SZ vom 28.03.2001 Wirtschaft
Gegen die Vorschriften am Neuen Markt Viele Firmen bringen Bilanzen zu spät Überforderung oder Verzögerungstaktik? / Deutsche Börse veröffentlicht Liste der Regelbrecher
Von Simone Boehringer
München – Immer mehr Unternehmen am Neuen Markt verschieben die Bekanntgabe ihrer Jahreszahlen. Experten vermuten, dass einige Firmen mit den strengen Bilanzierungsvorschriften schlichtweg überfordert sind. Nach schlechten Erfahrungen müssen Anleger aber wohl auch in einigen Fällen mit Hiobsbotschaften rechnen.
Der Bilanzierungsprozess sei „deutlich komplexer als geplant“, meldete an diesem Dienstag der am Neuen Markt notierte Softwareanbieter CAA. Deshalb müsse das Unternehmen die für den 27. März geplante Vorlage der Jahreszahlen auf den 10. April verschieben. Tags zuvor hatte die ebenfalls an der Frankfurter Wachstumsbörse geführte NSE Software die Präsentation des Jahresabschlusses auf unbestimmte Zeit verschoben. „Eine Begründung werden wir nachliefern, sobald die Deutsche Börse uns die Neuterminierung genehmigt hat“, sagte Sprecherin auf Anfrage der SZ.
Am krisengeschüttelten Neuen Markt rufen solche Nachrichten freilich besondere Skepsis hervor. Im Fall von NSE Software hatte das Unternehmen bereits Anfang März die Anleger gewarnt, dass ein geplantes Sanierungsprogramm „drastische Auswirkungen auf die Bilanz“ haben werde. Bei der CAA fehlte ein solcher Hinweis im Vorfeld. Nach Angaben von Vorstandsmitglied Gabriele Müller habe die Konsolidierung zweier Tochtergesellschaften die Beendigung des Zahlenwerks überraschend hinausgezögert. Ähnlich lautet auch die Begründung beim Glasfaser-Spezialisten Adva Optical, das seine für 26. März vorgesehene Bilanzbesprechung nun plötzlich erst am 28. April abhalten will.
Beispiele wie die Software-Firma Gauss Interprise, die nach der Verschiebung ihrer Bilanz-Pressekonferenz Anfang März ein unter den Erwartungen liegendes Jahresergebnis präsentierten, zeigen, dass hinter der vermeintlich harmlosen Datenverschiebung auch mehr stecken kann.„Das kann man zwar nicht verallgemeinern“, meint Markus Straub, Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK). Allerdings werfe die Häufung solcher Verzögerungsmeldungen wieder einmal ein schlechtes Licht auf den Neuen Markt.
Die Deutsche Börse will von einer Häufung derzeit noch nichts wissen. Ob dies überdurchschnittlich oft vorkomme, müsse erst geprüft werden, heißt es. Fest steht: Eine Liste mit den entsprechenden Anträgen der Unternehmen sowie den jeweiligen Entscheidungen der Börse dazu wird demnächst im Internet veröffentlicht, so eine Sprecherin.
Fristgerecht müssten alle Unternehmen an der Technologiebörse spätestens drei Monate nach dem Ende des Geschäftsjahres ihre Jahreszahlen vorlegen. Sind Geschäfts- und Kalenderjahr identisch, was bei der Mehrzahl der Firmen der Fall ist, müsste zumindest die elektronische Mitteilung mit den Jahreszahlen bis 31. März in Frankfurt vorliegen. Eine zuvor nicht genehmigte Verschiebung kann die Deutsche Börse mit einer öffentlich gemachten Abmahnung, im zweiten Schritt auch mit einem Bußgeld von bis zu 100000 Euro belegen.
Noch sei keine solche Strafe verhängt worden, so die Börsensprecherin. Doch das könnte sich bald ändern. Als besonders problematisch sieht SdK-Mann Straub den Fall Metabox an. Das Unternehmen, das seit Monaten wegen des Verdachts auf Insiderhandel, Kursmanipulation und Anlegerbetrug im Mittelpunkt staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen steht, teilte am Freitag auf seiner Internetseite ebenfalls mit, die Präsentation des Jahresabschlusses verschieben zu wollen. Hintergrund: „Bei der Durchsuchung der Geschäftsräume des Unternehmens am 7. März wurden eine Reihe von Dokumenten beschlagnahmt, die für eine ordnungsgemäße Fertigstellung des Geschäftsberichts unerlässlich sind“, heißt es in der Unternehmensmeldung. Ein entsprechender Antrag sei bei der Deutschen Börse eingereicht worden. „Solche Meldungen legen den Verdacht nahe, dass Firmen Fristen in die Länge ziehen, um nicht inmitten der Börsenbaisse negative Tatsachen verkünden zu müssen“, meint SdK-Vorstand Straub.
Auch Bilanzierungsfachleute und Analysten verlieren zunehmend die Geduld mit den Firmen am Neuen Markt. „Die Unternehmen kennen die Bilanzierungsregeln schon seit ihrer Erstnotiz an der Börse“, heißt es am Lehrstuhl eines Bilanz-Experten. Die plötzliche Komplexität der Materie sei nicht einmal für die wirklichen Neulinge eine gute Ausrede, weil sie zur Emission bereits für die Geschäftsjahre zuvor entsprechende Abschlüsse hätten vorlegen müssen.
Robert Suckel, Geschäftsführer der auf den Neuen Markt spezialisierten Analysegesellschaft SES Research, glaubt, dass jedes fünfte Unternehmen an der Wachstumsbörse derzeit Schwierigkeiten hat, die Zahlen fristgerecht aufzubereiten. „Bei vielen Firmen am Neuen Markt sind die Konzernstrukturen nicht mit dem operativen Geschäft mitgewachsen.“ Besonders unter den 50 größten Gesellschaften, die im Nemax-50 zusammengefasst sind, hätten einige so aggressiv akquiriert, dass sie noch nicht dazu gekommen seien, dies alles in der Bilanz zu konsolidieren. Die daraus folgenden häufigen Zahlenkorrekturen am Neuen Markt seien „mit Schuld daran, dass es zu keiner breiten Erholung der Kurse kommt“, ergänzt Suckel.
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