem wichtig, dass die Werke, aber auch die Entwickler, in der Nähe sind.
Das zeigt sich am jüngsten Fabrikneubau hierzulande, der in Reutlingen steht. Dort hat der Autozulieferer Bosch dieses Frühjahr ein Chipwerk eingeweiht, das 600 Mio. Euro gekostet hat, die größte Einzelinvestition der Schwaben aller Zeiten. "Halbleiter sind für uns Kernkompetenz", heißt es bei Bosch. Ohne das Chip-Know-how hätte der Konzern die jüngste Generation Motorsteuerungen nicht entwickeln können. Dabei seien die vorhandene Infrastruktur, die enge Kooperation mit der Fachhochschule Reutlingen sowie der Universität Stuttgart und die günstige Anbindung an andere Bosch-Werke entscheidende Kriterien für die Standortentscheidung gewesen.
Derzeit sieht es nicht so aus, als müssten sich die Beschäftigten Sorgen um ihre Jobs machen. "Unsere Lieferzeit beträgt momentan etwa 26 Wochen", so Infineon-Chef Bauer, die Auslastung der Werke liege zwischen 90 und 100 Prozent. Für die nächsten Jahre rechnet der Manager in der Industrie mit einem Wachstum von jeweils acht bis zehn Prozent. ----------- „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
Curt Goetz |