Energie
Jedem Dorf sein eigenes Kraftwerk
von Anja Steinbuch
Sonnenkollektoren auf dem Dach und am Ortsausgang eine Biogasanlage. Viele deutsche Dörfer und Kommunen setzen auf die dezentrale Energieversorgung.
Sie wollen von Stromanbietern unabhängig sein und sich auf die Nutzung erneuerbarer Energien konzentrieren. Rund 50 solcher Projekte gibt es bereits zwischen Flensburg und Passau.
Seit fast zwei Jahren versorgt sich die 760-Seelen-Gemeinde Jühnde bei Braunschweig schon mit Strom und Wärme aus einer eigenen Bioenergieanlage. Die Niedersachsen betreiben ein Kraftwerk und ein Leitungsnetz, das die Wärme in die Häuser führt. An kalten Tagen wird zusätzlich ein Holzhackschnitzel-Heizwerk in Betrieb genommen.
Damit ist Jühnde energetisch autark. Die Energiequelle befindet sich auf den heimischen Feldern. Mais, Raps und Weizen sind wichtige Bestandteile für den Gärprozess einer Biogasanlage, die sowohl Wärme als auch Strom liefert.
Ein entscheidender Unterschied
Während ein Jühnder Einwohner bei einem Verbrauch von 3000 Litern Öl im Jahr heute rund 3100 Euro berappen müsste, kostet die Versorgung mit Fernwärme aus Bioenergie nur 1700 Euro pro Kopf und Jahr.
Auch die Gemeinde Friedland in Mecklenburg-Vorpommern setzt auf Biogas: Die nagelneue Anlage ist hier gerade mit 2,1 Megawatt elektrischer Leistung ans Netz gegangen. Sie hilft den Anwohnern beim Sparen und schont die Umwelt. Hersteller und Betreiber ist die Envitec Biogas aus dem niedersächsischen Lohne.
"Die Energie aus dem Gärungsprozess der Biogasanlagen ist so billig, weil wir die ganze Pflanze verwenden", erklärt Olaf von Lehmden, Chef der börsennotierten Envitec Biogas. Für die Produktion von Bioethanol oder Biodiesel beispielsweise werde nur das Weizen- oder Rapskorn verwendet. Von Lehmden: "Für Biogasanlagen brauchen wir deshalb viel weniger Anbaufläche."
Ziel - effiziente Verbindung
Diese Vorzüge nutzt auch Deutschlands Spitzenreiter in Sachen unabhängige regenerative Bioenergieversorgung: Die Stadt Dardesheim in Sachsen-Anhalt. Mehr als 30 Windkraftanlagen, eine Biogasanlage und mehrere Solaranlagen haben hier im vergangenen Jahr 140 Millionen Kilowattstunden Elektrizität produziert.
Das ist 45-mal mehr, als die Kleinstadt benötigt. Ziel der Dardesheimer, die sich auch "Stadt der erneuerbaren Energien" nennen, ist eine effiziente Verbindung aller Energiequellen mit Unterstützung eines benachbarten Pumpspeicherkraftwerks, um auch Nachbargemeinden mitzuversorgen.
Sogar eine Indoor-Skihalle im mecklenburgischen Wittenburg profitiert von Biogas: Die bei der Stromerzeugung entstehende Wärme aus drei Biogasanlagen beheizt Hotel und Restaurant der Snow-Fun-Anlage. Der Betreiber spart dadurch 25 Prozent der Energiekosten.
In vielen ländlichen Regionen finden sich heute schon großflächige Solaranlagen auf Viehställen, neben denen auch Biogasanlagen stehen. "Die Kombination macht durchaus Sinn", erklärt Hermann Iding vom Solarmodul-Spezialisten Aleo Solar in Oldenburg.
"In Zeiten guter Sonneneinstrahlung liefern Solaranlagen Strom, sodass insbesondere auch Spitzenlastzeiten am Tag gut versorgt werden." So können die Rohstoffe für Biogasanlagen gespart werden, deren Preise in den letzten Jahren stark gestiegen sind. Biogasanlagen können dafür abends und nachts verlässlich Strom und Wärme liefern.
Konkurrenzfähiger Mix
In einem Modellprojekt hat jüngst das Institut für solare Energieversorgung in Kassel (Iset) Wind-, Solar-, Biogas- und Wasserkraftwerke erfolgreich zusammengeschlossen. Ziel war ein Szenario für das Jahr 2050.
"Die Produktion von einer Kilowattstunde Strom würde in unserem Kombikraftwerk nur sechs Cent kosten", sagt Kurt Rohrig, Energiewirtschaftsexperte des Forschungsinstituts. "Damit ist unser Mix aus Ökostrom konkurrenzfähig, denn Kohlekraftwerke verkaufen eine Kilowattstunde für 8 Cent."
FTD.de, 07:00 Uhr
© 2008 Financial Times Deutschland
Quelle:
http://www.ftd.de/politik/deutschland/360364.html?mode=print -----------
"Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört."
(Karl Marx)